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Interview: Eine Nacht auf dem Flughafen Köln/Bonn

Interview: Eine Nacht auf dem Flughafen Köln/Bonn

Interview: Eine Nacht auf dem Flughafen Köln/Bonn

Flughafen
Flughafen
Flughafen Köln/Bonn Foto: JF
Interview
 

Eine Nacht auf dem Flughafen Köln/Bonn

Das Gerücht hält sich hartnäckig: Tausende Flüchtlinge, die nachts über den Flughafen Köln/Bonn nach Deutschland geschleust werden. Bundesinnenministerium und Flughafenbetreiber dementieren, trotzdem ist die Geschichte nicht totzukriegen. Die JF hat sich deshalb vergangene Nacht selbst ein Bild gemacht.
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Das Gerücht hält sich hartnäckig: Tausende Flüchtlinge, die nachts über den Flughafen Köln/Bonn nach Deutschland geschleust werden. Bundesinnenministerium und Flughafenbetreiber dementieren, trotzdem ist die Geschichte nicht totzukriegen. Auch uns erreichen zahlreiche Anrufe und Zuschriften von Lesern, die uns bitten, der Sache nachzugehen. Wir haben uns deshalb vergangene Nacht selbst ein Bild gemacht und JF-TV-Reporter Marco Pino zum Flughafen Köln/Bonn geschickt.

Marco, Du bist eben vom Flughafen Köln-Bonn zurück, wo Du die Nacht verbracht hast, um einem Gerücht nachzugehen, über das wir gestern auf JF-Online berichtet haben. Angebliche Flüchtlingsflieger, die heimlich mit Tausenden Asylsuchenden nachts in Köln/Bonn landen.

Marco Pino: Wenn das Gerücht lautet, es gäbe derzeit „massenhafte“ Migrationsbewegungen in Form von hauptsächlich syrischen Familiennachzüglern, die Nacht für Nacht am Flughafen Köln-Bonn in Urlaubsfliegern aus der Türkei eingeschleust werden, dann muß ich sagen: Das kann ich so nicht bestätigen. Oder noch deutlicher: Ich habe nichts, wirklich gar nichts, gesehen, was einen Verdacht in diese Richtung rechtfertigen würde.

Ich möchte aber ebenso klar und deutlich dazu sagen: Um endgültige Gewißheit zu haben, müßte man dort mehrere Nächte recherchieren, und auch Zugang zu sämtlichen Bereichen haben.

Wie bist Du an die Sache rangegangen?

Anzeigetafel mit ankommenden Flügen Foto: JF
Anzeigetafel mit ankommenden Flügen Foto: JF

Pino: Ich habe das Thema ja in den letzten Tagen auch schon verfolgt. Ich habe mir zuerst die Berichte im Netz angeschaut und nach Ansatzpunkten für eine Vor-Ort-Recherche gesucht. Dabei wurde schon deutlich, daß der Informationsgehalt konkret zum Flughafen Köln-Bonn doch eher dürftig war.

Da ist die Rede von auffällig vielen nächtlichen Flugbewegungen aus der Türkei sowie von gestiegenen Fluggastzahlen am Flughafen Köln-Bonn im Vergleich zum vergangenen Sommer, bei gleichzeitigem Einbruch des Tourismus in der Türkei. Auf den ersten Blick scheint alles klar: Keiner macht mehr Urlaub in der Türkei, die Zahlen in Köln steigen trotzdem, und ausgerechnet nachts landen zahlreiche Maschinen aus der Region. Dazu ein Bild von Frauen mit Kopftuch, die aus einer Germanwings-Maschine steigen. Fertig ist die Story.

Offensichtliche Übertreibungen

Bei genauerer Recherche stellte sich dann schon vorher raus: Nächtliche Urlaubsflieger aus der Türkei gab es in Köln-Bonn auch in den vergangenen Jahren, die gestiegenen Fluggastzahlen betreffen alle Destination und können viele Gründe haben, und das immer wieder gezeigte Foto beweist rein gar nichts, können auch Türken aus Deutschland sein. Also, angesichts der Behauptung, hier sei etwas Massives im Gange, war das doch alles echt dürftig.

Also hattest Du schon vorher Zweifel, daß die Geschichte stimmt?

Pino: Ja, vor allem an den Einzelheiten, spätestens angesichts mancher offensichtlicher Übertreibungen, wie zum Beispiel, da würden riesige Maschinen mit 500 Migranten auf einmal kommen.

