Die Erleichterung, den Wiedereinzug in Hamburg geschafft zu haben, wich bei manchen in der AfD und ihrer Anhängerschaft der Ernüchterung über das Resultat. Auf den goldenen Herbst mit den für die Partei erfolgreichen Wahlen in drei östlichen Bundesländern mit Ergebnissen jenseits der Zwanzigprozentmarke folgte der trübe Winter im Nordwesten, wo nun gerade einmal die Fünfprozenthürde überwunden wurde. Woran liegt’s? Hat die AfD in der Hansestadt aufs falsche Pferd gesetzt, hat sie zu sehr ins liberale Eppendorf geschielt und dabei den „roten“ Stadtteil Wilhelmsburg vernachlässigt?
Nein, sagt Alexander Wolf, einer der beiden AfD-Fraktionsvorsitzenden in der Hamburgischen Bürgerschaft und Mitglied des Bundesvorstands der Partei. Das Problem sei ein anderes, schreibt Wolf in einem Gastkommentar für die JUNGE FREIHEIT:
Nach der Zitterpartie bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft vom vergangenen Sonntag ist zu fragen, welche Konsequenzen aus dem Abschneiden der AfD zu ziehen sind – strategisch und weit über Hamburg hinaus. Daß die Kampagne nach „Hanau“ in den letzten 48 Stunden vor dem Wahlsonntag, die heftigste Instrumentalisierung einer Bluttat, die wir miterleben mußten, einen wesentlichen Teil an dem eher bescheidenen Wahlergebnis hatte, steht außer Frage.
Welche Schlüsse sollte die AfD aus den 5,3 Prozent in Hamburg ziehen. Konkret: Sollte sie „vom Osten lernen“ und kräftiger auf den Putz hauen, eine „sozial-patriotische“ Wende vornehmen und sich auf ihre Stammwähler konzentrieren, anstatt eine „FDP 2.0“ zu werden, wie es einzelne flügelnahe Stimmen fordern, die zugleich den Kurs der Hamburger AfD damit kritisieren?
Auf den ersten Blick könnte dies plausibel erscheinen – allerdings nur auf den ersten Blick – und nur als Ferndiagnose, ohne die Fakten, ohne die Umstände eines Wahlkampfs in einer westdeutschen Großstadt zu kennen, ja auch nur ansatzweise zu verstehen. Ferndiagnosen sind auch hier – wie in der Medizin – mit allergrößter Vorsicht zu genießen.
Das Problem ist der Narrensaum
Denn tatsächlich wird umgekehrt ein Schuh draus: In Wahrheit hat die AfD sich in Hamburg gerade auf ihre Stammwähler konzentriert; sie hat ganz gezielt einen „Hochburgen-Wahlkampf“ geführt. Sie hat die einzelnen Stadtviertel bis hinunter zu den Wahllokalen analysiert und gezielt und vorrangig ihre Stammwähler angesprochen. Das Ergebnis: Sie hat ziemlich genau die Anzahl an Wählerstimmen erhalten wie vor fünf Jahren – nicht weniger, aber auch nicht mehr.
Die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung – von 56,5 auf 63,2 Prozent – erklärt zum großen Teil den leichten Rückgang des Prozentergebnisse der AfD. Den vereinigten Linken ist es gelungen, auch wegen Hanau, ihre Wähler deutlich stärker zu mobilisieren als vor fünf Jahren.
Die Stammwähler wurden also gehalten. Das ist gelungen und ein wichtiger Erfolg. Kaum hat es indes geklappt, in neue Wählerschichten vorzustoßen. Denn es ist klar: Um eine breit aufgestellte Volkspartei zu werden, muß es der AfD gelingen, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen breitere, bürgerliche Kreise anzusprechen und zu gewinnen – diejenigen, die früher CDU und FDP, aber auch SPD – gewählt haben, sich von diesen Parteien aber nicht mehr vertreten fühlen. Und die Frage lautet: Warum war dies nicht oder nur unzureichend von Erfolg gekrönt?
Antwort: Wegen des Narrensaums, wegen der Krakeeler, die zwar zahlenmäßig wenige sind, sich aber stets lautstark zu Wort melden – und von der Mainstreampresse „mit Handkuß genommen“ werden, um die AfD in eine radikale Ecke hineinzuschreiben. Die, um ein paar Namen zu nennen, Wolfgang Gedeons, Stefan Räpples und Doris von Sayn-Wittgensteins dieser Welt. Deren Querschüsse, die vielen Unbedachtheiten, bewußten und unbewußten Provokationen sind es, die es dem politischen Gegner – und dem Verfassungsschutz – immer wieder allzu leicht machen, uns in eine Verbindung zu bringen mit rechtsextremen Positionen, die in der AfD nichts zu suchen haben.
Rote Linien nach Rechtsaußen schärfen
Hier bin ich den Parteichefs Tino Chrupalla und Jörg Meuthen dankbar, daß sie mit ihrem Mitgliederrundbrief vom Sonntag, der auch selbstkritische Fragen enthält, einen Stein ins Wasser geworfen, eine Diskussion angeschoben haben, die notwendig ist. Denn bei aller gerechtfertigter Kritik an den Kampagnen der Altparteien und eines Großteils der Medien machen wir es uns zu leicht, wenn wir immer nur die Wagenburg schließen, immer nur mit dem Finger auf die anderen, die „Bösen da draußen“ schimpfen.
Solidarität kann nur einfordern, wer sich selbst auch solidarisch verhält; nicht derjenige, der unabgestimmt und unbedacht vorprescht und die ganze Partei in Mithaftung nimmt. Solidarität ist ein hohes Gut – aber Solidarität ist keine Einbahnstraße!
Wir müssen das bürgerlich-konservative Profil der AfD schärfen und rote Linien nach Rechtsaußen noch stärker ziehen und auch durchsetzen. Hier sind alle Führungsgremien in der Pflicht – der Bundesvorstand ebenso wie die Landesvorstände, auch die Führung des „Flügels“.
Denn, wie es Alexander Gauland beim Kyffhäuser-Treffen im vergangenen Jahr formulierte: „Partei sein heißt, rote Linien zu ziehen im Dienste des Ganzen. (…) Unser Ziel, das wir anstreben, sind politische Mehrheiten. Die Mehrheit, die wir anstreben, ist eine bürgerliche Mehrheit.“ Und in derselben Rede: „Mut zur Wahrheit, ja, dafür stehen wir. Aber unser Hauptanliegen besteht nicht darin, einen Raum zu schaffen, in dem jeder alles sagen kann, sondern wir sind angetreten, um unser Land wieder in Ordnung zu bringen. Für dieses Ziel kann man sich auch mal auf die Lippe beißen.“
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Dr. Alexander Wolf ist promovierter Jurist und Beisitzer im AfD Bundesvorstand, Co-Fraktionsvorsitzender in der Hamburgischen Bürgerschaft sowie stellvertretender AfD-Landesvorsitzender.