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„Freiheit der Völker“

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Cato, Palmer, Exklusiv

Herr Ronsöhr, nach den Franzosen mit 54,8 Prozent haben nun auch die Niederländer mit 61,1 Prozent gegen die europäische Verfassung gestimmt. In Großbritannien wird aus Angst vor einem übermächtigen „Nein“ vorläufig auf die Volksabstimmung verzichtet. Ist das das Ende der EU-Verfassung? Ronsöhr: So wie sie vorliegt, auf jeden Fall. Das sieht Ihre Parteichefin Angela Merkel anders: „Die Union steht trotz des Rückschlags hinter dem Verfassungsvertrag …Wir hoffen, daß der Ratifizierungsprozeß erfolgreich fortgeführt wird“, so ihre offizielle Verlautbarung. Ronsöhr: Es hat uns Mut gemacht, daß unsere kleine Schar von Verfassungsgegnern in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion immerhin mit der Mehrheit des französischen und des holländischen Volkes übereinstimmt. Bei einer erneuten Abstimmung im Bundestag würden wir wohl sehr viel mehr Stimmen bekommen. Damit ist nicht zu rechnen, denn der offizielle Ratifizierungsprozeß ist abgeschlossen. Brauchen wir also jetzt auch in Deutschland eine Volksabstimmung? Ronsöhr: Im Grunde ja. Denn die EU-Verfassung transferiert viel zu viele Kompetenzen an die Brüsseler Bürokratie. In Holland und Frankreich hat sich das Volk mit seinem Votum als sehr viel verantwortungsbewußter erwiesen als die meisten Politiker. Wer könnte jetzt den Anstoß für eine Volksabstimmung in Deutschland geben? Ronsöhr: Zunächst einmal brauchen wir eine neue Diskussion: Wir diskutieren über Europa immer noch so wie 1957 zur Zeit der Unterzeichnung der Römischen Verträge, so als ob es um Frieden und Freiheit in Europa ginge. Frieden und Freiheit haben wir längst verwirklicht! Das sollte man nicht geringschätzen, aber seien wir doch mal realistisch: Heute geht es in Europa darum, unser alltägliches Miteinander, unseren europäischen Alltag zu organisieren. Heute stimmen wir nicht mehr über eine visionäre politische Idee, sondern über konkrete politische Inhalte ab. Ein solcher Klärungsprozeß muß dem nächsten konkreten Schritt vorausgehen. Bis dahin ist der französische-niederländische Impetus verpufft. Warum formulieren Sie und Ihre Kollegen nicht jetzt – unter der Federführung Peter Gauweilers – die Forderung nach einer Volksabstimmung? Ronsöhr: Warten wir doch erstmal die von ihm eingereichte Verfassungsbeschwerde ab. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, räumt der Beschwerde in einem Interview mit dieser Zeitung in der vergangenen Woche „wenig Chancen“ ein. Ronsöhr: Ich bin durchaus hoffnungsvoll. Das klingt – was eine Volksabstimmungs-Initiative angeht – nicht sehr verheißungsvoll. Ronsöhr: Wenn die Verfassungsbeschwerde durchkommt, dann werden die Karten neu gemischt! Dann ist eine Volksabstimmung auch bei uns durchaus möglich. Gauweilers Klage wendet sich gegen eine europäische Verfassung als Gründungsdokument für einen EU-Bundesstaat. Ihr Mitstreiter, der Abgeordnete Albrecht Feibel, machte dagegen im Gespräch mit dieser Zeitung klar, daß er nicht die Verfassung an sich, sondern nur einzelne Klauseln ablehnt. Ronsöhr: Worin wir uns einig sind, ist, wir wollen keinen bürokratischen Monsterstaat! Ich sehe da keine Differenz zu Gauweiler. Im Gegensatz zu Frankreich und Holland gibt es in Deutschland keine organisierte Opposition gegen die EU-Verfassung. Am ehesten findet sich diese bei den zwanzig