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Bernd Zimniok, Demografie, Massenmigration

Debatte: Nur ein müdes Gerangel

Debatte: Nur ein müdes Gerangel

Debatte: Nur ein müdes Gerangel

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson bei einem früheren Auftritt.
Der kanadische Psychologe Jordan Peterson bei einem früheren Auftritt.
Der kanadische Psychologe Jordan Peterson bei einem früheren Auftritt Foto: picture alliance/Mikko Stig/Mikko Stig/dpa
Debatte
 

Nur ein müdes Gerangel

Die Debatte zwischen den Star-Philosophen Jordan Peterson und Slavoj Žižek hat die Erwartungen nicht erfüllen können. Petersons Marxismus-Kritik bewies wenig Tiefgang. Žižeks Ausführungen blieben oft zusammenhanglos. Auffällig war hingegen, daß sich beide als Opfer der „akademischen Linken“ sehen. <>Ein Kommentar von Elliot Neaman.<>
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Die gut 3.000 Sitzplätze im Sony Center in Toronto waren am Abend des 19. April restlos ausverkauft. Immerhin trafen dort zwei akademische Schwergewichtler aufeinander, die zu den einflußreichsten Denkern der Gegenwart zählen. Der kanadische Verhaltenspsychologe Jordan Peterson macht gerne mit umstrittenen Äußerungen zu Political Correctness, Gender-Ideologie und Klimawandel auf sich aufmerksam.

Sein Kontrahent Slavoj Žižek hat sich mit scharfzüngigen Attacken gegen die geistigen Heiligtümer linker wie rechter Dogmatiker als gleißender Stern am Firmament der politischen Philosophie etabliert und auch auf dem Territorium zwischen beiden Polen viele liebgewonnene Gewißheiten ins Visier und auf die Schippe genommen. Daß sardonisch-selbstgefällige weiße Männer aus nördlichen Gefilden in der Intellektuellenszene spätestens seit Anbrechen des Postkolonialismus als Auslaufmodell gehandelt werden, tat dem Publikumsinteresse keinen Abbruch.

Enttäuschende Debatte

Wer sich allerdings richtungsweisende Denkanstöße erhoffte, wurde enttäuscht. Denn statt des erhofften Rededuells vom Format des „Rumble in the Jungle“ zwischen George Foreman und Mohammad Ali lieferten sich Peterson und Žižek nur einen recht zähen Sparringskampf.

Worum es bei dem Wortgefecht überhaupt ging, das war nicht die geringste der zahlreichen Fragen, die letztlich unbeantwortet blieben: um Identitätspolitik? Um die Zukunft des Marxismus? Peterson ging mit einem Rundumschlag in die Offensive, der ein breites Themenspektrum von den Lebensbedingungen des Steinzeitmenschen bis hin zu den Geschäftspraktiken des 21. Jahrhunderts abdeckte.

Žižek konterte mit einer Reihe von zusammenhanglosen Anmerkungen über Politik in der Trump-Ära, die Flüchtlingskrise in Europa und die Ästhetik der Nationalsozialisten. Irgendwann kam die Sprache auf das „Kommunistische Manifest“, dessen Inhalt Peterson auf die Formel brachte: „Marx hielt das Proletariat für gut und die Bourgeoisie für böse“. Dabei weiß jeder Leser, der auch nur einen flüchtigen Blick in das berühmte Traktat geworfen hat, daß Marx darin einiges Gutes über die heroischen Errungenschaften der Bourgeoisie zu sagen hat, die die Menschheit schließlich aus den Fesseln des Feudalismus befreit hat.

Eigenwilliger Post-Marxismus

Eine Abscheu gegen den Kommunismus hegte Peterson bereits als Collegestudent an der University of Alberta, wo er sich in den 1980er Jahren Orwell, Solschenizyn und andere Kritiker des Totalitarismus zu Gemüte führte. Allerdings hat der Verhaltenspsychologe seine Lektüre seitdem nicht weiter vertieft und ist – um es großzügig auszudrücken – nicht gerade ein Experte, wenn es um die komplizierte Geschichte des Marxismus geht.

Mit einem unbekümmerten Achselzucken gab er zu Beginn der Debatte zu, nur wenig von Žižek gelesen zu haben. Dieser wiederum kann mit Fug und Recht behaupten, sich auf diesem Gebiet besser auszukennen. Der 1949 in Titos Jugoslawien geborene Philosoph pflegt einen heterodoxen Post-Marxismus, der so angesagt wie eigenwillig ist und in einem sarkastischen Tonfall daherkommt, der allenfalls sich selber und ansonsten herzlich wenig ernst nimmt.

