Hellsichtig stellte der Finanzfachmann Bruno Bandulet mit Blick auf die Konsequenzen des Maastrichter Vertrages bereits 1993 fest, daß dieser „zum ersten Mal verbindlich das Prinzip der innereuropäischen Umverteilung“ verankere und „mit Sicherheit eine Lawine neuer Subventionsforderungen“ auslösen werde – und dies zu einer Zeit, da der „bewährte Zahlmeister Deutschland“ selbst kein Geld mehr habe. Alles, was in vier Jahrzehnten aufgebaut worden sei, so Bandulet, stehe auf dem Spiel. Keiner der deutschen Politiker, die nun so beredt die Forderungen des EU-Kommissionspräsidenten José Manuel Durão Barroso zurückweisen, kann sich daher darauf zurückziehen, nicht gewußt zu haben, was mit der EU-Osterweiterung und anderen Vorhaben, die in Brüssel ohne wirkliche demokratische Legitimation angestoßen werden, finanziell auf Deutschland zukommen wird. Nichts als populistisches Geheuchel ist es deshalb, wenn die grüne „Haushaltsexpertin“ Antje Hermenau feststellt, daß „wir“ vollauf damit beschäftigt seien, „unseren Haushalt zu konsolidieren und die europäische Währung zu stabilisieren“. Zur Erinnerung: Barroso hat nichts anderes getan, als sich den von der bisherigen deutschen EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer – einer Parteifreundin Hermenaus – vorgelegten Budgetentwurf für die Jahre 2007 bis 2013 zu eigen zu machen. Dieser sieht eine Steigerung der Ausgaben von derzeit 100 auf 143 Milliarden Euro im Jahr 2013 vor. Zu Recht stellt Barroso fest, daß Europa seine Ambitionen nicht auf der Grundlage von weniger Mitteln realisieren könne. Schreyer unterstrich dessen Sichtweise: „Ständig neue Aufgaben und große Ziele für Europa zu beschließen, aber dann die Finanzierung in Frage zu stellen, das klappt auch auf EU-Ebene nicht.“ Genauso ist es. Als es um die Formulierung ebendieser „Aufgaben“ ging, standen sowohl die Regierung Kohl als auch Schröder immer in der ersten Reihe. Heute, da die Rechnung präsentiert wird, möchte man nicht mehr an die Großmannssucht von gestern erinnert werden. Ja mehr noch: Vor dem Hintergrund von „Hartz IV“ und anderen sozialpolitischen Folterzangen könnte es nachgerade provozierend wirken, wenn Deutschland noch mehr Geld in irgendwelche obskuren EU-Umverteilungstöpfe pumpen muß. Genau hier liegt im Vorfeld wichtiger Landtagswahlen in Mitteldeutschland, die für die „Volksparteien“ zu einem Debakel zu werden drohen, wohl der eigentliche Hase im Pfeffer. Barroso kann sich ob des deutschen Gezeters gelassen geben: Die Forderung, die EU-Beiträge bei einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) zu deckeln, sei eher taktischer Natur, erklärte er am Rande eines informellen Treffens. Er weiß: Die Deutschen werden auch diesmal zahlen. 1,14 Prozent des BIP sollen sie in Zukunft berappen. Damit würde der deutsche Bruttobeitrag – man halte sich fest – um sage und schreibe 13,5 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Nur noch amüsiert kann man vor diesem Hintergrund die Warnung des SPD-Generalsekretärs Franz Müntefering an die Bundesländer zur Kenntnis nehmen: Diese sollten ja nicht nachgeben in der Hoffnung, daß sie dann „mehr Geld aus Brüssel“ bekämen. Das klingt in etwa so, als wenn ein Bauer mit immer mehr Futter alle möglichen Schweine anlockt und dann den eigenen einzureden versucht, daß sie sich gefälligst mit den Brosamen zu bescheiden hätten. Wie man seine Interessen durchsetzt, das hat die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher vorgemacht, von der der legendäre Spruch „I want my money back!“ überliefert ist. Nicht vergessen werden darf vor diesem Hintergrund, daß es „Visionäre“ wie Außenminister Joseph Fischer gar nicht erwarten können, auch noch die Türkei mit deutschen Steuergeldern zu beglücken. Wer das für Zukunftsmusik hält, der sei an dieser Stelle darüber aufgeklärt, daß die EU-Kommission bereits in Kürze ihren „Fortschrittsbericht zur Türkei“ vorlegen wird. Im November 2005 will die EU dann entscheiden, ob Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen werden. Daran können nach dem heutigen Stand der Dinge kaum noch Zweifel bestehen. EU-Erweiterungslobbyist Günter Verheugen (SPD) hat bereits in der Welt am Sonntag erklärt, er habe keine grundsätzlichen Einwände gegen die Aufnahme der Türkei in die EU. Vielsagend fügte der verhinderte „Superkommissar“ hinzu: Allerdings müsse man sich fragen, welche Anpassungen die EU vornehmen müsse, um ein so großes und einwohnerstarkes Land aufzunehmen. Interessiert es einen EU-Apparatschik wie Verheugen eigentlich, was etwa der als „linksliberal“ eingestufte Historiker Hans-Ulrich Wehler vor kurzem in der Beilage zum Wochenblatt Das Parlament feststellte: „Kommt es … zur Aufnahme der Türkei“, so Wehler, „würden damit vitale europäische und deutsche Interessen verraten, das große Projekt der politischen Einigung würde zerstört.“ Nur in einem kann Wehler nicht zugestimmt werden: Dieses „Projekt“ war nie „groß“, sondern diente immer nur einem: nämlich der „Europäisierung der deutschen Frage“. Was diese „Europäisierung“ für Folgen hat, formulierte der eingangs erwähnte Bruno Bandulet wie folgt: „Die Deutschen verspielen ihre Zukunft, sie wissen es nur noch nicht.“
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