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„Wir sind die nützlichen Idioten“

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Herr Holzapfel, Sie sind amtierender Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953, einer der beiden Veteranenorganisationen der sogenannten 17er. Die Feiern zum 50. Jahrestag sind inzwischen vorbei. Welche Bilanz ziehen Sie? Holzapfel: Wir hatten gehofft, daß wenigstens anläßlich des 50. Jahrestages seitens der Politik wieder zu einer großen Kundgebung aufgerufen würde, wie sie bis in die frühen sechziger Jahre üblich war. Es bleibt die Feststellung: Es waren Feiern ohne das Volk. Der ökumenische Gottesdienst, der Staatsakt auf dem Berliner Friedhof Seestraße, die gemeinsame Sitzung von Bundesrat und Bundestag im Reichstag – alles feierlich, würdig, korrekt. Nur: Zugang hatten geladene Gäste, Politiker und sonstige Promis. Ein Angebot an und für das Volk zur Würdigung des Volksaufstandes, das gab es nicht. Ihr Verband hat am Freiheitskreuz, der historischen Gedenkstätte der Vereinigung 17. Juni, im Berliner Außenbezirk Zehlendorf eine Kundgebung mit dem Regierenden Bürgermeister durchgeführt. Wie ist es Ihnen gelungen, Klaus Wowereit dafür zu gewinnen, nachdem er es 2002 als erster Regierender Bürgermeister nicht für nötig befunden hatte, an der alljährlichen Gefallenenehrung des Landes Berlin auf dem Friedhof Seestraße teilzunehmen? Holzapfel: Das haben wir seinerzeit hart kritisiert. Dennoch haben wir Wowereit als einen Mann kennengelernt, der sachbezogene Kritik akzeptiert und deswegen nicht beleidigt reagiert – in der Politik nicht gerade häufig. Wir, da spreche ich auch für die anderen Opferorganisationen, stehen inzwischen in einem guten Dialog mit ihm. Oder hat sich Wowereit einfach gesagt, anders als zum 49. Jahrestag schauen zum 50. alle Medien genau hin? Holzapfel: Da müßten Sie ihn selbst befragen. Ich habe ihn persönlich als einen nicht immer einfachen, aber engagierten Menschen erlebt. Durchaus nicht selbstverständlich war die Würdigung der Verdienste unseres verstorbenen Vorsitzenden und ehemaligen Bauarbeiters auf der Stalinallee, Manfred Plöckinger, auf der Kundgebung und seine erklärte Unterstützung unserer Absicht, die Urne Manfred Plöckingers an der Gedenkstätte beisetzen zu können. Das klingt, als hätte er Sie eingewickelt. Holzapfel: Nach vier Jahrzehnten politischer Arbeit läßt man sich nicht mehr einwickeln. Im Ernst: Nicht nur ich hatte den Eindruck, daß Klaus Wowereit hinter den Worten stand, die er dort gesagt hat. Sie sagen dies nicht, weil Ihre Vereinigung auf politische Anerkennung angewiesen ist? Holzapfel: Nein, wir sind nach vielen Jahrzehnten akzeptiert und als Vertretung der Aufständischen funktional anerkannt. Doch Sie haben insofern natürlich recht, daß die Veteranen des 17. Juni – und auch die anderen Opfer der SED-Tyrannei – trotz aller schönen Reden dieser Tage leider kaum politische Verbündete haben. Politisch befanden wir uns mit unserer Forderung nach Wiedervereinigung, mit unserem aktiven Kampf gegen das SED-Regime schließlich in der Isolation. Heute befinden wir uns in der demütigenden Situation, daß die Opfer des Kommunismus auf die Launen der Politiker Rücksicht nehmen müssen. Von der gesellschaftlichen und politischen Reputation, die die Opfer des anderen Unrechtssystems, des NS-Regimes, erkämpft haben, können wir nur träumen. Aus diesen Gründen haben sich immer wieder Mitglieder unserer Vereinigung unter demonstrativem Protest gegen die offizielle und oft rückgratlose Politik gestellt – etwa 2001, als just am Vorabend des 17. Juni eine Koalition aus SPD und PDS/SED in Berlin die Regierung übernahm. Doch die Verweigerung jeglicher Teilnahme an der notwendigen Ehrung der Opfer des Aufstandes hätte zwar einen gewissen Knalleffekt gehabt, gleichzeitig aber den Verlust jeder Möglichkeit bedeutet, unsere Anliegen politisch wirksam