Die Unverfrorenheit, mit der die Kanzlerin und vor allem CSU-Chef Horst Seehofer die Wähler mit ihrem faulen Kompromiß zur angeblichen „Obergrenze“ für die Aufnahme sogenannter „Flüchtlinge“ für dumm verkaufen wollen, sucht ihresgleichen. Schon der Begriff ist ein Etikettenschwindel. Ginge es nur um tatsächlich Verfolgte und Asylberechtigte, bräuchte man gar nicht darüber zu reden: Das betraf im vergangenen Jahr keine tausend von den Hunderttausenden, die über die Grenzen geströmt sind.
Es geht also um irreführend als „Flüchtlinge“ deklarierte illegale Einwanderer. Mit allerlei Rechentricks – Abgeschobene, freiwillig Ausreisende, in der EU Umverteilte und Antragsteller aus zurückliegenden Jahren sollen herausfallen – will man suggerieren, ihre Zahl solle zweihunderttausend im Jahr nicht überschreiten. Nur damit Horst Seehofer diese willkürlich aus der Luft gegriffene Marke zu Hause als Erfolg verkaufen kann.
Selbst das würde bedeuten, daß Jahr für Jahr die Einwohnerzahl einer Großstadt wie Kassel oder Rostock in die Sozialsysteme einwandern würde – mehr als viermal so viele wie die USA aufzunehmen gedenken, für die die jährliche Festsetzung von Obergrenzen nach dem Maß des Verkraftbaren offenbar kein Problem darstellt.
Aber dabei wird es nicht bleiben. Zahlreiche Migrantenströme sind in der Rechnung gar nicht enthalten: die hunderttausendfache EU-Binnenzuwanderung aus Rumänien und Bulgarien etwa oder die großzügig verteilten Visa für Einwanderer vom Westbalkan, die den massenhaften Asylmißbrauch eindämmen sollten – Zehntausende sind seit Jahresbeginn allein auf diesem Weg gekommen.
Die Obergrenze wird zur Farce
Zudem ist der Formelkompromiß der Unionsparteien nur eine unverbindliche Absichtserklärung. „Wir wollen erreichen“, heißt es in der zentralen Passage; da ist das Verfallsdatum zu Beginn der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen schon eingepreist. Und jenseits aller Rechenkunststückchen wird nach wie vor niemand an der Grenze abgewiesen. Wer sie überschreitet und „Asyl“ sagt, bekommt ein Verfahren, mit dem er sich den Aufenthalt ersitzen kann.
Ohne wirksame Schließung der Grenzen ist jede vorgebliche „Begrenzung“ eine Farce. Wie gehabt, will man sich von anderen abhängig machen: von europäischer Grenzsicherung, von nebulöser „Bekämpfung von Fluchtursachen“ in den Herkunftsländern oder von fragwürdigen Abkommen wie dem Türkei-Deal. Das CDU/CSU-„Regelwerk zur Migration“ ist somit ein Schönwetterpapier, das spätestens dann zur Makulatur wird, wenn die nächste Einwanderungswelle vor der Tür steht. Sollte das „wider Erwarten“ eintreten, werden Bundesregierung und Bundestag eben „geeignete Anpassungen“ beschließen.
Im Klartext: Die genannte Phantasiezahl gilt so lange, bis sie erreicht wird. Einen Plan für den Ernstfall will man heute wie damals nicht; das Unionspapier ist ein Dokument fortgesetzter Realitätsverweigerung und Lernresistenz. Was noch schwerer wiegt ist die Arroganz, mit der sich zwei Parteichefs anmaßen, durch einen einsamen Beschluß mal eben bestehendes Verfassungs- und Europarecht zum Asylverfahren zu entsorgen. Nach dem geltenden, von der Regierung Merkel schlicht nicht mehr angewendeten Artikel 16a des Grundgesetzes gilt für illegale Einwanderer, die als „Asylbewerber“ über sichere Drittstaaten kommen, nämlich „Obergrenze null“. Seehofer und Merkel machen daraus per Federstrich „200.000 plus X“.
Ihr Kompromiß bedeutet de facto die Legalisierung illegaler Einwanderung über Pseudokontingente. Und nebenbei erledigen sie auch noch das Dublin-System und das europäische Asylrecht, das sie für reformbedürftig erklären. Wie Hohn muß auf rechtstreue Bürger die Ankündigung wirken, man wolle die „Anstrengungen verstärken“, um „vollziehbar Ausreisepflichtige schnellstmöglich zurückzuführen“. Obwohl die Zahl der abgelehnten Asylanträge in den letzten Jahren sprunghaft gestiegen ist, stagniert die Zahl der Abschiebungen und dürfte in diesem Jahr sogar zurückgehen.
Einige Bundesländer begehen massiven Rechtsbruch
Faktisch finden Abschiebungen kaum noch statt und werden in einigen Bundesländern wie Berlin oder Thüringen offen sabotiert. Zu diesem staatlich geförderten Rechtsbruch fällt den Unionsparteien nichts ein. Und wenn doch, änderte dies nach dem faulen Kompromiß doch nichts an der Überlastung von Staat und Sozialkassen: Denn aufgrund des kuriosen Aufrechnungssystems, das CDU und CSU sich ausgedacht haben, dürfte für jeden abgeschobenen Illegalen ein anderer nachkommen.
Die Ankündigungen, grenznahe Asylzentren einzurichten und die Zahl der sicheren Herkunftsländer auszuweiten, sind durchschaubar lediglich Verhandlungsmasse für die Koalitionsgespräche mit den Grünen, die diese Forderungen strikt ablehnen. Für die FDP ist als Köder eine schwammige Formulierung zur „Fachkräfte“-Zuwanderung gedacht. Auch das ist entweder sinnlos oder eine weitere Hintertür, solange die massive illegale Einwanderung über den Asylmißbrauch nicht abgestellt wird.
Was CDU und CSU da ausgeheckt haben, taugt allenfalls als Einladungsschreiben zu „Jamaika“-Koalitionsverhandlungen, die Angela Merkel noch einmal die Kanzlerschaft retten sollen, löst aber kein einziges Problem. Spätestens wenn die Migrationsströme im nächsten Frühjahr wieder anschwellen, kann Horst Seehofer schon mal überlegen, ob er die „Obergrenze“ für das CSU-Ergebnis bei der nächsten bayerischen Landtagswahl von 40 Prozent minus X auf 30 Prozent minus X herabsetzen will.
JF 42/17