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Krim-Krise: Zar und Zofen

Krim-Krise: Zar und Zofen

Krim-Krise: Zar und Zofen

Wladimir Putin
Wladimir Putin
Der russische Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnung der Paralympics Foto: picture alliance/dpa
Krim-Krise
 

Zar und Zofen

Die Welt hat einen neuen Schurken. Aber ist Wladimir Putin wirklich so schlimm? Jene, die die Kriege in Afghanistan, Irak und Libyen angezettelt haben, haben jedenfalls blutigere Hände als er. Ein Kommentar von Martin van Creveld.
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Cato, Palmer, Exklusiv

Was ist nicht schon alles über Wladimir Putin gesagt worden: Keine Geringere als die ehemalige amerikanische Außenministerin Hillary Clinton verglich ihn jüngst mit Hitler. Es heißt, er sei impulsiv, aggressiv, habe den Bezug zur Realität verloren, sei eine Gefahr für den Weltfrieden und er stehe – so Barack Obama – auf der falschen Seite der Geschichte. Seltsam, eine so marxistisch eingefärbte Argumentation ausgerechnet aus dem Mund des Präsidenten zu vernehmen.

Betrachten wir die Fakten. Am 1. Januar 2000, dem Datum von Putins offizieller Amtsübernahme als Präsident der Russischen Föderation, lag sein Land am Boden. Putins Vorgänger Boris Jelzin gelang es nicht, eine Einigung mit seinem Parlament, der Duma, zu erzielen. Damit war die Regierung praktisch handlungsunfähig. Die Volkswirtschaft war aufgrund niedriger Erdölpreise ins Chaos gestürzt – die Lage so schlimm, daß sich die Menschen zum Tauschhandel gezwungen sahen. Und im berühmtesten Museum des Landes, der Petersburger Eremitage, gab es aus Furcht, die Leute würden es stehlen, kein Toilettenpapier mehr. Die Luftwaffe mußte ihre fortschrittlichsten Kampfflugzeuge an Touristen vermieten, um den katastrophalen Verteidigungshaushalt aufzustocken. Im Süden wütete der Tschetschenienkrieg, den Jelzin nicht hatte gewinnen können.

Zusammenbruch der Sowjetunion als Katastrophe erlebt

14 Jahre später ist Rußland nach wie vor kein freies und demokratisches Land, in dem es sich gut leben läßt – das war es noch nie. Trotzdem ist es mittlerweile gelungen, wie gerade die Krim-Krise wieder gezeigt hat, die Duma soweit unter Kontrolle zu bringen, daß sie die Vorhaben der Regierung nicht mehr ernstlich behindern kann, selbst wenn sie das wollte (offensichtlich will sie es aber nicht). Die Wirtschaft ist zwar immer noch nicht nachhaltig stabilisiert, steht aber zumindest nicht mehr kurz vor dem Bankrott – hauptsächlich dank des Erdölpreises, der sich mehr als verdreifacht hatte. Im Vergleich zum Ende des Kalten Krieges wurden die Streitkräfte um zwei Drittel reduziert. Durch Modernisierung der Ausstattung konnte dennoch wieder eine mächtige Kriegsmaschinerie aufgebaut werden, die in der Lage ist, das Land gegen Angriffe jeglicher – und zwar wirklich jeglicher – Art zu verteidigen.

Vor allem scheint Wladimir Putin ein russischer Patriot zu sein. Er hat nie ein Hehl aus seiner Überzeugung gemacht, daß der Zusammenbruch der Sowjetunion die schlimmste Katastrophe war, die seinem Land je widerfahren ist. Getreu ebendieser Überzeugung setzte er zunächst alles daran, den Krieg in Tschetschenien zu beenden und das Land weitestmöglich unter Kontrolle zu bringen. Als nächstes brach er einen Streit mit Georgien vom Zaun – freilich würden manche Leute behaupten, Georgien habe den Streit angefangen. Es folgte ein kurzer, heftiger Krieg, der auch den Georgiern beibrachte, wer Herr im Lande war.