vorzutragen. So gab es zum Beispiel bis zum Herbst 2002 keine konkreten Planungen in Berlin – immerhin der „Hauptstadt des Aufstandes“ – für die Feiern zum 50. Jahrestag. Erst die unermüdliche Lobbyarbeit der Opferverbände hat da etwas bewirkt. Dank der SPD hieß einer der beiden politischen Partner der Vereinigung 17. Juni bei der Organisation des Jahrestages PDS, sprich SED. Hatten Sie sich das je träumen lassen? Holzapfel: Das war und das ist wohl eher ein Alptraum. Aber die Vorgespräche wurden von Klaus Wowereit und seiner Senatskanzlei geführt. Die PDS hat vielleicht aus dem Hintergrund blockiert, aber nie in persona an diesen Gesprächen teilgenommen. Da hätten sich die Opferverbände verweigert, und es wäre sicherlich zum Eklat gekommen. Bereits 2001 standen die 17er mit Vertretern der PDS an den Gräbern von getöteten Aufständischen auf dem Friedhof Seestraße. Holzapfel: Man stelle sich Opfer des Nationalsozialismus in einer vergleichbaren Situation vor! Ein Aufschrei der Politiker, der Medien wäre – zu Recht – die Folge! Dochvon den 17ern wird wie selbstverständlich die Demutshaltung erwartet, das mitzumachen. Allerdings bleibt uns aufgrund der politischen Situation nicht erspart, auch mit Vertretern der PDS, soweit diese sich dafür öffnen, ins Gespräch zu kommen. Mit welchem Erfolg? Holzapfel: Petra Pau bot uns 2001 auf dem Friedhof Seestraße ein Gespräch an und ließ nie wieder etwas von sich hören. Mit Roland Claus, damals Vorsitzender der PDS-Bundestagsfraktion, hatte ich immerhin ein hartes, aber konstruktives Gespräch mit versöhnlichen Ansätzen. Doch seinem Versprechen, im Sinne einer Entschädigung der Opfer des 17. Juni und des Regimes aus dem angeeigneten Milliardenvermögen der SED zu wirken, folgten keine Taten. Die PDS verweigert sich nach wie vor ihrer Verantwortung und streut allenfalls und zu gegebener Zeit Propagandahülsen, die der Öffentlichkeit eine Einsicht vorspiegeln sollen, die tatsächlich nicht vorhanden ist. Der Vorwurf der Verantwortungslosigkeit trifft aber nicht nur die PDS. Es ist ein Skandal, wenn diese Partei heute in Politik und Öffentlichkeit wie selbstverständlich als zugehörig akzeptiert wird. Die Instinktlosigkeit, mit der sich zum Beispiel Lothar Späth (CDU) für eine gemeinsame Talkshow mit Gregor Gysi hergibt, ist in unserem demokratischen Rechtsstaat zur Gewohnheit geworden. Und das alles geschieht vor dem Hintergrund, daß den Opfern der SED-Tyrannei bis heute eine Opferrente als minimaler Ausgleich für durchlittenes Unrecht versagt bleibt, während die SED-Funktionäre von einst ihre zusätzlichen Pensionen genießen. Die Union hatte von 1990 bis 1998 Zeit, Gerechtigkeit walten zu lassen. Holzapfel: Daran darf man gar nicht denken! Uns bleibt in dieser Beziehung nur, auf das Wort von CDU-Generalsekretär Laurenz Meyer zu vertrauen, der einen „schweren Fehler“ der damaligen Regierung einräumt und versprochen hat, dies werde sich „nicht wiederholen“. Zur Zeit beobachten wir fassungslos die Umkehrung: Die SPD und die Grünen argumentieren heute wie die damalige Kohl-Regierung, die CDU/CSU wie die damalige SPD-Opposition. Glaubwürdigkeit? Fehlanzeige! Wie wollen wir eigentlich der jungen Generation den Mut zu Zivilcourage, das Eintreten für Freiheit, Recht und Menschenwürde vermitteln, wenn diese erleben, daß Mitläufer und Täter besser gestellt sind als jene, die den Mund aufgemacht haben? Der Verdacht liegt nahe, daß solcherart gefördertes Duckmäusertum gar im Interesse der etablierten Politik ist. In den ersten Jahren nach dem 17. Juni 1953 wurde der Tag und seine Helden durchaus noch in Ehren gehalten. Holzapfel: Es gab bis 1963 nicht nur in Berlin, sondern in der ganzen Bundesrepublik öffentlichkeitswirksame und würdige Feiern zu jedem Jahrestag. In Berlin kamen zu den obligatorischen Großkundgebungen vor dem Schöneberger Rathaus anfänglich Hunderttausende, später immer noch Zehntausende Menschen. Dann