Unionsabgeordneten, die gegen die Verfassung gestimmt haben. Deshalb will der Bürger wissen, woran er bei ihnen ist: Steht die Gruppe für ein de Gaullesches Europa der Vaterländer oder letztlich doch für einen Kohlschen EU-Bundesstaat? Ronsöhr: Ich kann mir im Grunde schon eine Verfassung für Europa vorstellen. Aber eine, die nur grundlegende staatspolitische Regeln festschreibt, und nicht eine, die jedes Detail bestimmt. Also eine Verfassung, die die Freiheit der Völker Europas gewährleistet und nicht die Konstitution eines europäischen Superstaates darstellt. Ist es nicht zu kurz gedacht, das „Nein“ der Völker nur als Ablehnung einiger Klauseln der EU-Verfassung zu verstehen; kommt darin nicht vielmehr ein grundlegender Protest gegen die politische Klasse und ihre abgehobenen Politikprojekte zum Ausdruck? Laut Umfragen wollten die Deutschen ja noch nicht einmal den Euro. Ronsöhr: Man muß leider feststellen, daß in der Tat die Mehrheit der politischen Klasse inzwischen mit einer Selbstgewißheit ausgestattet ist, die das Volk nicht nachvollziehen kann. Brauchen wir also nicht nur eine Reform des europäischen, sondern eine Reform des demokratischen Prozesses? Ronsöhr: Ohne Zweifel, wobei diese Reform nicht nur einen neuen „alten“ Politikstil – nämlich eine Politik in Verantwortung vor dem Volk -, sondern auch neue Inhalte braucht. Zum Beispiel? Ronsöhr: Die Rücksichtnahme auf das Volk schließt ein, daß wir Begriffe wie Heimat oder kulturelle Identität neu definieren. Denn das sind Inhalte, die der Mehrheit der Menschen etwas bedeuten. Heimat und kulturelle Identität ist der „Raum“, in dem Menschen emotional leben und den sie erhalten und gesichert sehen wollen. Politik muß das leisten und nicht den Menschen neue Werte und Projekte einreden, mit denen sie am Ende nichts anfangen können. Im Europa der EU-Verfassung fühlen sich die Menschen nicht zu Hause – deshalb haben sie dagegen gestimmt. Wie würden Sie kulturelle Identität definieren? Ronsöhr: Kulturelle Identität ist mehr als das, was wir heute unter „Kultur“ verstehen. Sie schließt das historische Gedächtnis ebenso ein wie den sozialen Verband. Also all das, was die multikulturelle Gesellschaft so gerne über Bord werfen und an dessen Stelle sie einen bunten, abgehobenen Karneval der Kulturen setzen möchte. Die Union will zwar nicht „bunt“ sein, setzt aber nicht viel mehr als „orange“ dagegen. Ronsöhr: Auch wir haben den Fehler gemacht, ebenfalls diesen zu engen Begriff von Kultur zugrunde zu legen. Man muß ihn breiter definieren! Denn ich halte es für einen Irrtum, die Kultur auf Markttauglichkeit zu trimmen, wie das zum Beispiel bei den WTO-Verhandlungen versucht wurde. Und ich glaube, daß der Protest, der im französischen und holländischen „Nein“ zum Ausdruck kommt, auch darauf hinweist, daß wir kulturelle Identität gar nicht oder zu oberflächlich definiert haben. Aber ein großer Teil der „Nein“-Stimmen in Holland und Frankreich kommt doch aus dem linken Lager. Ronsöhr: Die Linken haben sich bei ihrer „Nein“-Kampagne als Sachwalter des Erhaltes der Lebensverhältnisse der kleinen Leute aufgespielt. Es ist aber ein großer Irrtum, den Sozialisten in Europa abzunehmen, sie seien die Verteidiger der Lebensgewohnheiten eins Volkes. Gerade die Sozialisten sind es, die diese Lebensgewohnheiten ebenso in Frage stellen wie Globalisierung, Neoliberalismus und EU-Verfassung. In Wahrheit zielt die Linke ebenso auf eine Vereinheitlichung der kulturellen