Abgesehen davon bin ich aber davon ausgegangen, daß die Geschichte im Kern stimmt, und habe mir vorher die Frage gestellt: Wie kann das ablaufen, und wie könnte man an Beweise für eine Videodokumentation gelangen? Da gebietet die Logik letztlich zwei Möglichkeiten. Variante 1: Die Migranten kommen mit den anderen Fluggästen aus dem normalen Ausgang und werden dort in Empfang genommen. Variante 2: Irgendwo im Sicherheitsbereich werden die Migranten von den anderen Reisenden getrennt und über einen gesonderten Ausgang abtransportiert.

Vier Maschinen aus Antalya

Hast Du denn beide Varianten überprüfen können?

Pino: Zumindest so gut es ging. Ich hielt Variante 1 für relativ unwahrscheinlich, denn dann müßte es eigentlich bereits umfangreicheres Bildmaterial davon geben. Andererseits wäre sie logischer. Denn wenn es sich um Familiennachzügler handelt, die in deutschen Botschaften Einreisepapiere erhalten haben, gäbe es keinen Anlaß für eine gesonderte Behandlung. Sie dürften ja dann einreisen, wie jeder andere auch.

Also hast Du genau was gemacht?

Pino: Also habe ich mir zuerst einmal die Ankunft mehrerer Maschinen am normalen Ausgang angeschaut. Ich bin gegen 24.00 Uhr am Flughafen Köln-Bonn angekommen, habe mir erst mal einen Überblick verschafft, bin beide Terminals abgelaufen und habe auch mal links und rechts daneben geschaut, wie das da so aussieht. Danach bin ich zur Ankunftshalle in Terminal 2D gegangen, wo sämtliche Türkeiflüge in dieser Nacht abgefertigt wurden. Dort gibt es zwei Ausgänge, „Ost“ und „West“, die aber recht nah beieinander liegen.

Vorfeld mit gelandeten Maschinen Foto: JF
Vorfeld mit gelandeten Maschinen Foto: JF

In dem Zeitraum, als ich dort war, kamen mehrere Maschinen aus dem östlichen Mittelmeerraum. Zwei aus Izmir, eine von der griechischen Insel Kos, und später ab 2.00 Uhr dann gleich vier Maschinen aus Antalya. Ich habe die ganze Zeit über von verschiedenen Orten aus die Ankommenden beobachtet, heimlich gefilmt, fotografiert und nach Auffälligkeiten geschaut, die ins gezeichnete Bild passen: Männer mit arabischem Aussehen, die alleine warten und Frauen und Kinder in Empfang nehmen, möglicherweise flankiert von Sozialarbeitern.

Kann ja schließlich nicht sein, daß ausgerechnet Neuankömmlingen aus Syrien die obligatorische Willkommenskultur der deutschen Fürsorgeindustrie verweigert wird. Aber ich muß sagen: Ich habe nichts dergleichen gesehen, nichts, das in dieses Bild gepaßt hätte. Nicht ein einziger Fall.

Reisende sprachen Türkisch

Woran kann man denn arabisch-stämmige Männer erkennen und von Türken unterscheiden? Du hast ja selbst in Deiner JF-TV-Doku zur Asylkrise festgestellt, daß diese „Flüchtlinge“ gar nicht wie Flüchtlinge aussehen, eher wie normale Reisende …

Pino: Ja, das stimmt. Aber ich denke schon, daß gerade die vielen Recherchereisen mir einen gewissen Blick dafür gegeben haben. Zum einen hört man doch einen deutlichen Unterschied zwischen Türkisch und Arabisch. Und ich habe nur Türkisch gehört im Ankunftsbereich, kein einziges Mal arabisch.

Zum anderen sieht man, ob jemand an einem vertrauten Ort ist. Ein Tourist verhält sich anders als ein Migrant. Wie die Menschen aus dem Ausgang kamen, wie sie von Abholern empfangen wurden, was sie an Gepäck dabei hatten – all das sah eigentlich alles ziemlich normal aus. Alles, wie ich es von unzähligen Rückflügen aus Spanien kenne. Nichts, was mich an Szeged, Idomeni oder den Frankfurter Hauptbahnhof im Spätsommer 2015 erinnert hätte.

Bleibt noch die zweite Variante.

