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„Opfer politischer Verfolgung“

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Herr Dr. Gertner, Sie sind einer von drei Rechtsanwälten, deren Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland in der Sache Enteignungen 1945 bis 1949 für die mündliche Verhandlung am Donnerstag dieser Woche vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg als repräsentativ für die zahlreichen anderen Einsprüche ausgewählt worden ist. Bereits am Donnerstag letzter Woche hatte Straßburg spektakulär zugunsten der Ansprüche der sogenannten Neubauern entschieden. Welche Auswirkungen hat dieser Schiedsspruch für die Sache Ihrer Mandanten, der sogenannten Alteigentümer? Gertner: Unmittelbare Auswirkungen hat die Entscheidung nicht, aber sie ist ein Signal. Es ist ganz wesentlich, in puncto Eigentumsentziehung zwischen den „Alteigentümern“ und den „Neubauern“ zu unterscheiden. Während es sich bei ersteren um Personen oder deren Erben handelt, die im Rahmen einer politischen Verfolgung zwischen 1945 und 1949 unter anderem auch ihr Vermögen eingebüßt haben, vorrangig aber diskriminiert worden sind, versteht man unter den Neubauern Personen oder deren Erben, denen das geraubte Land zunächst zur Nutzung zugewiesen worden ist. 1990 ist dieses Nutzungsrecht durch das sogenannte Modrow-Gesetz zum Volleigentum erstarkt. Dieses durch Gesetz der Volkskammer der DDR zuerkannte Volleigentum ist dann durch gesondertes Gesetz des Gebietsnachfolgers Bundesrepublik Deutschland bestätigt worden. 1992 wurden diese Personen von der damaligen Bundesregierung unter Helmut Kohl enteignet, deshalb auch „schwarze“ Enteignung genannt. Hier handelte es sich um eine Enteignung im Rechtssinne, die der Mehrung des Staatsvermögens diente und keinerlei diskriminierende Züge aufwies. Eine Frage lautete, wie ist die Weitervergabe solchen in einem völkerrechtswidrigen Akt zwischen 1945 und 1949 entzogenen Landes an die Neubauern zu bewerten. Mit der Straßburger Entscheidung ist nun klar, daß die Umstände, wie der damalige Staat zu dem Land gekommen ist, keinen Einfluß auf die Rechtsgültigkeit des von der Bundesrepublik Deutschland an die Neubauern verliehenen Eigentums hat. Dabei handelt es sich um zwei getrennte Vorgänge. Der sogenannte „redliche Erwerb“ des Landes durch die Neubauern ist auch im vereinten Deutschland rechtsgültig, denn durch den Einigungsvertrag von 1990 sind die Neubauern in der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu legitimen Eigentümern geworden. Dieser originäre Hoheitsakt, den der Einigungsvertrag darstellt, erkennt das Eigentum zu, das laut Straßburg nicht einfach ohne Zahlung einer gerechten Entschädigung zwei Jahre später wieder aberkannt werden kann. Deshalb haben die Neubauern Erfolg gehabt – einen begrüßenswerten Erfolg, der für uns Anlaß zur Hoffnung ist. Warum, wenn die Eingriffe in das Vermögen der Alteigentümer doch unter ganz anderen Umständen stattgefunden haben? Gertner: Erstens weil das Gericht den Neubauern unter Verweis auf das schwere Unrecht, das sie erlitten haben, ihren Anspruch zuerkannt hat. Die politische Verfolgung der Alteigentümer – bei dieser Gelegenheit ist dann deren Vermögen eingezogen worden – stellt aber nachweislich ein wesentlich schwereres Unrecht dar, weil dieses mit einem mißbilligenden Zugriff auf das Persönlichkeitsrecht verbunden gewesen ist. Zweitens, weil das Gericht die Verletzung des Eigentumsrechts als von entscheidender Bedeutung wertet – auch dies