Unterschiede und Lebensverhältnisse. Sie stellen damit lediglich eine Konkurrenz zu Globalisierung und EU-Verfassung dar, keinesfalls eine Alternative! Die besteht in der Besinnung auf die kulturelle Identität durch die Konservativen. Deshalb muß die CDU/CSU als auch konservative Volkspartei hierfür eine eigene Antwort formulieren! Danach sieht es aber keineswegs aus: Nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 rief Angela Merkel nicht etwa zur „Rückeroberung der Heimat“ auf, sondern zur Gewinnung der urbanen Milieus. Ronsöhr: Angela Merkel macht immer wieder deutlich, wie wichtig es ist, daß sich die Menschen in ihrer Umwelt heimatlich aufgehoben fühlen! Warum weigert sie sich dann beharrlich, die Union eine „konservative Partei“ zu nennen? Ronsöhr: Konservativ ist kein Fähnchen, das man sich ansteckt, sondern bedeutet, Politik zu machen, die mit der Lebenswirklichkeit der Menschen zu tun hat. Die Lebenswirklichkeit in Europa ist aber vielfältig. Deshalb haben Sie auch gegen die EU-Verfassung votiert, die diese Vielfalt vereinheitlichen will. Angela Merkel hat jedoch für die Verfassung gestimmt. Ronsöhr: Natürlich wünsche ich mir, daß sich die Partei stärker meinen Positionen zuwendet. Das geht jedem Politiker so. Angela Merkel muß aber auch Rücksicht auf andere Strömungen in der Union nehmen. Sie fordern im Grunde so etwas wie eine kleine „geistig-moralische Wende“. Die ist schon 1982 – trotz Ankündigung – ausgeblieben. Diesmal ist sie nicht einmal angekündigt. Ronsöhr: Es ist von einer Partei zuviel verlangt, die Herbeiführung einer gesellschaftlichen Wende zu erwarten. Das ist eine Frage des Zeitgeistes, nicht der Politik. Parteien können aber Zeichen setzen. Angela Merkel hat zweimal eine Patriotismus-Debatte angekündigt – einmal nach dem Fall Hohmann und einmal nach dem Wahlerfolg der NPD in Sachsen. Stattgefunden hat sie allerdings bis heute nicht. Ronsöhr: Ich bezweifle, daß eine solche Debatte etwas bringt. Es gibt in der Union ein konservatives Element. Es ist die Aufgabe der Konservativen in der CDU, diesem Element Geltung zu verschaffen. Es nicht die Aufgabe der Parteiführung, dies für die Konservativen zu tun. Wer, außer Ihnen und Peter Gauweiler, sind denn diese Konservativen in der CDU? Ronsöhr: Zum Beispiel Christian Wulff, den ich als sein Stellvertreter gut kenne. Als ehemaliger Junger Wilder gilt Wulff nicht gerade als Konservativer. Auch hat er als Ministerpräsident von Niedersachsen im Bundesrat der von Ihnen als Gegenteil von Konservatismus etikettierten EU-Verfassung zugestimmt. Ronsöhr: Das kritisiere ich auch. Aber denken Sie an die Kritik Wulffs am Umgang der CDU mit den Opfern der SED-Enteignungen oder an der Rechtschreibreform. Wenn man auch berücksichtigt, wie Wulff zum Beispiel Heimat definiert, dann kann man ihn mit Fug und Recht auch konservativ nennen. Werden Konservative in der Union nicht immer wieder unter Druck gesetzt? Ronsöhr: Falls Sie zum Beispiel auf den Fall Hohmann anspielen, dann muß ich Ihnen sagen, daß ich gänzlich anderer Auffassung als Martin Hohmann bin. Und das habe ich ihm damals auch gesagt. Es gibt etliche Beispiel von Distanzierungen und drohenden Ausschlüssen von CDU-Mitgliedern, weil sie sich konservativ geäußert haben – vor allem jüngst in Zusammenhang mit der Debatte um den 8. Mai 1945. Ronsöhr: Ich habe einen anderen Eindruck. Ich sehe die Konservativen eher auf dem Vormarsch! Heute ist es doch zum Beispiel wieder möglich, zu