Pino: Und die ist natürlich deutlich schwerer zu überprüfen. Hier bleibt auch eine Ungewißheit. Ich habe etwa so gegen 2:30 Uhr, nachdem alle Maschinen aus Antalya gelandet, aber noch nicht alle abgefertigt waren, das Terminal verlassen und bin mit dem Auto das Flughafen-Areal abgefahren. Einmal rum um den Flughafen, in alle Seitenstraßen, geschaut, ob es irgendwo Auffälligkeiten gibt.

Keine Busse, kein Rotes Kreuz

Der Hintergedanke war: Wenn die im Sicherheitsbereich getrennt werden, wo ich nicht hinkonnte, dann müssen sie ja irgendwo rauskommen. Da hätte es sichtbare Personenbewegung geben müssen. Kleinbusse, mit denen die Asylsuchenden abtransportiert werden. Rotes Kreuz, Bundespolizei, Hilfskräfte. Ein strengbewachter Eingang ohne erkennbaren Sinn und Zweck. Irgendwie sowas. Aber da war: nichts. Das Spektakulärste bei meinen Fahrten um den Flughafen war ein Wildschwein, das mir beinahe vors Auto gelaufen wäre.

Abflughalle mit zahlreichen Touristen gegen 4.00 Uhr Foto: JF
Abflughalle mit zahlreichen Touristen gegen 4.00 Uhr Foto: JF

Konntest Du dabei auch einen Blick aufs Rollfeld werfen?

Pino: Die Besucherterrasse war zwar über die Nacht geschlossen, aber seitlich der Terminals sowie vom Fracht-Terminal aus konnte man das Rollfeld einsehen. Auch da war nichts zu erkennen. Bis kurz vor der Abfahrt: Ich hielt noch einmal an, es war bereits etwas heller geworden, und da fuhr dann doch ein Bus übers Rollfeld, voll mit Leuten, weg von den Terminals. Ich hab ein Zoom-Objektiv draufgeschraubt, durchgeschaut, und gedacht: Volltreffer! Bin sofort ins Auto, in die Richtung gefahren. Das war am Frachtbereich und General Aviation Terminal. Ich hab geparkt, die Kamera in die Hand und bin dahingelaufen.

Und?

Pino: Pustekuchen. Das war der Mitarbeiter-Eingang, da war gerade Schichtwechsel. Der Bus hatte die Angestellten dahingefahren, direkt daneben befand sich der Mitarbeiterparkplatz.

In den Gerüchten im Netz ist auch die Rede davon, es gingen Leerflüge in die Türkei zurück, bei denen auf den Anzeigetafeln „Destination unbekannt“ angezeigt würde.

Habe ich auch nicht gesehen. Im Gegenteil: Die Abflughalle von Terminal 2 war gegen 4.00 Uhr morgens überraschend voll. Gut, seitens Air Berlin gingen mehrere Flieger Richtung Spanien und Balearen, aber auch die Check-In-Schalter für Türkeiflüge waren gut ausgelastet. Hat mich wirklich gewundert, denn da waren auch viele Deutsche dabei. Es machen offenbar immer noch relativ viele Leute Urlaub in der Türkei, trotz Terror, Putsch und Erdogan.

Wie lange warst Du insgesamt am Flughafen?

Pino: Ich bin wie gesagt gegen 24.00 Uhr angekommen, bis etwa 2:30 Uhr im Terminal, danach die Tour um den Airport, dann wieder rein, noch die Fünf-Uhr-Maschine aus Antalya abgewartet und so gegen 7 Uhr morgens wieder weg. Ziemlich lange also, ziemlich viel gesehen, aber eigentlich nichts, was das Gerücht der heimlichen Flüchtlingsflieger stützen würde.

Niemand hat Flüchtlinge an Bord gesehen

Vielleicht war es ja der falsche Tag. Oder die Flüchtlingsflüge wurden ausgesetzt, weil das Thema so einen Wirbel verursacht. Immerhin hat sich ja sogar das Bundesinnenministerium dazu geäußert. Hast Du auch Leute gefragt, zum Beispiel Flughafenmitarbeiter, ob denen in den vergangen Tagen beziehungsweise Nächten etwas aufgefallen ist?

Pino: Ja, natürlich. Allerdings erst später, vorher habe ich so getan, als sei ich ein gewöhnlicher Abholer, der auf jemanden wartet. Später, als ich wieder ins Terminal kam, hab ich mit diversen Personen gesprochen. Sicherheitsleuten und Taxifahrern, die auch sehr redselig waren, aber nichts in die Richtung bestätigen konnten. Mehrere Bundespolizisten auf dem Weg zur Arbeit, die mich aber alle an den Pressesprecher verwiesen haben. Und Fluggäste, von denen aber keiner Flüchtlinge an Bord gesehen hat.