ist im Falle der Alteigentümer offenkundig. Günstige Rahmenbedingungen also für unsere Beschwerde. „Günstige Rahmenbedingungen“ heißt aber nicht „zwingend folgend“? Gertner: So ist es. Ich warne davor, die Frage der Alteigentümer als quasi schon in unserem Sinne entschieden anzusehen. Ich bin zwar optimistisch, das heißt aber nicht, daß wir die kommende Auseinandersetzung in Straßburg auf die leichte Schulter nehmen dürfen. Wie hoch schätzen Sie Ihre Chancen ein? Gertner: Als sehr hoch, aber ich will mich nicht in Prozent ausdrücken. Wie kam die Bundesregierung 1992 überhaupt darauf, die Neubauern wieder zu enteignen, nachdem sie deren Eigentumsrecht doch erst 1990 im Einigungsvertrag anerkannt hatte? Gertner: Die Bundesregierung argumentierte, wäre in der DDR alles rechtens abgelaufen, dann wäre das Besitzrecht der Neubauern, die über zehn Jahre nicht mehr in der Landwirtschaft tätig waren, erloschen und die Grundstücke zurück an den Bodenfonds gefallen. Kriterium für die Enteignung von 1992 war nämlich, daß die Betreffenden weder zum 15. März 1990 noch in der Zeit davor mindestens zehn Jahre lang in der DDR- Landwirtschaft tätig sind. Wenn es diese Regelung gab, dann klingt die Argumentation der Bundesregierung doch zumindest in sich schlüssig. Gertner: Ja, nur entscheidend ist der Einigungsvertrag von 1990. Ich nannte ihn bereits vorhin einen „originären Hoheitsakt“, das heißt mit ihm hat die Bundesrepublik einen gültigen Rechtszustand geschaffen, unabhängig davon, was vorher in der DDR passiert ist. Die unrechtmäßige Entziehung des Eigentums an dem Land zwischen 1945 und 1949 spielt für die Rechtsgültigkeit des dem Neubauern durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1990 verliehenen Eigentums ebensowenig eine Rolle wie die Frage, was die Neubauern in der Zeit der DDR mit „ihrem“ Land gemacht haben. Es zählt allein der Rechtsverbindlichkeit stiftende Akt des Einigungsvertrages! Was halten Sie für das Motiv der Bundesregierung, das den Neubauern verliehene Eigentum den Erben wieder zu entziehen? Gertner: Einzig und allein an Geld zu kommen, so darf sie ja nun, laut eines von mir erwirkten Kammergerichtsurteils aus dem Jahr 2000, der Hehlerei bezichtigt werden. Zahlreiche Rechtsanwälte vertreten Hunderte von Alteigentümern. Warum sind ausgerechnet Sie und zwei weitere Kollegen ausgewählt worden, stellvertretend für alle anderen Beschwerdeführer die Alteigentümer am Donnerstag dieser Woche vor dem Europäischen Gerichtshof zu vertreten? Gertner: Ich habe im Mai 2001, wie andere Beschwerdeführer auch, eine Sammelbeschwerde – ich vertrete insgesamt über achtzig Kläger – eingereicht. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat aus dieser Vielzahl von Beschwerden drei Beschwerden ausgewählt und sie der Bundesrepublik Deutschland zugestellt, weil durch diese drei Beschwerden die gesamte Argumentation aller Beschwerdeführer repräsentiert wird. Ich habe als einziger der Beschwerdeführer vorrangig und anhand historischer Fakten argumentiert, daß die Alteigentümer Opfer einer schwerwiegenden politischen Verfolgung geworden sind. Daraus habe ich dann die sich aus dem zwingenden Völkergewohnheitsrecht ergebenden rechtlichen Konsequenzen gezogen. Politische Verfolgung? Gertner: Die herkömmliche Argumentation beruft sich allein darauf, daß die Vermögensentziehungen gegen die Haager Landkriegsordnung verstoßen. Nun darf man sich die Industrie- und Bodenreform allerdings nicht als eine Maßnahme zur Vergesellschaftung von Grund und