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Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Empörungswettbewerb der Superbetroffenen

Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Empörungswettbewerb der Superbetroffenen

Ministerpräsidentenwahl in Thüringen: Empörungswettbewerb der Superbetroffenen

Demo
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Demonstranten protestieren in Berlin vor der FDP-Parteizentrale Foto: JF
Ministerpräsidentenwahl in Thüringen
 

Empörungswettbewerb der Superbetroffenen

Das Entsetzen über die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) kennt weiter keine Grenzen. Journalisten, Kommentatoren und Politiker liefern sich einen erbitterten Wettbewerb, wem es gelingt, die größtmögliche Erschütterung zur Schau zu stellen. Kein Superlativ ist dafür zu groß, kein historischer Vergleich zu bemüht. Ein Kommentar von Felix Krautkrämer.
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Das Entsetzen über die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) kennt weiter keine Grenzen. Journalisten, Kommentatoren und Politiker liefern sich einen erbitterten Überbietungswettbewerb, wem es gelingt, die größtmögliche Erschütterung zur Schau zu stellen. Kein Superlativ ist dafür zu groß, kein historischer Vergleich zu bemüht.

Wer die ein oder andere Stellungnahme liest, könnte glauben, die Nationalsozialisten stünden mit geladen Gewehren vor der Tür, bereit, Deutschland und die Welt erneut ins Unglück zu stürzen. Galt bislang der Holocaust als Zivilisationsbruch, sehen nun einige in der Wahl Kemmerichs einen ebensolchen. Am Tag eins nach der Stunde Null gelingt es Politikern wie dem FDP-Bundestagsabgeordneten Jens Brandenburg nur mit Mühe, sich aus der Schockstarre zu rühren. „Kaum geschlafen, der Albtraum hat kein Ende“, schreibt er auf Twitter. Die Annahme „der Nazi-Stimmen“ widersprecht allem, was den Freien Demokraten heilig sei.

ZDF-Chefredakteur Peter Frey kommentiert mit ernster Miene, die Wahl mit den Stimmen der AfD sei ein Tabubruch und geschichtsvergessen. „Denn es war in Thüringen, im Jahr 1924, als erstmals völkische Abgeordnete einer Regierung zur Mehrheit verhalfen. Die vertrieb zuerst das progressive Bauhaus aus Weimar und bereitete dann den Weg für die Machtübernahme der NSDAP. Endstation: Buchenwald.“ Die Frage, ob sich Geschichte wiederholen könne, treibe Demonstranten auf die Straße und bewege die demokratischen Parteien.

Wie das aussieht, läßt sich am Mittwoch abend gleich in mehreren Städten beobachten. Demonstranten sind vor Einrichtungen der FDP gezogen, um ihrer Wut und Empörung Luft zu machen. In Berlin skandieren sie vor der FDP-Zentrale unter dem Banner der Antifa: „Nie wieder Deutschland!“ und „Schande!“

 

Wie Frey erinnert auch der unterlegene Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow an die Zeiten der Weimarer Republik. Mit einer Aussage Adolf Hitlers will Ramelow das passende Zitat für die Ereignisse des Tages gefunden haben: „Den größten Erfolg erzielten wir in Thüringen. Dort sind wir heute wirklich die ausschlaggebende Partei. […] Die Parteien in Thüringen, die bisher die Regierung bildeten, vermögen ohne unsere Mitwirkung keine Majorität aufzubringen.“ Dazu veröffentlich er zwei Fotos. Eines mit Hitler, der Reichspräsident Paul von Hindenburg die Hand schüttelt, und eins von AfD-Chef Björn Höcke, der Kemmerich zur Wahl als Ministerpräsident gratuliert. Höcke: der neue Hitler.

Wo vor nicht weniger als einem neuen Holocaust gewarnt wird, darf Israels Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, natürlich nicht fehlen. „Dies ist ein Moment der Wahrheit für die deutsche Demokratie“, verrät er der Bild-Zeitung. „Die Herausforderung für Deutschland besteht jetzt – mehr denn je – darin, die dunklen Geister der Vergangenheit zu überwinden und ihnen jeden Platz und jede Legitimität in der politischen Szene zu verweigern.“

Für Spiegel-Journalist Markus Feldenkirchen hingegen ist der Fall nichts Geringeres als die Wiedergeburt der NSDAP unter lediglich anderem Namen. Der Konsens der Demokraten sei gebrochen, klagte er mit einem tiefen Seufzer in einem Kommentar auf radio1. Bislang hätte es zu den Grenzen der „Machtgeilheit“ gezählt, nicht gemeinsame Sache mit den Feinden der Demokratie zu machen. Kemmerich sei nun „ein Ministerpräsident der Faschisten“. CDU und FDP hätten sich mit der Wahl schwere Schuld aufgeladen. „Sollten Historiker eines Tages fragen, wie die AfD 75 Jahre nach der Nazi-Zeit wieder (!) salonfähig werden konnte, dann werden sie auf dieses historische Datum verweisen: den 5. Februar 2020.“

Übertroffen wird dies nun noch vom bisherigen Chef der Thüringer Staatskanzlei, Benjamin-Immanuel Hoff (Linkspartei), der am Mittwoch seinen dortigen Stuhl räumte. Auf Twitter verstieg er sich zu der Aussage, die AfD habe Millionen Menschen umgebracht. Er hielt Kemmerich vor, er müsse damit leben, „ein Ministerpräsident von Gnaden derjenigen zu sein, die Liberale, Bürgerliche, Linke und Millionen weitere in Buchenwald und anderswo ermordet haben“.

Demonstranten protestieren in Berlin vor der FDP-Parteizentrale Foto: JF
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