Daß im medialen Rampenlicht inszenierte Debatten zwischen Großintellektuellen durchaus kulturellen Mehrwert schaffen können, zeigte der einflußreiche konservative Stichwortgeber William F. Buckley jr., der von 1966 bis 1999 in seiner Talkshow „Firing Line“ regelmäßig Streitgespräche mit prominenten Linksliberalen austrug. Buckleys Fernsehduelle mit dem Schriftsteller und Verschwörungstheoretiker Gore Vidal im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfs 1968 erzeugten mehr Hitze als Erleuchtung, dürfen aber dennoch zu den Höhepunkten jenes turbulenten Annus mirabilis der US-amerikanischen Zeitgeschichte gerechnet werden.

„Wir werden wohl in die Apokalypse schlittern“

Drei Jahre später nahm Noam Chomsky es mit dem damaligen Star-Intellektuellen Michel Foucault auf. Auf Einladung des holländischen Philosophen Fons Edlers lieferten beide Männer sich ein Ringen um die Frage nach dem Wesen der menschlichen Natur, bei dem Chomsky, der begabte Linguist und politische Anarchist, als Verfechter des westlichen Rationalismus und der Universalgrammatik ironischerweise auf der rechten Seite des Spektrums landete, während sein französischer Kontrahent sich für eine postmoderne Hermeneutik der Verdächtigung und eine klassenbasierte Soziologie stark machte.

Verglichen mit den damaligen Kämpfen um die Deutungshoheit war das müde Gerangel auf der Bühne des Sony Centre ein anschauliches Beispiel für die von Francis Fukuyama prophezeite Verflachung jener ideologischen Differenzen, die noch im Kalten Krieg über das geopolitische Schicksal ganzer Weltregionen entschieden. Frei nach Nietzsche sah Fukuyama in seinem vielzitierten Essay über das „Ende der Geschichte“ mit dem Sieg der liberalen Demokratie das Zeitalter des „letzten Menschen“ heranbrechen, eine bleierne Zeit der Kleingeister und Krämerseelen, denen Leidenschaften und wirkmächtige neue Ideen gleichermaßen fremd sind.

In Toronto erhielt das Publikum einen Vorgeschmack auf die geistigen Niedrigflüge, zu welchen diese letzten Menschen fähig sind: „Wir werden wohl in die Apokalypse schlittern.“ (Žižek) „Ich gehe nicht davon aus, daß wir die Probleme lösen können, denen wir uns gegenübersehen.“ (Peterson)

Zarathrusta hätte zu der Debatte einiges zu sagen

Nietzsche befürchtete, daß der Westen einem erdrückenden Nihilismus erliegen würde, wenn es nicht gelänge, eine neue Ethik „jenseits von Gut und Böse“ anstelle des morsch gewordenen Wertegerüsts zu setzen, das die Zivilisation seit der Antike gestützt hatte. Diese öde Einheitlichkeit schien ihm weit schlimmer als die furchtbare Zerstörungsgewalt der Dostojewski’schen Dämonen.

Am Ende der Debatte in Toronto waren sich Peterson und Žižek einig, daß Identitätspolitik, die Partikularinteressen über gesellschaftliche Kohäsion stellt, irgendwie so richtig schlimm ist und daß daran die „akademische Linke“ schuld ist. Offenbar definieren sich heute alle als Opfer – sogar diese beiden angesehenen Intellektuellen, die in Toronto angetreten waren, um der Gegenwartskultur des kulturellen Verzagens den Kampf anzusagen. Wäre Zarathustra im Publikum gewesen, hätte er womöglich also über die buntgesprenkelten Masken unserer gegenwärtigen Vordenker gesprochen:

„… so kam ich zu euch, ihr Gegenwärtigen, und in’s Land der Bildung…

aber wie geschah mir? So angst mir auch war, – ich mußte lachen! Nie sah mein Auge etwas so Buntgesprenkeltes!

Ich lachte und lachte, während der Fuß mir noch zitterte und das Herz dazu: ‘hier ist ja die Heimat aller Farbentöpfe!‘ ….

Mit fünfzig Klexen bemalt an Gesicht und Gliedern: so saßet ihr da zu meinem Staunen, ihr Gegenwärtigen!

Und mit fünfzig Spiegeln um euch, die eurem Farbenspiele schmeichelten und nachredeten!

Wahrlich, ihr könntet gar keine bessere Maske tragen, ihr Gegenwärtigen, als euer eignes Gesicht ist! Wer könnte euch – erkennen!“

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson bei einem früheren Auftritt Foto: picture alliance/Mikko Stig/Mikko Stig/dpa
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