Boden vorstellen. Es ging vor allem darum – und das kann man gut anhand zeitgenössischen Propagandamaterials belegen -, mißliebige Gesellschaftsgruppen aus der sozialen Friedensordnung auszugrenzen. Solche Personen wurden persönlich diffamiert, etwa als Kriegsverbrecher oder Nazis. Zudem wurden sie überwiegend aus ihrer Heimat vertrieben. Bis heute stehen diese Leute formaljuristisch am Pranger – wir brauchen also nicht nur Restitution, sondern auch Rehabilitation und eine Aufhebung der Vertreibungsanordnungen. Wenn eine Rehabilitation erfolgt, dann entfällt übrigens auch der immanente Rechtsgrund für die Vermögenseinziehungen, denn wenn es sich bei diesen Personen gar nicht um Nazis und Kriegsverbrecher handelt, dann ist auch die aus diesem Grund erfolgte Vermögenseinziehung schon deshalb null und nichtig. Was ist mit dem Argument, daß die Behauptung, die Sowjets hätten 1990 die Festschreibung der Bodenreform bis 1949 als Preis für die deutsche Einheit verlangt, inzwischen dank eines Dementi Michail Gorbatschows als Lüge der Bundesregierung entlarvt ist? Gertner: Die kommt bei mir gar nicht vor, denn selbst wenn es so gewesen wäre, hätte die Bundesrepublik Deutschland sich nie darauf einlassen dürfen, ja nicht einmal können, denn ein Vertrag solchen Inhalts ist nach Artikel 53 der Wiener Vertragsrechtskonvention, die die Anforderungen an völkerrechtliche Verträge statuiert, schlicht und ergreifend ungültig. An diesem Donnerstag fand die mündliche Verhandlung statt. Wie geht es nun weiter? Gertner: Die Ladungsverfügung des Europäischen Gerichtshofes besagt, daß das Gericht nicht nur über die Zulässigkeit der Beschwerde entscheiden wird, sondern auch über deren „Begründetheit“, ein juristischer terminus technicus. Das heißt, wenn das Gericht die Beschwerde für zulässig erklärt, stimmt es ihr inhaltlich auch schon weitgehend zu. Nach der mündlichen Verhandlung wird es bis zu dreieinhalb Monate dauern, bis der Entscheid über Zulässigkeit und Begründetheit erfolgt. Ist die Beschwerde zulässig, muß innerhalb von sechs Monaten eine Einigung zwischen den Beschwerdeführern und der BRD – konkret also dem Bundesministerium der Finanzen – zustande kommen, sonst ergeht ein zweites Urteil, das dann die Höhe der Entschädigung verbindlich festlegt. – Vorausgesetzt die Bundesregierung legt gegen das Urteil der Kammer nicht Rechtsmittel ein und ruft die Große Kammer an. Einem solchen Rechtsmittel würde ich zwar kaum Chancen einräumen, allerdings kann die Bundesregierung versuchen, dadurch Zeit zu gewinnen, um die Entschädigungszahlungen hinauszuschieben. Mit welchem Betrag rechnen Sie im Falle eines Erfolges? Gertner: Je mehr entzogene Grundstücke zurückgegeben werden, desto geringer wird die Summe der Entschädigung. In jedem Fall eine Summe, die den Bundeshaushalt schwer treffen wird. Gertner: Ich kann Ihnen versichern, daß es sich bei der überwiegenden Mehrheit der Beschwerdeführer um engagierte Patrioten handelt, die ihr Vermögen keineswegs ins Ausland bringen, sondern in Deutschland in ihrer alten Heimat investieren werden. Ich rechne fest damit, daß eine Entschädigung zu einem neuen Impuls für die Konjunktur in den Neuen Ländern führen würde. Keineswegs – und nur das wäre für die Volkswirtschaft verhängnisvoll – wird die gezahlte Entschädigung aus dem Wirtschaftskreislauf der Bundesrepublik Deutschland ausscheiden. Wir haben bislang nur über Geld gesprochen. – Wäre bei einem positiven Entscheid Straßburgs nicht die moralische Dimension viel bedeutender? Gertner: