Es gärt in der bürgerlichen Mitte: liberale Blogger, katholische Unternehmer, kritische Ministerialbeamte, Bürgerrechtler mit Vera Lengsfeld an der Spitze – gut 80 Unzufriedene aus der Kernklientel von CDU und FDP hatten sich am Dienstag abend beim Forum Mittelstand versammelt, um das neue Buch „Angela Merkel aus der Nähe“ von Josef Schlarmann, langjähriger Bundesvorsitzender der Mittelstandsvereinigung von CDU und CSU, zu diskutieren.
Der Leiter des Forums Mittelstand, Stefan Friedrich, hatte für die Buchbesprechung prominente Unterstützung angefordert: Euro-Rebell Frank Schäffler (FDP) präsentierte Schlarmanns Buch. Schäffler gehörte zusammen mit Schlarmann zu den ersten und entschiedensten Gegnern der Euro-Rettungsschirm-Politik. Doch bevor Schäffler mit seiner Besprechung beginnen konnte, beschwor Friedrich die Anwesenden: „Ja, wir leiden an unseren Parteien, an der CDU und der FDP, aber hoffen doch, daß sich etwas ändert! Wir müssen den vorpolitischen Raum besetzen, uns engagieren und dürfen uns nicht frustrieren lassen.“
Der FDP-Politiker Frank Schäffler und Josef Schlarmann kennen sich aus den Anfängen der Finanzkrise, seit ungefähr zehn Jahren, als beide gemeinsam in der Bild-Zeitung das bankrotte Griechenland aufforderten, zur Begleichung der Schulden doch ein paar Inseln zu verkaufen. Damals ein großes Aufreger-Thema, am Dienstagabend Schäfflers schenkelklopfende Einleitung in Schlarmanns neues Buch.
Eine politische Abrechnung
Der wenig reißerische Buchtitel „Angela Merkel aus der Nähe“ gelte auch für den Inhalt, so Schäffler, denn das Buch sei keine persönliche, sondern eine politische Abrechnung. Schlarmann, der mit Merkel im erweiterten Bundesvorstand der CDU saß, beschreibt darin den politischen Weg Angela Merkels von der wirtschaftsfreundlichen Leipziger Reformagenda bis zum Verteilen von sozialen Wohltaten. Schlarmann analysiert, warum die Bunderegierung mit der Bewältigung der Euro-Krise scheitern mußte, setzt sich kritisch mit der Energiewende auseinander und warnt vor Merkels politischem Kurs, der sich nicht an der Sozialen Marktwirtschaft orientiere. „Bei der Flüchtlingskrise hat Merkel gesinnungsethisch und machtbesessen gehandelt – und nicht verantwortungsethisch“, ergänzt Schäffler.
„Angela Merkel ist eine gewiefte Machtpolitikerin, die politische eher links steht“, sagte Schäffler, das zeige auch der FAZ-Redakteur Philip Plickert in seinem neuen Buch „Merkel – eine kritische Bilanz“. Merkel bewege sich inhaltlich immer am Zeitgeist. „Vielleicht findet sie ja so auch wieder zu den Inhalten von Leipzig zurück“ – für diesen letzten Satz erntete Schäffler ungläubiges Gelächter.
Die AfD radikalisiere sich weiter
Daß das Bundeskanzleramt unter Merkel zu einem Umfrageinstitut geworden sei und immer die Politik mache, die gerade mehrheitsfähig ist, analysierte Josef Schlarmann in seiner Replik auf Schäffler, dem er auch Mut machte: „Die FDP kommt im September wieder in den Bundestag.“ Und dann hätten die Liberalen eine historische Chance den „inhaltslosen Wackelpudding CDU“ durch eine klare Kante in Richtung Soziale Marktwirtschaft zu bewegen. Im Übrigen sei Merkel schuld, daß es die AfD gibt, weil sie die Chance verpaßt habe, rechtzeitig auf den langjährigen CDU-Mann Bernd Lucke zuzugehen und diesen mit seiner Euro-Kritik einzubinden.
Eine rhetorische Vorlage, die Schäffler sofort nutzte: „Die AfD radikalisiert sich weiter. Sie wird für immer größere Teile des bürgerlichen Spektrums nicht mehr wählbar“, legte der FDP-Bezirksvorsitzende von Ostwestfalen-Lippe nach. Wunschdenken oder realistische Einschätzung? Das wird sich im September zeigen. Was auch nach diesem Abend sicher scheint: Angela Merkel bleibt im Kanzleramt.