Putin wandte einige brutale Methoden an, was aber im Krieg nichts Ungewöhnliches ist. Zuletzt machte er sich die Uneinigkeit des ukrainischen Volkes über seine politische Zukunft zunutze, um mit einem unblutigen Putsch die Kontrolle über die Krim zurückzuerobern – ein strategisch wichtiges Stück Land im Schwarzen Meer, das von 1783 bis zum Auseinanderbrechen der Sowjetunion 1991 unter der Herrschaft des Kreml stand.

Die amerikanischen Kriege waren blutiger

Von 2000 bis heute waren die Amerikaner und ihre Verbündeten in drei größere Kriege verwickelt: in Afghanistan, im Irak und in Libyen. Ganz zu schweigen von zahlreichen kleineren Angriffen mit Marschflugkörpern und Drohnen gegen wehrlose Opfer. Zwei dieser drei Kriege führten zu nichts – ja, sie waren so unsinnig, daß ihr Scheitern bereits vorherzusehen war (und vorhergesehen wurde). Aus dem dritten gingen die USA als Sieger hervor, setzten damit aber der Existenz des Staates Libyen praktisch ein Ende.

Trauer um versehentlich von Nato-Flugzeugen getötete, libysche Aufständische Foto: picture alliance/dpa
Trauer um versehentlich von Nato-Flugzeugen getötete, libysche Aufständische Foto: picture alliance/dpa

Die Präsidenten und Premiers, die diese Kriege anzettelten, haben sehr viel blutigere Hände als Putin. Zudem hatte der Westen seine Lektion damit noch keineswegs gelernt. Der nächste idiotische Krieg, den einige westliche Regierende gerne in Syrien geführt hätten, konnte nur durch das entschiedene Veto ihrer Parlamente und Bürger verhindert werden.

Die europäischen Völker haben jeden Kampfgeist verloren

Und was unternimmt der Westen jetzt, wo Rußland mit der Besetzung der Krim allem Anschein nach vollendete Tatsachen geschaffen hat? Rein gar nichts. Die Regierungschefs diskutieren über Möglichkeiten, Rußland zu isolieren und Sanktionen zu verhängen. (Im Laufe der Jahre haben die Amerikaner Sanktionen gegen Dutzende Länder verhängt – eine interessante Frage wäre, inwieweit das zu ihrem Außenhandelsdefizit, dem größten aller Zeiten, beigetragen hat.) Man wird sehen, was daraus wird. Die USA, die während des Kalten Krieges 300.000 Mann in Europa stationiert hatten, entsenden nun ein Zehntel eines Prozents dieser Anzahl, um ihre Solidarität mit Polen zu zeigen, das sich bedroht fühlt.

Derweil werden die westlichen Streitkräfte – darunter auch die Bundeswehr – auf ein absolutes Minimum reduziert. Die westlichen Bevölkerungen altern. Die Völker haben längst jeden Kampf- und Widerstandsgeist verloren. Und was machen die Verteidigungsminister? Sie vergeuden ihre Zeit damit, sich neue Ansätze zur Bekämpfung „sexueller Belästigung“ und zur Anwerbung von Soldatinnen auszudenken.

Als ob sich dadurch Putins nächster Vorstoß verhindern ließe, beispielsweise im Baltikum, wo ebenfalls beträchtliche russische Minderheiten leben. Vorausgesetzt natürlich, daß Putin tatsächlich einen neuen Vorstoß plant.

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Prof. Dr. Martin van Creveld gilt als einer der führenden Militärhistoriker („Die Zukunft des Krieges“). Er lehrte an der Universität Jerusalem, heute ist er Dozent der Universität Tel Aviv.

JF 12/14

Der russische Präsident Wladimir Putin bei der Eröffnung der Paralympics Foto: picture alliance/dpa
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