Völlig richtig! Denn das wäre die gerichtliche Feststellung, daß die Politiker der damaligen Bundesregierung zwingendes Völkerrecht verletzt haben. Damit wäre vor allem festgestellt, daß ausgerechnet die Regierung Kohl Bürger enteignet hat – eigentlich eine absurde Vorstellung! Gertner: In der Tat. Denken Sie an die einhellige Empörung bei uns, daß in der DDR eine „Arbeiterregierung“ gegen die eigenen Arbeiter Politik gemacht hat. Ähnlich absurd – auch wenn sich die Art der Maßnahmen in keiner Weise vergleichen lassen – erscheint dieser Fall, in der Bürger von einer bürgerlichen Regierung enteignet worden sind. Und es kommt noch schlimmer: Wir hatten es nicht nur mit einer bürgerlichen Regierung zu tun, die ihre eigene Klientel verraten, sondern auch noch mit einer Opposition, die die Demokratie preisgegeben hat. Erinnern Sie sich zum Beispiel an den damaligen Oppositionsführer Hans-Jochen Vogel, der 1990 im Bundestag ausrief: „Eine Wiederherstellung ostelbischen Großgrundbesitzes ist mit uns nicht zu machen und die Bereitstellung von hohen Milliardenbeiträgen, um nach 45 Jahren, womöglich mit Zins und Zinseszins, Entschädigungen zahlen zu können, auch nicht!“ Anstatt sich auf die Seite des Rechtsstaates zu stellen, ging damals offenbar der „antifaschistische“ Furor mit den Sozialdemokraten durch, um populistische Akzente im Prozeß der Wiedervereinigung zu setzen, in dem man sich von der Union überrundet fühlte. Besonders nichtswürdig erscheint dies, weil die SPD durchaus auch auf eine Tradition des Kampfes für den bürgerlichen Rechtsstaat zurückschauen kann. Deshalb wird aber wohl keine Partei diesen offenkundigen Skandal, der eigentlich das Potential hat, die Republik bis ins Mark zu erschüttern, aufgreifen, wenn Straßburg uns schließlich Recht geben sollte. Eine Verschwörung der „politischen Klasse“ gegen die Bürger und ein Anschlag auf die Verfassung? Gertner: Aber ganz eindeutig! Das heißt, Kohl, Schäuble, Vogel und Co. bleiben für Diebstahl, Entrechtung und Verfassungsbruch unbestraft? Gertner: Mit Sicherheit! Das Problem ist, daß Strafmaßnahmen für solche Fälle völkerrechtlich nicht vorgesehen sind. Die genannten Herren werden als geachtete Staatsmänner und Politiker ihre Pensionen genießen. Ich weiß, man hat das Gefühl „Das kann nicht sein!“ – aber so wird es kommen. Wenn sich die Parteien einig sind, dann haben Rechtsstaat, Bürger und Volk eben keine Chance mehr. Dr. Thomas Gertner ist einer der drei Rechtsanwälte, deren Beschwerde in Sachen Enteignung 1945 bis 1949 als Musterverfahren gegen die Bundesregierung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg stellvertretend für zahlreiche andere klagende Alteigentümer zur Verhandlung ab Donnerstag dieser Woche ausgewählt worden ist. Geboren 1950 in Bielefeld, betreibt Gertner seit 1986 eine eigene Kanzlei in Bad Ems, seit 1993 vertritt er die Interessen enteigneter Alteigentümer. 1995 wurde er mit einer Arbeit über „Zivilrechtliche Auswirkungen der Bodenreform bis zur und seit der Herstellung der Einheit Deutschlands“ promoviert. Foto: Kohl, Schäuble (1998): „Ein Skandal, der das Potential hat, die Republik bis ins Mark zu erschüttern. Die bürgerliche Regierung hat ihre Klientel verraten, die Opposition die Demokratie preisgegeben. Man hat das Gefühl ‚Das kann nicht sein!‘ – Aber so ist es. Wenn sich die Parteien einig sind, dann haben Rechtsstaat, Bürger und Volk eben keine Chance mehr.“ weitere Interview-Partner der JF

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