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Fern von jeder Realität

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Die Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten und Rußlands (G8) haben zum Abschluß ihres Gipfels in Kanada einen Hilfsplan für Afrika sowie eine Milliarden-Initiative zur Beseitigung nuklearer Gefahrstoffe in Rußland beschlossen. Wie vorher auch, wurde auch dieser Gipfel als „Erfolg“ gefeiert. Bedeutsam soll vor allem der Aktionsplan für Afrika sein, mit dem angeblich eine neue Partnerschaft der G-8 mit Afrika begründet worden sei. Auch die beschlossene Vollmitgliedschaft Rußlands ab 2006 habe eine „historische Dimension“. Im Interesse des Westens (meint: der USA) soll zudem eine Initiative im Volumen von bis zu 20 Milliarden Dollar liegen, mit der nukleare und andere Gefahrstoffe beseitigt und damit möglichen Zugriffen von Terroristen entzogen werden sollen. Daß hier auch Deutschland mit einer ansehnlichen Summe zur Kasse gebeten wird, versteht sich von selbst. Auch die jüngste Nahost-Rede von US-Präsident George W. Bush war ein Thema in Kananaskis. Ein offener Konflikt zwischen den USA und den Europäern im Hinblick auf das Palästinenserproblem wurde – wie immer – vermieden. Dieser hätte die selbstauferlegte Harmonie, die derartige Gipfel in der Regel begleitet, nur gestört. Dabei hätte es gerade im Hinblick auf Bushs Rede, in der sich dieser ohne jede Abstriche die israelische Lesart der Dinge zu eigen gemacht hat, genug Diskussionsstoff gegeben. Letztlich wird von den Palästinensern nichts anderes erwartet, als daß sie ihr Schicksal voll und ganz in die Hände der USA legen und sich deren Bedingungen unterwerfen. Es bedarf keiner großen prophetischen Gabe, um zu erkennen, daß diese Rede die Lage im Nahen Osten weiter verschärfen wird. Die Bush-Rede hat einmal mehr unterstrichen, daß das eigentliche Problem des Nahostkonfliktes die USA sind. Die seit Jahrzehnten einseitig proisraelische Politik der USA hätte aus Sicht der Europäer ein Thema des Gipfels sein müssen. Statt dessen wurde Befriedigung darüber kundgetan, daß sich Bush überhaupt einmal programmatisch über die Intentionen der USA im Hinblick auf den Nahen Osten geäußert hat. Derartige Bekundungen unterstreichen einmal mehr, daß die Europäer die Vasallenrolle, die ihnen der ehemalige Sicherheitsberater der Regierung Carter, Zbigniew Brzezinski, zugedacht hat, vollkommen verinnerlicht haben. Daß der von der Globalisierung vergessene „schwarze Kontinent“ Hauptthema des diesjährigen G-8-Gipfels war, kommt nicht überraschend. Afrikas Anteil am Welthandel ist inzwischen unter zwei Prozent gesunken. Der Kontinent ist zu einem Synonym für Negativ-Rekorde geworden. Die hochtrabend „Aktionsplan“ genannte Initiative freilich, die im kanadischen Kananaskis beschlossen wurde, dürfte nicht mehr als ein Placebo für den „schwarzen Kontinent“ sein. Dieser wird nichts an der Realität der Armut und Unterentwicklung ändern. Und vor allem wird er nichts an dem anhaltenden Migrationsdruck aus Afrika in Richtung Europa ändern. Schon deshalb wäre zu wünschen gewesen, daß mit Blick auf Afrika nicht nur vorbereitete Erklärungen und Dokumente auf diesem Gipfel verabschiedet worden wären. Der Aktionsplan soll den Staaten Afrikas bei Eigeninitiativen im Kampf gegen Armut und Unterentwicklung helfen. Die G8-Staaten stellen allerdings Bedingungen: die afrikanischen Staaten sollen sich verpflichten, Mängel in der eigenen Regierungsführung zu bekämpfen und auf der Basis einer demokratischen Entwicklung soziale und wirtschaftliche Verbesserungen herbeizuführen. Dann wollen die G-8-Länder mindestens die Hälfte bereits zugesagter zusätzlicher Mittel für die Entwicklungshilfe nach Afrika leiten. Es ist unübersehbar, daß der Aktionsplan, der auf eine Initiative von reformorientierten afrikanischen Staaten (NEPAD = Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas) zurückgeht, vor allem diese Staaten auf dem bisher vernachlässigten Kontinent unterstützen soll. In Afrika selbst wollte angesichts dieser „Wohltaten“ verständlicherweise kein Jubel ausbrechen. In verschiedenen afrikanischen Zeitungen war zu lesen, der Aktionsplan sei ein „skandalöser Plan zum Nichts-Tun“. Auch Analysten und Hilfsgruppen in Afrika sprachen von „heißer Luft“ und kritisierten das Fehlen eines Schuldenerlasses. Neville Gabriel von der Katholischen Bischofskonferenz Südafrikas monierte in einem Zeitungskommentar, die G-8-Politiker wollten die Bedingungen der Entwicklung Afrikas diktieren, ohne entsprechende finanzielle Zusagen zu machen. Groß war auch die Skepsis der Teilnehmer im Hinblick auf die G-8-Beschlüsse beim „Gipfel der Armen“ im afrikanischen Mali. Der Aktionsplan der Staats- und Regierungschefs der sieben wichtigsten Industriestaaten und Rußlands habe mit „unserer Realität“ nichts zu tun, kritisierte der malische Historiker Cheik Chikouna Cissé am Freitag vergangener Woche. Cissés Einschätzung trifft den Kern der Dinge. Den Vertretern der G-8-Staaten geht es nicht um „Realitäten“, sondern um „mediale Events“, mit denen sie sich medienwirksam als „Verantwortungsträger“ in Szene setzen können. Wichtig ist allein das Gruppenfoto, auf dem stets zufriedene Staatschefs in die Kameras lächeln, um der Welt eine Harmonie vorzugaukeln, die es nicht gibt.

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