Kanzler Gerhard Schröder hat letzte Woche in Tokio zusammen mit Japans Premier Junichiro Koizumi erneut unterstrichen, daß die neuen ständigen Mitglieder in einem erweiterten UN-Sicherheitsrats volle Kompetenzen und deshalb auch ein Vetorecht erhalten müßten. Die Aussichten dafür sind allerdings eher gering. Deutschland ist zwar als Beitragszahler gefragt, sein politisches Gewicht soll aber weiterhin begrenzt bleiben. Deshalb fordern die Gegner der deutschen Initiative, wie etwa Italien, daß es "zeitgemäßer" sei, der EU einen derartigen Sitz einzuräumen.
Deutschland und Japan hatten sich bereits im September mit Indien und Brasilien verbündet, um gemeinsam eine ständige Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat zu erreichen. Die von Uno-Generalsekretär Kofi Annan eingesetzte Reformkommission hat vorgeschlagen, sechs zusätzliche ständige Sitze zu schaffen – jeweils zwei für Asien und Afrika sowie je einen für Europa und Amerika. Auch drei nichtständige Sitze sollen hinzukommen. Ein Vetorecht ist allerdings bislang nicht vorgesehen. Schröder beeilte sich unterdessen, seine Forderung nach einem Vetorecht wieder zu relativieren. So sagte er in einem Fernsehinterview, bei seiner Forderung handle es sich lediglich um eine "Ausgangsposition" für die weitere Diskussion. "Nichts kommt so rein, wie es rauskommt", meinte er. "Letztlich wird es einen Konsens brauchen, dem werden wir nicht im Wege stehen."
Rußlands Präsident Wladimir Putin ließ bei seinem Indien-Besuch anderes vernehmen: "Was das Vetorecht angeht, so betrachten wir es als völlig inakzeptabel, die wirksamsten Instrumente in der Tätigkeit des Weltsicherheitsrates zu verwischen." Man wolle "für das Vetorecht der neuen Ratsmitglieder" optieren. Es dürfe nicht zweierlei ständige Mitglieder geben. Scharfe Worte fand Putin für die USA, denen er vorwarf, "die von Gott erschaffene vielgesichtige und vielfältige moderne Zivilisation nach den Kasernenprinzipien einer monopolaren Welt" umgestalten zu wollen.
In Deutschland lösen Schröders Bemühungen ein unterschiedliches Echo aus. CSU-Chef Edmund Stoiber unterstützt die Forderung nach einem ständigen Sitz. Er warnte aber davor, das Verhältnis zu den USA erneut zu belasten. Daher sei es eine nachgeordnete Frage, ob ein solcher ständiger Sitz mit oder ohne Veto-Vollmacht ausgestattet ist.
Für den außenpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Wolfgang Schäuble, sind die Bemühungen des Kanzlers sogar schlicht ein "Ablenkungsmanöver". Zu sagen "wir wollen gleichberechtigt sein, wir sind unter den ganz Großen, das hat mit Außenpolitik wenig zu tun. Schröder will von seinem wirtschafts- und sozialpolitischen Versagen ablenken und den Deutschen das Bild malen: Wir sind wieder wer", giftete der Ex-CDU-Chef. "Atlantikern" wie Schäuble scheint wohl bereits der Gedanke, daß Deutschland "gleichberechtigt" sein könnte, unstatthaft zu sein.
Er argumentiert hier kurioserweise fast auf einer Ebene mit der PDS, deren außenpolitischer Sprecher Wolfgang Gehrcke erklärte: "Ein Sicherheitsratssitz für Deutschland, noch dazu mit Vetorecht, macht die Welt nicht sicherer und die Vereinten Nationen nicht demokratischer." Der westdeutsche Altkommunist empfiehlt daher: "Statt Deutschland in eine außenpolitische Rolle zu drängen, die es vor seiner Vergangenheit nicht verantworten und in der Zukunft nicht bewältigen kann, sollte sich der Bundeskanzler dafür einsetzen, daß endlich jene Staaten und Völker eine Stimme im Sicherheitsrat bekommen, die zu dauerhaften Opfern der kapitalistischen Globalisierung werden."
Auch wenn letzteres eher nach altgrüner Fundidiktion klingt, ist es schon eine bemerkenswerte Koalition, in der sich Politiker von der Union bis zur PDS zusammenfinden, um gegen einen deutschen Sitz im Sicherheitsrat zu trommeln. Gleichzeitig wissen sie die Geschichte auf ihrer Seite: Für eine exponierte Rolle Deutschlands sind die Vereinten Nationen 1945 nicht gegründet worden.
Im Gegenteil: In ihren Ursprüngen war die Uno eine rein antideutsche Veranstaltung. Keimzelle war die "Atlantik-Charta", die von US-Präsident Franklin D. Roosevelt und dem britischen Premier Winston Churchill Mitte August 1941 verkündet worden war. In dieser Charta ist viel vom Selbstbestimmungsrecht der Nationen, von wirtschaftlicher Zusammenarbeit mit allen Staaten und dem Verzicht auf Gewalt als Mittel der Politik die Rede. Selbstverständlich sollten diese Prinzipien für das nationalsozialistische Deutschland keine Gültigkeit haben. Daß sich Roosevelt und Churchill an die hehren Ziele, die sie da formuliert hatten, selbst nicht im mindesten gebunden fühlten, zeigte ihr weiteres Verhalten nur allzu deutlich.
Daß etwa Sowjet-Diktator Stalin diese Prinzipien mit Füßen trat, hinderte weder Roosevelt noch Churchill daran, sich mit der Sowjetunion gegen Deutschland zu verbünden. Was der derzeitige US-Präsident George W. Bush von den UN-Grundsätzen hält, hat er in der jüngsten Vergangenheit immer wieder deutlich gemacht: nämlich gar nichts. Vor diesem Hintergrund wäre es noch nicht einmal tragisch, wenn Deutschland in jener Alibi-Veranstaltung, die der UN-Sicherheitsrat von jeher war, nicht vertreten ist.