erfolgte das politische „Aus“, nachdem Egon Bahr die Politik des „Wandels durch Annäherung“ verkündet hatte. Ein demonstratives Eintreten gegen die DDR-Diktatur war von da an nicht mehr opportun, die Helden von gestern störten nur noch. Übrig blieb einzig die rituelle Ehrung der Gefallenen auf dem Friedhof Seestraße. Laut Äußerungen von Politikern und Kommentatoren der letzten Tage war am Niedergang des 17. Juni vor allem das geschichtsvergessene Westvolk schuld, das den „Tag der Deutschen Einheit“ als Badetag mißbraucht habe. Holzapfel: Hier wird die Schuld von Politik und Medien einfach auf das Volk geschoben. Wenn die Politik die Angebote zum Protest aus eigennützigen Gründen einstellt, wenn die Medien ihrer Verantwortung zur Vermittlung wichtiger historischer Vorgänge nicht nachkommen, dann kann man dem Volk nicht vorwerfen, es ginge zum Baden, statt des Kampfes für Einigkeit, Recht und Freiheit zu gedenken. In Frankreich und den USA gehen die Menschen an den Nationalfeiertagen auch zum Baden, aber sie besuchen vorher die angebotenen aufwendigen Feierlichkeiten. Warum haben denn die Medien all die Jahrzehnte nicht die Politik für das Ausbleiben derartiger Angebote kritisiert? Schließlich mußte Ihr Verband sogar die Verteufelung als „rechtsradikal“ erdulden. Holzapfel: Das Engagement gegen den Kommunismus und für die Einheit und Freiheit Deutschlands machte aus den 17ern, zunächst noch als „Helden der Freiheit“ gefeiert, im Sprachgebrauch sogar der etablierten Parteien und Medien erst „Nationalisten“, dann „Rechtsradikale“ und schließlich „Rechtsextremisten“. Dabei haben wir unsere Positionen nie verändert! Und obwohl die Geschichte uns inzwischen mit dem Ende des Kommunismus und der Wiedervereinigung bestätigt und so verhindert hat, daß wir endgültig in die Nazi-Ecke abgeschoben werden konnten, werden wir selbst heute noch zum Beispiel im Internet durch die Antifa in bester SED-Manier als Neofaschisten diffamiert. Und der Rechtsstaat schaut zu, verweigert wieder jenen den Schutz, die für diesen Rechtsstaat ihre Haut zu Markte getragen haben. Aber wenigstens die Etablierten haben nach 1989 Einsicht gezeigt? Holzapfel: Ich bin mir da nicht sicher. Es war wohl mehr ein Anknüpfen an die Politik von 1953, als man sich mit den 17ern gerne schmückte und ablichten ließ. Daß die 17er nach 1963 so skrupellos fallengelassen wurden, zeigt doch, daß man sie vorher nur benutzt hat. Letztlich ist das wohl heute auch noch – oder wieder – so. Wir sollen doch nur die nützlichen Idioten abgeben und bei der Verschleierung mithelfen, daß die Politik in den vergangenen Jahrzehnten genau das Gegenteil von dem getan hat, was sie jetzt zum Jubiläum beschwört. Trifft dieser Vorwurf denn auch die Union, mit der Ihr Verband doch zuletzt noch am ehesten politisch zu tun hatte? Holzapfel: Leider ja. Zunächst waren die 17er übrigens eher bei der SPD angesiedelt. Schließlich waren viele Teilnehmer von 1953 Sozialdemokraten und Arbeiter. Nachdem es aber zu Konflikten mit den linksradikalen Falken in der SPD kam, näherten sich die 17er politisch der CDU. Diese wurde seinerzeit dann als einziger politischer Garant der Ziele des 17. Juni angesehen. Zwar hatte auch Konrad Adenauer mit der deutschen Einheit nicht viel im Sinn, doch in Berlin hatte er seine gesamtdeutschen Gegenspieler, wie Ernst Lemmer und Jakob Kaiser. Aber auch die Union geriet in den politischen Sündenfall: Milliardenkredite an die DDR, Staatsempfang für Erich Honecker, und 1990 war es die Union, die einen „Feiertag nach Aktenlage“ an die Stelle des „Tages der Deutschen Einheit“ setzte. Immerhin kann man aber Helmut Kohl nicht absprechen, politisch die deutsche Einheit bewerkstelligt zu haben und wenigstens in diesem Punkt die Linie Ernst Lemmers und Jakob Kaisers wiedergefunden zu haben. Allerdings befremdet uns, daß die CDU auch nach der historischen Niederlage derer, die bis 1989 Teilung