HAMBURG. Sein Stinkefinger bleibt ohne Folgen: Gegen den Sänger Udo Lindenberg wird kein Verfahren wegen Beleidigung eingeleitet. Eine entsprechende Klage hat die Staatsanwaltschaft Hamburg nun „mangels öffentlichen Interesses“ verworfen. Hintergrund ist ein Vorfall in der Bürgerschaft der Hansestadt aus dem September. Da debattierte das Landesparlament über die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an den 76jährigen „Panikrocker“.
Während der Rede des stellvertretenden Vorsitzenden der AfD-Fraktion, Alexander Wolf, zeigte Lindenberg den Mittelfinger. Wolf hatte ihn zuvor als „Künstler mit außergewöhnlichem musikalischen Talent“ gewürdigt, der sich „um das Ende der deutschen Teilung verdient gemacht“ habe. Mit der Ehrung aber werde Lindenberg, so Wolf, in eine Reihe mit Johannes Brahms, Otto von Bismarck, Helmut Schmidt und Uwe Seeler gestellt: „Und ich bitte, mir das nicht übelzunehmen: Verglichen mit ‘Uns Uwe’, fürchte ich, wird Udo Lindenberg nicht ‘Uns Udo’ werden.“
Ob mit diesem „Stinkefinger“, den im Straßenverkehr zu zeigen bis zu 4.000 Euro kosten kann, der Tatbestand der Beleidigung erfüllt wird, sei jedoch fraglich, teilte die Hamburger Staatsanwaltschaft nun in einem Schreiben mit, das der JUNGEN FREIHEIT vorliegt. Denn möglicherweise habe die obszöne Geste gar nicht dem Abgeordneten Wolf gegolten, sondern sich auf den Inhalt seiner Rede bezogen. In diesem Fall sei sie durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, begründet die Behörde ihr Nichthandeln.
Stinkefinger sei „Ausdruck des eigenen Desinteresses“
Weil Lindenberg seinen Mittelfinger mit einer „Kurbelbewegung“ verbunden und nur kurz ausgestreckt habe, könne dies „inhaltlich auch als Aufforderung, den Redebeitrag kurzfristig zuende zu bringen“ und als „Ausdruck des eigenen Desinteresses“ verstanden werden. In dem Fall wäre eine Herabsetzung der Person des AfD-Politikers nicht gegeben, schreibt die Staatsanwaltschaft. Die Geste werde zudem häufig ohne Bezug zu einer konkreten Person verwendet.
Eine Verfolgung der Tat von Amts wegen werde nur unter der Voraussetzung vorgenommen, daß der Rechtsfrieden gestört würde, etwa durch eine besondere Gefährlichkeit der Tat oder wegen „rassistischen, fremdenfeindlichen oder sonstigen menschenfeindlichen Beweggründen des Täters“. Der Mittelfinger sei aber während einer parlamentarischen Debatte gezeigt worden, an der Wolf als Abgeordneter beteiligt war. „Da Politiker bewußt in die Öffentlichkeit treten, haben sie auch Kritik in weiterem Maße als Privatpersonen hinzunehmen“, beschied die Staatsanwältin.
Wolf nannte die Begründung „hanebüchen“ und warf der Staatsanwaltschaft Verharmlosung vor. Weil es dagegen kein förmliches Rechtsmittel gibt, wandte sich der Jurist mit einer außerordentlichen Gegenvorstellung an die Hamburger Generalstaatsanwaltschaft mit der Bitte, die seiner Meinung nach rechtswidrige Entscheidung zu korrigieren. Denn die widerspreche diametral der bisherigen Rechtsauffassung und Praxis, wonach etwa im Straßenverkehr eine solche Geste den Straftatbestand der Beleidigung erfülle. Würde sich, so der Vorwurf des stellvertretenden AfD-Fraktionsvorsitzenden, die Argumentation der Staatsanwaltschaft durchsetzen, wären „dem Zeigen des Stinkefingers künftig Tür und Tor geöffnet“. (vo)