Anzeige
Anzeige

„Aufstehen“: Spaltet eine „Sammlungsbewegung“ die deutsche Linke?

„Aufstehen“: Spaltet eine „Sammlungsbewegung“ die deutsche Linke?

„Aufstehen“: Spaltet eine „Sammlungsbewegung“ die deutsche Linke?

Wagenknecht
Wagenknecht
Sahra Wagenknecht: Die Linken-Fraktionschefin sammelt Unterstützer für ihre „Aufstehen“-Bewegung Foto: picture alliance/dpa
„Aufstehen“
 

Spaltet eine „Sammlungsbewegung“ die deutsche Linke?

Das linke Spektrum ist in heller Aufregung. Diesmal geht es nicht um Donald Trump, die AfD oder sonstigen „Rechtspopulismus“, sondern um die Sammlungsbewegung „Aufstehen“, mit der Sahra Wagenknecht einen Frontalangriff auf das herrschende Selbstverständnis von SPD, Grünen und Linkspartei gestartet hat. Ein Kommentar von Björn Schumacher.
Anzeige

Das linke Spektrum ist in heller Aufregung. Diesmal geht es nicht um Donald Trump, die AfD oder sonstigen „Rechtspopulismus“, sondern um jene Sammlungsbewegung „Aufstehen“, mit der Sahra Wagenknecht, Grande Dame des deutschen Sozialismus, mittlerweile 60.000 registrierte Sympathisanten um sich geschart hat. Am Montag erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Kommentar, der sich zwischen Zustimmung und Ablehnung zu dem Projekt nicht entscheiden konnte.

„Tatsächlich gibt es links eine Lücke“, dozierte SZ-Redakteur Jens Schneider, „die Möglichkeiten des Internets nutzen vor allem hyperaktive rechte Aktivisten, die einen riesigen Resonanzraum aufgebaut haben, ohne den die AfD nie ihre Stärke erreicht hätte. Sie trüben, obwohl in der Minderheit, das politische Klima.“ Andererseits kamen ihm gravierende Bedenken: „Wagenknecht ist dabei auch ein Hindernis. Zwar wäre das Projekt ohne sie schwer vorstellbar, aber mit ihr funktioniert es vielleicht gar nicht.“

Beinharter Konkurrenzkampf statt internationale Solidarität

Bereits Ende Juli hatte Martina Meckelein anklingen lassen, daß Wagenknechts „Sammlungsbewegung“ für deutsche Mainstream-Linke schwer verdauliche Kost enthalten und sich zum linken Spaltpilz entwickeln könnte. „Aufhorchen“ lasse die Forderung nach einer besseren Ausstattung von Polizei und Justiz oder der „Wahrung kultureller Eigenständigkeit“ und dem „Respekt vor Tradition und Identität“.

Bei Lichte besehen haben Wagenknecht und ihr Ehemann Oskar Lafontaine einen Frontalangriff auf das herrschende Selbstverständnis von SPD, Grünen und Linkspartei gestartet. 170 Jahre nach dem „Kommunistischen Manifest“ mit seinem berühmten Appell „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ wollen beide den linken Internationalismus, die wohl größte Lebenslüge von Marx und Engels, im ideologischen Restmüllcontainer entsorgen.

Es gab und gibt keine internationale Solidarität zwischen lohn- und gehaltsabhängigen Arbeitern und Angestellten, jedenfalls nicht als Massenphänomen. Ebensowenig wird es zu einer Verbrüderung von Hartz-IV-Empfängern mit Migranten kommen, höchstens zum beinharten Konkurrenzkampf um die derzeit noch gut gefüllten Fleischtöpfe sozialer Grundversorgung.

„Alle Menschen werden Brüder“ − das war bei allem Respekt für Friedrich von Schiller stets ein Ausdruck utopistischer Einfalt. Eine solche Haltung mag das Wohlgefühl von Latte-Macchiato-Besserverdienenden steigern, die das notorisch schlechte Gewissen einer Überflußgesellschaft mit den Ersatzreligionen des Multikulturalismus, Antirassismus und ethischen Universalismus bekämpfen wollen. Vom klassischen Wählerstamm der SPD, aber auch der Linkspartei ist dieses Juste Milieu aber ebenso weit entfernt wie die auf Political Correctness eingeschwenkten Kirchenfunktionäre (Bischöfe) der Republik.

Demokratie ist kein hermetisch abgeriegelter Raum

Man muß keineswegs ins andere Extrem verfallen und mit Thomas Hobbes, dem großen Skeptiker unter den neuzeitlichen Staatsphilosophen, eine Anthropologie des „Homo homini lupus“ („Der Mensch ist des Menschen Wolf“) entwerfen. Eine Nummer kleiner brachte es John Mendelsohn, US-amerikanischer Rockmusikkritiker, auf den Punkt, als er den Unwillen fast aller Kulturschaffenden geißelte, ein „verwegenes Thema wie den Konservatismus der kleinen Leute“ zu verarbeiten.

Wagenknecht und Lafontaine ist der „Konservatismus der kleinen Leute“ bestens vertraut. Internationalismus und Globalisierung passen nicht in deren Welt. Sie sind Komplementärideologien des von Wagenknecht so genannten Goldmann-Sachs-Kapitalismus. Wer sich als Sozialist unbeirrt zum Internationalismus bekennt, verkommt zum „nützlichen Idioten“ (Lenin) eines solchen Kapitalismus.

Auch angesichts einer auf strikte Globalisierung setzenden Merkel-CDU, die beim Begriff „Wohl des deutschen Volkes“ eher an die Bilanzen der Deutschen Bank und die Exporte von Volkswagen denkt, kann die linksnational inspirierte Sammlungsbewegung zum Gewinn werden. Das gilt selbst dann, wenn man ihren sozialistischen Kern mit seinen Umverteilungsforderungen klar zurückweist.

Demokratie ist kein hermetisch abgeriegelter Raum für selbsternannte Kosmopoliten und egalitaristische Moralprediger. Sie lebt vom diskursiven Wettstreit möglichst vieler Weltanschauungen.

Sahra Wagenknecht: Die Linken-Fraktionschefin sammelt Unterstützer für ihre „Aufstehen“-Bewegung Foto: picture alliance/dpa
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag