Eine schallende Ohrfeige für regierende Politiker ist der Sieg der AfD bei den jüngsten Landtagswahlen. Wut, Entsetzen und Ratlosigkeit lösen die Erdrutschergebnisse bei politischen Gegnern und Beobachtern in den Medien aus. Mit über 27 Prozent in Sachsen und 23 Prozent in Brandenburg fuhr die erst sechs Jahre junge Partei neue Rekorde ein und wurde zweitstärkste Kraft.
Nun ist wieder von „abgehängten Regionen“ die Rede, vom mangelnden Respekt vor „Ostbiographien“, die SPD glaubt ernsthaft, mit einer „Grundrente“ Bürger wieder ruhigstellen zu können. Der BDI, der eben noch vor der Wahl der AfD warnte, will zur Belohnung im Osten mehr Geld „in die Infrastruktur“ pumpen, „die Menschen und Unternehmen voranbringt“.
Als ob es um Geld ginge. Wie kann man nur über diese Wahl sprechen, ohne die elementare Erschütterung in den Blick zu nehmen, die die Grenzöffnung 2015 besonders im Osten auslöste? Daß die Sicherung der Staatsgrenze und eine unkontrollierte illegale Masseneinwanderung an die Frage nationaler Identität rührt. Die Ignoranz gegenüber dieser Erschütterung gründet in einer Aversion, die dreißig Jahre zurückreicht.
Fast geschlossene gesellschaftliche Abwehrfront
Bei den Massendemonstrationen der DDR-Opposion im Oktober 1989 lautete der zentrale Ruf: „Wir sind das Volk!“ Nach dem Mauerfall am 9. November 1989 lautete er plötzlich von Leipzig bis Ost-Berlin: „Wir sind ein Volk“ – in Kombination mit der skandierten Forderung „Deutschland einig Vaterland“. Die CDU unter Helmut Kohl und Lothar de Maizière setzte sich damals an die Spitze der Mehrheit, die eine Wiedervereinigung forderte – und keine reformierte DDR eines „dritten Weges“, wie es linke Bürgerrechtsgruppen oder die SED/PDS wollten. Mit einer „Allianz für Deutschland“ gewann de Maizière 1990 die erste freie Volkskammerwahl – nicht nur der Name erinnert zufällig an die AfD.
Damals rümpften Intellektuelle die Nase über das aufkommende Grundgefühl aus Sehnsucht nach demokratischer Freiheit und nationaler Einheit. Ein neuer Nationalismus sei im Entstehen, das „vierte Reich“ drohe. „Wir sind ein Volk“ beantworteten Linksradikale (von Konkret bis zur taz) mit „Nie wieder Deutschland“-Demonstrationen. Der westdeutschen politisch-medialen Klasse, die sich in einer postnationalen Ära wähnte, war die Forderung nach Wiedervereinigung suspekt, es war ein unerwünschtes Danaergeschenk, das die „Ossis“ da plötzlich anboten. Rudolf Augstein, der im Spiegel eine Lanze für die Einheit brach, wurde als Nationalist beschimpft.
Der Schriftsteller Bernhard Schlink beschrieb in der FAZ kürzlich das Motiv für das Anschwellen der Empörung, das entscheidend zum Aufstieg der AfD beiträgt. Umfragen zeigten, so Schlink, daß zwei Drittel der Bürger überzeugt seien, man müsse heute aufpassen, zu „welchen Themen man welche Meinungen äußert“. Dazu gehöre insbesondere im Osten das Bekenntnis „zu Nation, deutscher Kultur und homogener Bevölkerung“. Der gesellschaftliche und politische Mainstream sei enger, „moralisch rigider“ geworden, insbesondere abweichende rechte, konservative Stimmen kämen nicht mehr ausreichend zu Wort.
Peter Altmaier, CDU-Wirtschaftsminister und Merkel-Adept, widersprach Schlink in einem Gegenaufsatz. Der Mainstream sei nicht enger, sondern „ausgewogener und umfassender als je zuvor“, man könne sich heute zu allem „öffentlich und gefahrlos positionieren“, unsere Gesellschaft sei „lässiger, toleranter und entspannter“ geworden. Eine Nachwahlbefragung in Sachsen ergab nun, daß 98 Prozent der AfD-, aber auch 50 Prozent der Grünen-Wähler meinten, „bei bestimmten Themen wird man heute ausgegrenzt, wenn man seine Meinung sagt“. Eine Realität, auf die die Nomenklatur der Altmaier-CDU jetzt schmerzhaft gestoßen wird.
Der Erfolg der AfD ist außergewöhnlich, weil er gegen eine fast geschlossene gesellschaftliche Abwehrfront errungen wurde. Gerade im Osten haben Bürger, die Erfahrung der DDR im Gedächtnis, ein feines Sensorium für Meinungslenkung, Zusammenrotten gegen Andersdenkende, flächendeckende Attacken der Antifa gegen die AfD, das Kollektiv-Mobbing in den Medien.
Immer mehr Bürger haben es deshalb besonders im Osten satt, einem betreuten Denken zu folgen, sich von oben vorschreiben zu lassen, was eine demokratische Wahl bedeutet. Dazu gehört auch, daß die SED-Erben, die sich nie vollständig von der totalitären Ideologie des marxistischen Sozialismus distanziert haben, zu den „demokratischen Parteien“ zählen sollen, die AfD aber nicht.
Es gäbe eine klare nicht-linke Mehrheit
Mit der totalen Absage an die AfD verstärkt die CDU diesen Effekt. Sie begibt sich zudem in eine strategische Geiselhaft der Grünen. Speziell in Sachsen gibt es eine klare nicht-linke Mehrheit: CDU und AfD stellen im Landtag fast 70 Prozent der Mandate. Durch die einseitige Festlegung können die Grünen nun der CDU beliebig Zugeständnisse abpressen.
Wenn die AfD jetzt den politischen Gegnern nicht den Gefallen tut, sich zu radikalisieren und das verzerrte Bild anzunehmen, das von ihr medial gezeichnet wird, sondern künftig auch stärker in die Mitte integriert, dann wird sie die ehemals großen Parteien weiter vor sich hertreiben können. Der Ausschluß der schleswig-holsteinischen Landesvorsitzenden Doris von Sayn-Wittgenstein ist ein wichtiges Signal politischer Seriosität. Daß Alexander Gauland die AfD demonstrativ als „bürgerlich“ bezeichnet, soll eine Botschaft nach außen, vor allem aber wohl nach innen zu sein.
Die sprunghaft gestiegene Wahlbeteiligung zeigt: Mit der AfD ist die parteipolitische Landschaft lebendiger geworden – Konkurrenz belebt das Geschäft und animiert die Bürger, zu wählen. Es wäre jetzt Aufgabe der Gesellschaft, vorneweg der Medien, diese Botschaft der Wähler zu verstehen und endlich für eine breitere, offenere und fairere Debatte zu sorgen.