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Privilegien des Geldadels

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Die schwerste Finanzkrise seit 1929 bestätigt scheinbar die vernichtenden Urteile der Kapitalismuskritiker. Er beruhe auf skandalöser „Klassenjustiz“, bestrafe statt der Krisenverursacher deren Opfer: Sparer, Steuerzahler, die Allgemeinheit. In seinem Heiligen Land, den USA, kauft der Staat die durch eigenes Versagen havarierte Finanzindustrie frei und belastet seine Bürger mit einer Rettungshypothek von 700 Milliarden Dollar — das ist mehr, als der Irak-Krieg bislang gekostet hat. In Deutschland werden Manager, die Milliarden verwirtschaftet haben, mit Millionen verabschiedet. Staatsbankiers (KfW & Co.) verlieren zwar ihren Job, doch die Pension bleibt ihnen erhalten — wie Generalen nach dem verlorenen Krieg. Worauf beruht diese Privilegierung des Geldkapitals vor den Leistungen des Faktors Arbeit, dem „Humankapital“ und seiner persönlichen Haftung für Mißerfolg und Risiko? Diese Frage hat schon Karl Marx und Friedrich Engels beschäftigt. Ihre Analyse griff jedoch zu kurz. Die Weltbewegung des Kommunismus verschwand bis auf kümmerliche Reste von der Bildfläche. Sie hatte der Marktwirtschaft und dem Unternehmertum ein Vergehen angelastet, das beide gar nicht zu verantworten haben: daß der Erfolg aus der gemeinsamen Leistung von Arbeit und Kapital dem Geld- und Kapitalbesitzer als Eigentum zuwächst. Der Arbeitnehmer (der ein seine Arbeit vermarktender Selbst-Unternehmer ist) geht leer aus und muß sich mit der Lohnzahlung begnügen. Diese einseitige Vorzugsstellung des Kapitals resultiert nicht aus dem Markt, sondern dem Recht, genauer der gedankenlosen Übernahme des altrömischen Eigentumsrechts in die moderne kapitalistische Zeit. Das Römische Recht war bei aller Logik und Präzision eines für rechtlose Lohn- und Arbeitssklaven. Diese bekamen den Lohn, den ihnen der Patron zubilligte. Der deutsche Gesetzgeber hat versucht, sich von diesem Unrechtsprinzip zu distanzieren. Im Paragraphen 950 des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 (BGB) steht, daß sich beide Leistungserbringer das Eigentum aus ihrem team work teilen. Doch praktische Bedeutung hat dieser Paragraph nie erlangt. Dieser Privilegierung des Kapitals verdankt sich auch die Sonderrolle des Finanzsektors in der sozialen wie neoliberalen Marktwirtschaft. Sie verschafft dem Geldadel Pfründen und Einnahmen, von denen der Feudaladel nur träumen konnte. Doch Geld und Kredit sind öffentliche, dem Volk (und Souverän) gehörende Güter. Und die Gesellschaft, die diese Güter ohne zwingende Orientierung am Sozialwohl privaten Betreibern überläßt, muß jederzeit damit rechnen, daß diese sie (aus Profitgier oder Inkompetenz) von einer Krise in die andere stürzen. Die von den Verantwortlichen des Finanzsektors ausgelösten Krisen der Arbeitswelt werden, so gut es geht (und es die Staatsfinanzen erlauben), von Gewerkschaften und Sozialstaat gemildert. Doch für den Sparer kämpft keine Gewerkschaft, kein Sozialstaat greift ihm unter die Arme. Er ist den vom Finanzsektor ausgehenden Krisen hilflos ausgeliefert. Er muß es hinnehmen, daß seine mühsam erarbeitete Lebensersparnis und Zukunftssicherung von einem Tage zum anderen vernichtet wird. Der ihm zum Ausgleich gebotene Kundenschutz (ein Kind der verheerenden Weltfinanzkrise der 1930er Jahre) ist kläglich. Er hat die Verhältnisse von vor 40 Jahren zur Grundlage, als er geschaffen wurde, nicht die von heute. Der staatliche Einlegerschutz deckt maximal 18.000 Euro pro Kontobesitzer (90 Prozent der Obergrenze von 20.000 Euro). Die Zugabe der privaten Bankwelt beträgt pro Institut 30 Prozent des haftenden Eigenkapitals, pro Milliarde Euro jeweils 300 Millionen Euro. Das mag im Falle des Konkurses einer Bank reichen, für einen Flächenbrand ist es zu wenig. Der diese Garantie abdeckende „Feuerwehrfonds“ ist auf das Einspringen der Bundesbank als „letzter (geldgebender) Instanz“ angewiesen. Doch deren Befugnisse und Mittel sind auf die Europäische Zentralbank (EZB) übergegangen; diese steht im Dienste der EU, nicht von deren Einzel-Nationen. Brüssel hat aber den verläßlichsten Einlegerschutz, den des Sparkassensektors, auf Antrag der Privatbanken aufgehoben: Die Gewährträgerhaftung (von Ländern und Gemeinden) sei eine „den Wettbewerb verfälschende Subvention“! Deswegen gilt dieser Schutz nur noch für Einlagen vor dem 18. Juli 1995. Pioniere auf diesem Gebiet waren die Volks- und Raiffeisenbanken. Sie bieten ihren Eignern und Geldgebern einen Schutz aus eigenen Garantiefonds.Doch was nützt das alles, wenn weder die Summen stimmen noch die modernen Geldanlagen (Fonds, Zertifikate usw.) erfaßt werden? Solange die Instrumente und Mittel, die den Bürger vor den Risiken der Finanzwelt schützen sollen, selber risikogefährdet sind (Geld, Banken und Finanzprodukte), ist eine rationale und eigenverantwortliche Lebensführung und -planung schwer möglich. Die weltweite Finanzkrise wirft die Frage auf, wie lange sich der Westen ein Finanzsystem leisten kann, das sich am Erhalt seiner Privilegien orientiert statt am Wohl seiner Bürger.   Prof. Dr. Wilhelm Hankel war unter Karl Schiller Chef der Bank- und Versicherungsaufsicht. Unter seiner Ägide entstand die Bankenenquête von 1968. Er veröffentlichte zuletzt das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“ (Signum-Verlag, Wien 2008).

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