Welch ein Desaster für die CDU! Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren einst ihre Hochburgen. Mit Helmut Kohl und Kurt Georg Kiesinger wechselten zwei Ministerpräsidenten aus der Mainzer und Stuttgarter Staatskanzlei ins Bonner Bundeskanzleramt. Rekordergebnisse bis an die 60 Prozentmarke bildeten im Südwesten ein überreichliches Reservoir für Wahlsiege im Bund.
In beiden Ländern gibt es inzwischen klare parlamentarische Mehrheiten jenseits der Union. Auch auf Bundesebene? Diese Frage ist heute, ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl, offen. Fest steht hingegen, daß die programmatisch ausgelaugte CDU keinen Freifahrtschein mehr in Richtung Bundeskanzleramt im Gepäck hat.
Angela Merkels Kalkül, gegen die CDU könne aufgrund der Sperrwirkung der AfD nicht regiert werden, hat ausgedient. Es ist nicht unmöglich, daß Merkel im Herbst ihr Amt SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz oder den Grünen übergeben muß. Er spricht schon von einer „progressiven Regierungsbildung“. CDU und CSU sind in der Defensive, müssen sich darauf einstellen, von allen anderen Parteien gejagt zu werden.
SPD-Spitze träumt von Rot-Rot-Grün
Denn die SPD wollte sich schon vor vier Jahren aus der Umklammerung der Großen Koalition befreien. Im Gegensatz zu Scholz spielt die FDP in den Koalitionsüberlegungen seiner Parteichefs Norbert Walter-Borjahns und Saskia Esken nur eine geringe Rolle. Sie träumen von einem Bündnis mit der Linkspartei.
Rot-Grün mit den Kommunisten im Boot bleibt aber nach wie vor ein Schreckgespenst für viele Wähler, die Ampel kommt freundlicher daher. Und die Liberalen wollen der CDU schon lange eins auswischen, Merkels Demütigungen zwischen 2009 und 2013 sind nicht vergessen. FDP-Generalsekretär Volker Wissing, 2016 einer der Architekten der Ampel in Rheinland-Pfalz, gibt der CDU die Schuld, das bürgerlich-konservative Lager aufgegeben zu haben. Auf den Noch-Wirtschaftsminister in Mainz kann sich seine Kabinettschefin, die sozialdemokratische Landesmutter Malu Dreyer verlassen.
In Baden-Württemberg muß die zum Juniorpartner mutierte CDU damit rechnen, daß ihr die gestärkten Grünen den Stuhl vor die Tür setzen. Als „Klotz am Bein“ wurde die CDU von den Landes-Grünen geschmäht. Welch eine Demütigung.
AfD mit blauem Auge davongekommen
Sie müssen zusehen, wie der Grünen-Landesvater Winfried Kretschmann seine neue Koalition bildet; möglicherweise ein Ampelbündnis aus Grünen, SPD und FDP. Die erneut dezimierte SPD kann sich auf ein paar Ministersessel freuen, die bisher oppositionelle FDP drängt in die Regierung. Deren Spitzenkandidaten haben ihre Bewerbung beim Wahlsieger bereits abgegeben.
Außen vor bleibt in beiden Landtagen die AfD. Sie ist souverän in die Parlamente zurückgekehrt, hat aber gegenüber 2016 Stimmen verloren. Das kann nicht überraschen, zu heftig waren die innerparteilichen Grabenkämpfe gerade in Baden-Württemberg, zu zerstörerisch dauern sie an im Bund.
Mit einem blauen Auge davon gekommen sollte sie sich in Stuttgart und Mainz konsolidieren; als bürgerlich-konservative Partei rechts von der Union. Denn der Einzug der Freien Wähler in Rheinland-Pfalz zeigt der AfD, Protestwähler können sich auch neu orientieren. Daß sich jetzt die Haltung der Union rächt, die AfD auszugrenzen und der scheinbar ewigen Kanzlerpartei damit die Koalitionspartner abhandenkommen, ist nur ein schwacher Trost.