sagen, daß man stolz darauf ist, ein Deutscher zu sein. Oder denken Sie an den von der Union aufgestellten Bundespräsidenten Horst Köhler, der an seiner patriotischen Motivation keinen Zweifel läßt. Ich fühle mich als Konservativer in der heutigen Zeit besser aufgehoben als noch vor 25 Jahren. Auf die Verwirklichung welcher Inhalte darf der konservative Wähler bei einem Wahlsieg der Union im kommenden Herbst denn konkret hoffen? Ronsöhr: Mit der CDU wird zum Beispiel das Subsidiaritätsprinzip wieder eine größere Rolle in der EU spielen – das bedeutet auch eine Stärkung für die Stellung der Nationalstaaten in Europa. Ein Verdienst der Franzosen und Holländer, die gerade die EU-Verfassung verhindert haben, nicht der Union, die ihr zugestimmt hat. Ronsöhr: Die CDU hat durchaus originäre europapolitische Akzente: Denken Sie nur an die Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei. Was kann der konservative Wähler innenpolitisch von einer Unionsregierung erwarten? Ronsöhr: Auch hier wird die Union dem Leitgedanken der Subsidiarität wieder Geltung verschaffen und auf diesem Wege für eine Modernisierung Deutschlands sorgen, die unser Land zukunftsfähig machen wird. Was ist mit konkreten Inhalten wie etwa der „Homo-Ehe“? Bereits 2002 hat der damalige Kanzlerkandidat Stoiber eingestanden, daß die Union zwar klagen, aber in der Regierung nicht politisch gegen diese Unterminierung der Familie vorgehen wird. Ronsöhr: Das habe auch ich für einen schweren Fehler gehalten: Man kann nicht vor Gericht gegen ein Gesetz klagen, aber selbst nicht den Willen haben, politisch dagegen vorzugehen. Das ist nicht glaubwürdig. Was ist mit dem Abtreibungskompromiß oder der Restitution der SED-Enteignung 1945 bis 1949? – Konservative Parteimitglieder wie zum Beispiel Philipp von Boeselager, Angehöriger des nationalkonservativen Widerstandes gegen Hitler vom 20. Juli 1944, haben deswegen gar die Partei verlassen! Ronsöhr: Das ist nicht so einfach. Abtreibung ist eine Gewissensentscheidung … … aber auch eine Frage christlicher Ethik. Kardinal Meisner zum Beispiel hat die CDU deshalb bereits aufgefordert, auf ihr „C“ zu verzichten! Ronsöhr: Ich stehe – obwohl ich evangelisch bin – in der Abtreibungsfrage zweifellos Kardinal Meisner näher als der Regelung, die der Deutsche Bundestag in dieser Sache getroffen hat. Aber das tun eben nicht alle in der CDU. Das muß ich respektieren. Es scheint, als bliebe der Konservative am Ende bei der CDU mit seinen Anliegen immer im Regen stehen. Ronsöhr: Es ist das Dilemma einer Volkspartei, daß ihre verschiedenen Strömungen sich stets zu wenig beachtet fühlen. Für diesen Umstand muß man einfach Verständnis entwickeln. Tun wir das nicht, wird Rot-Grün – gegen jede Vernunft und gegen den Willen der Mehrheit der Deutschen – im Herbst erneut die Wahl gewinnen. Das aber kann am allerwenigsten im Interesse der Konservativen sein! Heinrich-Wilhelm Ronsöhr Der Bundestagsabgeordnete ist Mitglied des Bundesvorstandes der CDU und stellvertretender Landesvorsitzender in Niedersachsen. Er gehört zu den wenigen profilierten Konservativen in der Union und zu der Gruppe der zwanzig Abweichler in der Fraktion, die am 12. Mai gegen die EU-Verfassung gestimmt haben. Der 1945 in Rennau bei Helmstedt geborene Landwirt stammt aus bäuerlich-konservativem Elternhaus, sein Vater war Mitglied der Deutschen Partei. weitere Interview-Partner der JF

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