Rabies theologorum, die „Streitsucht der Theologen“, war einmal sprichwörtlich. Gemeint in dem Sinn, daß ausgerechnet Gottesmänner eine Neigung haben, Konflikte untereinander mit besonderer Härte zu führen, ganz ohne Barmherzigkeit, den persönlichen Angriff so wenig scheuend wie das Herabbeschwören ewiger Verdammnis auf den Feind, der oft genug ein Kollege ist. In der Gegenwart schien dieser Kampfgeist ganz erloschen. Was natürlich wegen der stets unerfreulichen Begleiterscheinungen sein Gutes hat.
Allerdings darf man nicht vergessen, daß es den Beteiligten um hoch wichtige, nämlich Glaubensfragen ging und eine gewisse Unerbittlichkeit deshalb verständlich ist. Der Bedeutungsverlust der Kirche, der Theologie, der christlichen Religion überhaupt in der westlichen Welt hat eben nicht nur allgemeines Desinteresse zur Folge, sondern auch eine wachsende Neigung ihrer Diener, die eigene Sache nicht recht ernst zu nehmen.
„Wischiwaschi-Theologie“
Deshalb überrascht die Intensität, mit der jetzt ein Konflikt aufflammt, in dem sich der „Cheftheologe“ der EKD Thies Gundlach und der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann als Vorkämpfer gegenüberstehen. Soweit das von außen erkennbar wird, spielen persönliche Animositäten eine Rolle, auch Bestreitung der wissenschaftlichen Qualifikation, Querelen um die Besetzung von Posten, Durchstechereien mit der Presse (insbesondere der FAZ), aber es scheint doch auch um ein inhaltliches Problem zu gehen.
Das wird deutlich an dem von Gundlach erhobenen Vorwurf, daß die theologische Lehre keinen produktiven Beitrag zum Lutherjahr leiste, was Kaufmann damit kontert, daß es den kirchlichen wie den staatlichen Veranstaltern an historisch-kritischem Bewußtsein in bezug auf die Bedeutsamkeit des Jubiläums 1517–2017 fehle und sie sich weigerten, die Reformation als Ganzes – also unter Einbeziehung Zwinglis und Calvins – zu sehen, sondern allein der deutsche Reformator im Mittelpunkt stehe.
In der Sache kann man Gundlach kaum widersprechen. Es drängt sich aber die Frage auf, warum alles, was die EKD selbst zum Thema sagt, so außerordentlich dürftig ist. Hat man etwa übersehen, daß mit Margot Käßmann jemand zur Galionsfigur der „Lutherdekade“ gemacht wurde, der für alles mögliche, aber nicht für eine konturscharfe Position steht. Auch wenn das heute vergessen ist: Bevor Frau Käßmann 1999 Bischöfin der hannoverschen Landeskirche – der größten lutherischen Landeskirche der EKD – wurde, hatten Theologen noch gewarnt, daß sie keinesfalls in deren Tradition gehöre, sondern eine „Wischiwaschi-Theologie“ vertrete.
EKD will von Luther ablenken
Insofern ist nicht verwunderlich, daß das, was man heute von seiten der EKD als Handreichung für das Jubiläum zu sehen bekommt, so wenig hergibt. Nichts von dem, was man in irgendeiner Weise als „lutherisch“ betrachten kann – Rechtfertigungslehre, allgemeines Priestertum, Neubestimmung im Verhältnis von Mensch und Welt – kommt in dem vor, was man dem breiten Publikum präsentiert. Was vorkommt, ist Unverbindliches, Amüsement und jede Menge Geschichte.
Das nährt offenbar die Gereiztheit Kaufmanns, der seine Position als Meisterdeuter der Reformation in Gefahr sieht. Deshalb erweckt er den Eindruck, als wolle die Kirchenführung eine Art monumentaler Historienbetrachtung im Stil des 19. Jahrhunderts durchsetzen. Das ist kaum plausibel. Eher wird man in der ständigen Betonung, es handle sich um ein Reformations-, nicht um ein Luther-Jubiläum das Bemühen der EKD erkennen dürfen, von der Person des unbequemen Mannes lieber abzusehen, ihn postmodern aufzubereiten oder ins Belanglos-Vergangene abzuschieben.
Kaufmanns Attacke stößt deshalb ins Leere. Mehr noch, sie beschädigt die Einsichten, die er selbst einmal stark gemacht hat: daß Luther „dem Christentum die Religion und die Religion der Welt erschlossen“ habe, ein Mann, der den Glauben in einer Weise geprägt hat, wie kaum ein anderer, und nicht zuletzt einer, den man nicht aus den Umständen ableiten kann, „eine Person, an der und durch die etwas geschah, das sich nicht aus der Wirklichkeit seiner Zeit, aus den Ordnungen seiner Welt, aus der Verfaßtheit seiner Kirche heraus erklären ließ.“