Das Szenario wirkt wie im Film: Dutzende Polizeifahrzeuge säumen den Straßenrand, Soldaten und Polizisten riegeln weite Teile des Regierungsviertels ab, Polizeiboote patrouillieren auf der Spree, ganze Straßenzüge sind menschenleer. Zwischen Holocaust-Mahnmal und Tiergarten, unweit des Brandenburger Tors, steht ein einzelner Marinesoldat im Dienstanzug und schüttelt mit dem Kopf.
Er ist Fähnrich zur See und im dritten Dienstjahr. Ursprünglich wollte er zum Gelöbnis der Bundeswehr, das zur Stunde auf dem Platz der Republik vor dem Reichstag stattfindet. Nachdem aber linksextreme Gruppen zu Protesten aufgerufen hatten, sind nur noch geladene Gäste und Familienmitglieder zu der Veranstaltung zugelassen.
Nun schaut der junge Soldat auf die Gruppe linker Demonstranten, die abgeschottet von der Polizei ihren Unmut über das Gelöbnis am Jahrestag des Hitler-Attentates kundtun. „Das ist nunmal das Recht auf Versammlungsfreiheit“, sagt er. Dies stünde jedem zu. „Wir als aktive Soldaten haben allerdings nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, uns zu zeigen.“ Deswegen stehe er hier in Uniform. „Das ist meine Art, gegen die da drüben zu protestieren.“
Stimmung will einfach nicht aufkommen
Die angesprochenen Bundeswehrgegner allerdings bekommen nicht viel davon mit. Sie sind viel zu beschäftigt mit sich selbst. Zum Beispiel damit, die Technik ihres Lautsprecherwagens in Gang zu bringen und Transparente zu entrollen. „Kriegsgerät interessiert uns brennend“ steht auf einem. Darunter ist ein Bundeswehrfahrzeug zu sehen, das in Flammen aufgeht. Der Aufruf dürfte in Berlin auf fruchtbaren Boden fallen. In den vergangenen Jahren sind im Umland immer wieder Fahrzeuge der Bundeswehr von Linksextremisten in Brand gesetzt worden.
Auf einem anderen Transparent fordert die FDJ-Berlin „BundesWehrmacht in die Grenzen von 1988! Gegen deutsche Landser helfen rote Panzer!“ Dazwischen flattern Fahnen verschiedener linksextremer Splittergruppierungen wie der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) und der DKP. Auch die eine oder andere Antifa-Fahne ist zu sehen.
Stimmung will allerdings nicht aufkommen. Es sind doch deutlich weniger Teilnehmer zur Protestveranstaltung gekommen als erwartet. Gerade einmal knapp zweihundert, von denen viele die besten Jahre wohl schon hinter sich haben. So auch die 62 Jahre alte Irmela Mensah-Schramm. Bekannt geworden ist sie durch ihr Engagement, fremdenfeindliche Aufkleber und Graffiti in Berlin aufzuspüren und zu entfernen. Dafür erhielt sie den Erich-Kästner-Preis des Dresdner Presseclubs.
Lob für das „Darmstädter Signal“
Mensah-Schramm ist aber auch überzeugte Pazifistin, und das schon nahezu ihr ganzes Leben. Deswegen protestiert sie an diesem Tag auch gegen das Gelöbnis, das für sie eine „reine Kriegsvorbereitung“ ist. Am liebsten würde sie die Bundeswehr ganz abschaffen. „Im Inland brauchen wir sie nicht und im Ausland haben wir nichts zu suchen“, sagt sie. Eine Ausnahme wolle sie allerdings machen: „Die kritischen Soldaten vom ‘Darmstädter Signal’, die dürfen bleiben, mit denen kann man wenigstens noch reden.“
Aus den Boxen dröhnt mittlerweile zu Technomusik „Deutschland muß sterben“. Anschließend hält ein Redner der „Anti-Stauffenbergaktion“ eine Rede zu den „widerlichen Hitler-Attentätern“. Es werde völlig ausgeblendet, daß diese „nationalen Konservativen“ Hitler und dem Faschismus erst den Weg ebneten und daß glühende Antisemiten unter ihnen waren. Vereinzeltes Klatschen einiger Demonstranten signalisiert zwar Zustimmung, so richtig zu interessieren scheint der Beitrag allerdings niemanden.
Etwas mehr Aufmerksamkeit erfahren die Grußworte des Europaabgeordneten der Linken, Tobias Pflüger, die über die Lautsprecheranlage verlesen werden. Das Gelöbnis sei eine unerträgliche Militarisierung des öffentlichen Raums und die Soldaten sollten zurück in ihre Kasernen. „Unser endgültiges Ziel aber ist die Auflösung der Bundeswehr“, läßt Pflüger sich zitieren.
„Es werden immer weniger“
Etwas abseits steht mit geschulterter Fahne der Bundesvorsitzende der VVN-BdA, Heinrich Fink. Der 1935 geborene und in der DDR promovierte Theologe ist unzufrieden mit der geringen Resonanz. „Es werden immer weniger“, sagt er. Dabei sei es wichtig, etwas gegen die voranschreitende Militarisierung zu unternehmen. Er beispielsweise habe seinerzeit in der DDR den Militärdienst verweigert. Seiner Karriere schadete dies allerdings nicht. 1979 wurde er Professor an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, 1990 sogar deren Rektor.
Die Proteste gegen frühere Gelöbnisse im Bendlerblock und vor dem Roten Rathaus seien jedenfalls wesentlich besser besucht gewesen, findet Fink. Er sei gekommen, weil die Veranstalter ihn gebeten hätten, einen Redebeitrag zu halten, und da er gegen jegliches Militär sei, komme er dem gerne nach. Später will er, wie seine Vorredner, auf die „kritische Rolle“ der Verschwörer des 20. Juli hinweisen.
Nur einmal kommt wirklich Bewegung in die Veranstaltung. Polizisten setzen die Lautsprecheranlage außer Betrieb, nachdem wiederholt versucht worden war, über sie mit Sirenengeheul bis zum Reichstag vorzudringen. Bei der anschließenden Rangelei werden sieben Personen festgenommen. Unter ihnen die ehemalige RAF-Terroristin Inge Viett.
Von soviel Trubel können die Veranstalter einer weiteren Protestkundgebung beim Paul-Löbe-Haus unweit des Reichstages nur träumen. Zu der für 18.45 Uhr angemeldeten Veranstaltung erscheint mit 30minütiger Verspätung gerade einmal ein Dutzend Demonstranten. Nach einer geraumen Wartezeit und der sich nicht erfüllenden Hoffnung auf weitere Protestteilnehmer zieht die Anmelderin mit ihrer Handvoll Gefolgsleute wieder ab. Ein Polizist, der ihnen genervt nachschaut, sagt zu seinem Kollegen: „Und der ganze Aufwand wegen so einem Kindergarten.“