Über die Zukunft der Europäischen Währungsunion kann nur urteilen, wer die Gründe für deren Entstehung kennt. Der frühere Bundeskanzler Helmut Kohl ließ uns glauben, die Europäische Währungsunion und die Aufgabe der D-Mark seien ein Friedensprojekt. In Wirklichkeit sollten die D-Mark abgeschafft und die Deutsche Bundesbank entmachtet werden. Sie war schon lange im Visier der französischen Regierung. Die Zustimmung Frankreichs zur deutschen Wiedervereinigung kann als Schrittmacher gelten.
Die Stimmverteilung im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat die Entmachtung der Bundesbank festgeschrieben: Sie hat dort eine Stimme ebenso wie Malta, Zypern oder Luxemburg. Sie wird derzeit regelmäßig überstimmt. Aber die Entmachtung der Bundesbank war letztlich ein Pyrrhussieg für die französische Regierung und alle Mitgliedstaaten der Währungsunion. Sie haben zwar geldpolitische Souveränität gewonnen, weil sie auf die gemeinschaftliche Währung im nationalen Sinne Einfluß nehmen können, doch haben sie ihre Souveränität über internationale Konkurrenzfähigkeit und nationale Beschäftigung verloren.
Jede Volkswirtschaft hat drei Aktionsparameter zur Sicherung internationaler Konkurrenzfähigkeit: Zinsen, Wechselkurse und Löhne. Bei einer Währungsunion werden Zinsen und Wechselkurse vergemeinschaftet. Verliert ein Mitgliedsland seine internationale Wettbewerbsfähigkeit, kann es nicht mehr abwerten, um durch Verbilligung seiner Exporte die interne Beschäftigung zu sichern und um Devisen zur Begleichung seiner Schulden zu erwirtschaften. Die verschuldeten Länder müssen durch Haushaltskürzungen und Lohnsenkungen den falschen Wechselkurs – ein für diese Länder überbewerteter Euro – kompensieren, die härteste Form der Anpassung.
Der Euro kann jederzeit auseinanderbrechen
Kanzlerin Merkel hat darauf bestanden, daß die notleidenden Schuldnerländer sich an Regeln halten, um von den Schulden herunterzukommen. Sie hätten auch strukturelle Reformen anpacken müssen, um finanzielle Notoperationen überflüssig zu machen. Die Koalition aus „Fünf Sterne“ und „Lega“ in Italien zeigt uns allen nun, daß sie sich nicht um ihre europäische Verantwortung schert, obwohl die Nullzinspolitik von EZB-Präsident Draghi und sein Programm zum Ankauf von Staatsanleihen die Zinslast gerade des überschuldeten Italien stark gesenkt haben.
Sie haben auch dafür gesorgt, daß sich die Investitionsfähigkeit belebt hat und die Arbeitslosigkeit zurückgegangen ist. Doch sind bloß oft prekäre Arbeitsverhältnisse entstanden, und die Löhne verharren auf einem niedrigen Stand. Die Menschen arbeiten zwar mehr, aber für weniger Geld. Das ist kein Zustand, der über Jahre durchgehalten werden kann. Wenn Draghis Nullzinspolitik ausläuft, der Ankauf von Staatsanleihen eingeschränkt wird und damit die Zinsen steigen, steht die Eurozone wieder vor dem Abgrund. Draghi selbst nennt den Euro fragil. Jederzeit kann er auseinanderbrechen.
Am 15. Juli 2015 sind die Weichen endgültig in Richtung Transferunion gestellt worden. Wolfgang Schäuble, unser früherer Finanzminister, hatte 15 Mitglieder der Eurogruppe dafür gewonnen, Griechenland weitere Kreditspritzen zu versagen. Dann wäre es bankrott gewesen und hätte aus der Eurozone ausscheiden müssen. Daraufhin hat der damalige französische Staatspräsident, François Hollande, die Bundeskanzlerin überzeugt, Schäuble zurückzupfeifen, weil das Ausscheiden Griechenlands den Märkten signalisiere, daß die Währungsunion nicht unauflöslich sei und Spekulationen gegen Wackelkandidaten ausgelöst werden könnten. Hätte Schäuble ein Rückgrat gehabt, wäre er zurückgetreten.
Wenn alle Verantwortung tragen, ist in Wirklichkeit niemand verantwortlich
Die Marschroute der Kanzlerin – die überschuldeten Mitgliedstaaten versuchen ihre finanziellen Verpflichtungen abzubauen und wir helfen ihnen dabei – lautet jetzt: Was auch passiert, wer Mitglied der Eurozone ist, bleibt es auf Ewigkeit. Es muß daher alles finanziell Mögliche getan werden, um das sicherzustellen. Insofern sind die Vorschläge von Jean-Claude Juncker und Emmanuel Macron, die natürlich aufeinander abgestimmt waren, konsequent. Wenn es der politische Wille ist, daß ein Land nicht mehr aus der Währungsunion ausscheiden soll, dann müssen die Schulden vergemeinschaftet werden.
Dann aber gilt: Kann sich ein Land darauf verlassen, daß andere für seine Schulden einstehen, dann muß es sich nicht länger disziplinieren. Wenn alle Verantwortung tragen, ist in Wirklichkeit niemand verantwortlich. Ein solches – sozialistisches – System hat in der Welt noch nie funktioniert. Natürlich wird sich unsere Kanzlerin zunächst sträuben, aber schließlich wird sie auf Macrons und Junckers Linie einschwenken, hat sie doch selbst den Euro für alternativlos erklärt.
Hiergegen wehrt sich der Aufruf der 154 Professoren: „Der Euro darf nicht in die Haftungsunion führen.“ (Siehe JF S. 10) Er ist Wort für Wort richtig. Seine politischen Empfehlungen sollen die Währungsunion auf festen Boden stellen, doch verstoßen sie gegen das Dogma der Unauflöslichkeit der Währungsunion. Daher predigen die Professoren tauben Ohren. Sie kommen mir vor wie der Chor in der griechischen Tragödie der Antike: Er kann jammern, warnen und raten, er hat aber keinen Einfluß auf den Gang des Geschehens.
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Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und Mitglied des EU-Parlaments. 2015 trat er aus der AfD aus und schloß sich der neuen Allianz für Fortschritt und Aufbruch, nun Liberal-Konservative Reformer (LKR) an.
JF 22/18