Interessant war allerdings das Gespräch mit einer Angestellten in der Tankstelle direkt neben Terminal 2. Die erzählte, daß vor etwa zwei Wochen in einer Nacht unüblich viele Flieger aus der Türkei kamen, 18 Stück. In der Nacht danach seien es elf Maschinen gewesen. Sie konnte das sehen, weil in der Tankstelle eine Anzeigetafel mit den Uhrzeiten für An- und Abflüge hängt. Sie sagte, sie habe sich damals gewundert, ob das alles Touristen seien.

Als sie jetzt die Gerüchte um nächtliche Migrantentransporte auf Facebook gelesen hatte, sei ihr das wieder eingefallen. Allerdings muß man dazu sagen: Das war genau die Zeit nach dem Putschversuch. Gut möglich, daß die Reisegesellschaften Sonderflüge eingesetzt haben, um besorgte Touristen auszufliegen, und daß das dann zur Entstehung des Gerüchtes beigetragen hat. Sechs oder sieben Türkei-Flüge pro Nacht seien jedenfalls normal in der Ferienzeit, sagte sie, auch schon in den vergangenen Jahren.

„Warum sollte die Politik so blöd sein?“

Also ist nichts an der Geschichte dran?

Ankunftsbereich bei einem Flug aus Antalya gegen 2.00 Uhr Foto: JF
Ankunftsbereich bei einem Flug aus Antalya gegen 2.00 Uhr Foto: JF

Pino: Eher nicht. Jedenfalls nicht so, wie es das Gerücht besagt. Eine massenhafte, systemische Einschleusung gebündelt an einem Flughafen hätte sich dann auch bei sechs oder sieben Flügen zeigen müssen. Aber noch mal: ganz ausschließen kann man es eben nicht. Dafür ist eine Nacht zu wenig und auch der Kölner Flughafen zu groß, die Zugangsbarrieren zu hoch, als daß man es definitiv ausschließen kann.

Aber man muß sich im Umkehrschluß auch mal fragen: Warum sollte die Politik so blöd sein, das so zu tun? Nehmen wir an, es kämen tatsächlich Hunderte, oder sagen wir meinetwegen sogar Tausende Migranten pro Tag über die Flughäfen rein: Türkeiflüge gibt es von und zu jedem größeren deutschen Flughafen.

Verteilen sie das auf Frankfurt, München, Düsseldorf und Tegel – und die Einwanderer gehen in den Massen der Reisenden unter. Warum also ausgerechnet Köln-Bonn zum Migranten-Drehkreuz erheben? Und wenn es geheim ist, warum dann ein öffentlicher Flughafen und kein abgeschirmter, beispielsweise ein militärischer? Aber das sehe ich auch erst so, seit ich da eine komplette Nacht verbracht und ausführlicher darüber nachgedacht habe.

Wahrscheinlich ist die Wahrheit sogar das Gegenteil: Die tatsächliche Besonderheit von Köln-Bonn ist, daß der Flughafen kein Nachtflugverbot hat. Also nutzt man dort die Nacht, um in Ferienzeiten zusätzliche Kapazitäten zu schaffen. Die nutzen wiederum vor allem Anbieter von Türkeireisen, denn Nachtflüge sind günstiger, und der Preis spielt bei dieser Touristendestination eine besonders große Rolle.

So könnte sich der überproportional hohe Anteil von Türkeiflügen in der Nacht leicht erklären. Das reichte dann auf dem Nährboden der gegenwärtigen Verunsicherung für das Entstehen eines solchen Gerüchtes – zumal das Vertrauen der Bevölkerung in Politik und Medien gerade beim Thema Flüchtlinge und Einwanderung verständlicherweise nicht mehr sehr groß ist.

Vielleicht ist die JF ja jetzt eben auch Teil der „Lügenpresse“?

Pino: Ach herje. Wer so etwas behauptet, ist für Argumente wahrscheinlich nicht mehr empfänglich. Für alle anderen: Ich bin Filmproduzent! Wäre mir dort irgend etwas Spektakuläres vor die Linse gelaufen, säße ich jetzt im Schnittraum und es käme zeitnah eine JF-TV Dokumentation dazu. Nur mache ich halt weder Dokus über Wildschweine, noch über Dinge, die’s nicht gibt. Schade. Aber beides können andere besser.

Flughafen Köln/Bonn Foto: JF
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