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„Stille Nacht, heilige Nacht“: Sieg über die Dunkelheit

„Stille Nacht, heilige Nacht“: Sieg über die Dunkelheit

„Stille Nacht, heilige Nacht“: Sieg über die Dunkelheit

Gerrit van Honthorst: „Anbetung der Hirten“
Gerrit van Honthorst: „Anbetung der Hirten“
Gerrit van Honthorst: „Anbetung der Hirten“ Foto: picture alliance / akg
„Stille Nacht, heilige Nacht“
 

Sieg über die Dunkelheit

Vor 200 Jahren entstand in Österreich das Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“, wurde in die Welt hinausgetragen und zur Hymne der Weihnacht. Die Bedeutung der „Stillen“ und „Heiligen Nacht“ erschließt sich aber nur, wer den Kontrast zwischen älteren Vorstellungen und der christlichen Botschaft von der Geburt des Erlösers kennt. Ein Kommentar von Karlheinz Weißmann.
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Auch in diesem Jahr wird „Stille Nacht“ in vielen Gottesdiensten und Familien, bei Konzerten oder Feiern im kleinen Kreis gesungen. Mal kunstvoll und mal so, daß es den Ohren weh tut, mal andächtig und mal so zerdehnt, daß es kaum zu ertragen ist. Aber „Stille Nacht“ gehört zu Weihnachten wie der Christbaum und die Bescherung. Vor zweihundert Jahren ist dieses Lied entstanden, auf der Grundlage eines Gedichtes, das der katholische Hilfsgeistliche Joseph Mohr schon 1816 abgefaßt hatte, und einer Melodie, die der Dorfschullehrer Franz Xaver Gruber auf seinen Wunsch hin komponierte.

Am 24. Dezember 1818 wurde „Stille Nacht“ in der Schifferkirche St. Nikola zu Oberndorf bei Salzburg ein erstes Mal zu Gehör gebracht. Beides, Worte wie Weise, haben im Lauf der Zeit gewisse Veränderungen erfahren, aber im großen und ganzen singen wir heute immer noch dasselbe Lied.

Allerdings sind von den ursprünglich sechs Strophen nur noch drei erhalten geblieben: die erste, in der es um die Heilige Familie geht, die zweite, die auf Christus als das Retterkind Bezug nimmt, und die dritte, die die Engel und die Hirten als Verkünder der Frohen Botschaft auftreten läßt. Weggefallen sind diejenigen Verse, die sich auf die Menschwerdung Gottes, die durch den Sohn gestiftete neue Gemeinschaft und die Versöhnung mit dem Zorn Gottes beziehen:

Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Die der Welt Heil gebracht,
Aus des Himmels goldenen Höh’n,
Uns der Gnade Fülle läßt seh’n
Jesum in Menschengestalt!
Jesum in Menschen-Gestalt!

Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Wo sich heut alle Macht
Väterlicher Liebe ergoß,
Und als Bruder huldvoll umschloß
Jesus die Völker der Welt!
Jesus die Völker der Welt!

Stille Nacht! Heil’ge Nacht!
Lange schon uns bedacht,
Als der Herr vom Grimme befreyt,
In der Väter urgrauer Zeit
Aller Welt Schonung verhieß!
Aller Welt Schonung verhieß! 

Daß ausgerechnet diese Zeilen in Vergessenheit gerieten, dürfte kein Zufall sein. Wahrscheinlich hat der Erfolg des Liedes auch damit zu tun, daß jene Elemente verschwanden, die theologisches Schwergewicht hatten und darüber hinaus die katholische Prägung des Verfassers offenbarten. Was übrig war, wird im 19. Jahrhundert weder dem Protestanten noch dem Durchschnitts- noch dem kirchenfernen Kulturchristen anstößig gewesen sein. Ganz im Gegenteil, und das erklärt auch, warum das Lied so rasch in aller Welt bekannt und in mehr als fünfzig Sprachen übersetzt wurde. Viele Amerikaner etwa sind überzeugt, daß es sich um ihre ureigenste Schöpfung handelt.

Diese Anziehungskraft hat mit einem sentimentalen Ton des Liedes zu tun, der leicht ins Kitschige umschlägt. Doch bevor man sich diese Ansicht zu eigen macht, sollte die Entstehung noch einmal betrachtet werden. Als „Stille Nacht“ geschaffen wurde, war die Nacht für die meisten Menschen kein Gegenstand romantischer Empfindungen. Das galt auch und gerade für die winterliche Dunkelheit, wenn Weihnachten bevorstand.

Eine Zeit, in der die Toten besonders nahe waren

Den meisten ist gar nicht bewußt, daß diese Bezeichnung eigentlich auf einen vorchristlichen Ursprung hinweist. Die „geweihten“ oder „Rauhnächte“ zwischen dem 24. Dezember und dem 6. Januar, „zwischen den Jahren“, waren ein heikles Datum, vor allem eine Zeit, in der die Toten besonders nahe waren. In Tirol wird bis heute das Haus vor Heiligabend „ausgeräuchert“, um die bösen Geister zu vertreiben, und den Tisch deckte man auch für den jüngst Verstorbenen. In Finnland gibt es noch den Brauch, sich nach der Christnachtsfeier auf dem Friedhof zu versammeln und gemeinsam ein Glas Hochprozentiges zu trinken, jede Familie am Grab ihrer Vorfahren, denen man ein Glas auf den Stein stellt, dessen Inhalt dann auf die Erde gegossen wird.

Das erinnert an heidnische Bräuche, das Trankopfer, die „Libation“. Und für einen solchen Zusammenhang sprechen auch mittelalterliche Berichte über die Speiseopfer, die man zu Weihnachten beziehungsweise zwischen Neujahr und Dreikönig in vielen Gegenden Europas darbrachte, den Alpenländern, Böhmen und Schweden. Dasselbe geschah in Serbien, wo man auch an die Wiederkehr der Toten in der Weihnachtszeit glaubte. Eine Vorstellung, deren Überreste bis Ende des 20. Jahrhunderts sogar in Niederdeutschland erhalten blieben.

Der Sinn von Weihnachten läßt sich niemals ganz begraben

Die Bedeutung der „Stillen“ und „Heiligen Nacht“ erschließt sich deshalb nur dann, wenn man den eher düsteren Hintergrund kennt und den Kontrast zwischen älteren Vorstellungen und denen, die auf die christliche Botschaft von der Geburt des Erlösers zurückgehen. Deren Sinn will sich heute vielen Menschen nicht mehr recht erschließen. Aber der Dirigent Enoch zu Guttenberg hat einmal über die Wirkung der Musik gesagt, daß sie auf deren „Wahrhaftigkeit“ beruhe und als Beispiel hinzugefügt: „Denken Sie an die Soldaten im Ersten Weltkrieg, die ‘Stille Nacht, heilige Nacht’ in den Schützengräben gesungen und dabei geweint haben, weil sie eine Ahnung von Frieden empfanden.“

Das Beispiel war nicht zufällig gewählt, sondern bezog sich auf eine Wahrnehmung, die von der Wirklichkeit der Angst in der Dunkelheit wie der Frohen Botschaft lebte. Was für unsere Gegenwart immerhin bedeuten mag, daß sich der Sinn von Weihnachten niemals ganz unter Sentimentalität, Geschmacklosigkeit, Kaufrausch, Partystimmung und „Jingle Bells“ begraben läßt. Im Kern geht es um die „Stille Nacht“, die „Heilige Nacht“.

JF 52/18 – 1/19

Gerrit van Honthorst: „Anbetung der Hirten“ Foto: picture alliance / akg
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