Da ist also den feurigen Magyaren wieder einmal der Kragen geplatzt: Sie sind empört und gingen auf die Straßen, als sie erfuhren, daß ihr steinreicher „postkommunistischer“ Premier Ferenc Gyurcsány im vertrauten Zirkel eingestand, sie im Wahlkampf und schon in seiner vorherigen Regierungszeit nach Strich und Faden belogen und betrogen zu haben über die tatsächliche Lage ihres Landes und darüber, was er nach dem Wahlsieg zur Sanierung des Landes zu tun gedenke. Uns Deutschen kommt da einiges bekannt vor, denkt man etwa an Schröders und Fischers Wahlkampf 1998. Und ironisch könnte man dem Ministerpräsidenten in Budapest raten, sich als Demokratieschüler ein Vorbild zu nehmen an den „reifen“ Demokratien des Westens, wo sich über dergleichen Lappalien kaum mehr jemand aufregt. Man hat dem Ungarn auch schon Intensivkurse in Paris, Berlin, Madrid oder Rom empfohlen, um zu lernen, wie man derlei bewältigt. Man kann aber auch ernsthafte, gewissermaßen politikwissenschaftliche Fragen zur „Demokratie-theorie“ stellen, insbesondere die Frage, wie legitim Wahlen und Wahlergebnisse eigentlich sind, wenn die politischen Klassen die Wähler für dumm verkaufen oder wenn etwa die Wahlbeteiligung auf 40 oder 30 Prozent der Wahlberechtigten sinkt als Ausdruck des Vertrauensverlustes und des Protestes der Bürger. Das sind bekanntlich keineswegs mehr weit hergeholte Fragen, sondern ihnen liegt eine leider sehr reale Entwicklung zugrunde, die es zu klären gilt – ohne obrigkeitsfromme Political Correctness, die sie ja nur vernebeln soll. Wir befinden uns längst mitten in einem Deformationsprozeß der Demokratie. Und er nähert sich dem bekannten Ratschlag Bert Brechts, wenn das Volk mit der Regierung nicht mehr übereinstimme, gäbe es ja die Alternative, daß die Führung ein anderes Volk wähle. Wer denkt da nicht etwa an die Einwanderungspolitik und Staatsbürgerschaftsverleihungen mit ganz bestimmten Zwecksetzungen der Regierungen! Ganz im Ernst: Wir sind Zeugen der Erfahrung, daß auch die „moderne“ Demokratie auf den Grundfesten der Wahrheit, des Anstandes, der gerechtigkeit, des Respekts der Gewählten vor den Wählern ruhen muß und daß sie ohne diese Fundamente zur Illegitimität einer „Räuberbande“ verkommt, um den heiligen Augustinus zu zitieren, modern ausgedrückt: zu einer manipulierten und „gelenkten“ Demokratie. Die Anzeichen dafür mehren sich allenthalben in den Staaten des Westens. Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaften an der Universität Hohenheim.