und Diktatur unterschwellig gerechtfertigt haben, sich nicht traut, den 17. Juni in seiner Gesamtheit, sprich inklusive seiner nationalen Dimension zu würdigen. Kritiker haben in dieser Zeitung wiederholt darauf hingewiesen, daß dieser Aspekt beim Gedenken zum 50. Jahrestag weitgehend unterschlagen worden ist. Holzapfel: Als ich vergangene Woche an der bescheidenen Feier des DGB zum 17. Juni auf der ehemaligen Stalinallee teilnahm, war ich der einzige mit einer schwarzrotgoldenen Flagge inmitten lauter roter Fahnen – ob das wohl im Sinne der Ostberliner Arbeiter von 1953 war? Zudem fragte mich schließlich ein junger Mann, was ich denn auf einer 17. Juni-Feier mit einer Deutschlandfahne wolle – der war ganz erstaunt, als ich ihm den Zusammenhang erklärte. Die nationale Frage ist eben die Achillesferse des 17. Juni. Man hat sich in Deutschland angewöhnt, schon das Antippen nationaler Gefühle als etwas „Profaschistisches“ zu betrachten, weshalb der 17. Juni mit seinem kraftvollen Bekenntnis zu Deutschland vielen Bauchschmerzen bereitet. Die Forderung nach nationaler Einheit war eine der zentralen Forderungen des Volksaufstandes. Bei der Erinnerung zum 50. Jahrestag wurde jedoch ein Randaspekt daraus. Die Deutschen sollen heute den 17. Juni eben so nachdenken, wie es Politiker und Medien politisch korrekt vordenken. Und das ist ein 17. Juni möglichst ohne nationalen Aspekt. Heißt das, der 17. Juni hat auch heute noch etwas, was den Mächtigen Angst macht? Holzapfel: Ich glaube ja. Vergeblich haben wir vorgeschlagen, auf dem Friedhof Seestraße nicht nur Politiker, sondern auch mal 17er zu Wort kommen zu lassen. Schließlich könnte, so wurde mir von einem ranghohen Beamten gesagt, ein „Ehemaliger“ Dinge sagen, die zum Eklat führen könnten. Das erinnert schon fatal an das Selbstverständnis der DDR-Machthaber, die sich zum Beispiel auf Dichter und Denker beriefen, denen sie gleichzeitig das Wort zensierten. Angst vor dem Volk beziehungsweise des Volkes Stimme ist wohl immer Bestandteil des Bewußtseins der Mächtigen. Doch das betrifft nicht nur Politiker. Man denke nur etwa an die Fernsehdiskussion mit Guido Knopp zum 17. Juni im ZDF, der dort moralisch verkündete, die Männer und Frauen des Volksaufstandes müßten endlich wieder gehört werden. Selbst hatte er aber zur Diskussion nur den „Sessel-Zeugen“ Egon Bahr und drei ehemalige Mitglieder der SED eingeladen – keinen einzigen 17er! Auch die vom ZDF bei uns angeforderten Zeitzeugen, die angeblich in die Podiumsdiskussion einbezogen werden sollten, blieben auf die Zuhörerrolle beschränkt. Symptomatisch für diesen eindrucksvollen Gedenktag: Viel Glanz und Gloria von oben – ohne Volk von unten! Carl-Wolfgang Holzapfel ist amtierender Vorsitzender der Vereinigung 17. Juni 1953. Zwar ist der 1944 im schlesischen Bad Landeck geborene Bankkaufmann selbst kein 17er, gehört der Veteranenorganisation aber dennoch seit 1962 an und widmete sein Leben dem Kampf gegen die Teilung Deutschlands. 1965 gelang der DDR die Verhaftung des Westberliners. Verurteilt zu acht Jahren Haft, wurde er nach 13 Monaten freigekauft und setzte seinen Kampf bis 1989 fort. Heute lebt er in Bayern. Vereinigung 17. Juni 1953: Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 gründeten in den Westen entkommene Veteranen der Erhebung 1957 die Vereinigung 17. Juni 1953. Im Jahre 1964 spaltete sich die Organisation: Der Arbeitskreis 17. Juni fühlt sich in erster Linie der Traditionspflege verpflichtet, während die Vereinigung 17. Juni weiterhin politisch die Ziele des 17. Juni 1953 verfolgte und auch heute noch Erbe und Interessen der 17er aktiv vertritt. Anläßlich des 50. Jahrestages hat die Vereinigung die Festschrift „Spuren-suche – Helden der Menschlichkeit“ herausgegeben. Kontakt: Pettenfeldstraße 6, 86947 Weil, Tel.: 0 81 83 / 95 05 14 weitere Interview-Partner der JF

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