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Zitatschuld

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Bislang hatte ich den Eindruck, daß die politische Instrumentalisierung der Terroranschläge in Norwegen durch die deutschen Massenmedien so plump und durchsichtig ist, daß sie keinen größeren Schaden anrichtet. Die drängenden Probleme lassen sich nicht dadurch zukleistern, daß man diejenigen kriminalisiert, die sie aussprechen, weil einer unter Millionen – ein Einsamer und Vereinzelter, der zu lange und zu alleine in die Tiefen des Internet und seiner Seele abgetaucht war – aus dem Benennen katastrophaler Fehlentwicklungen mörderische Konsequenzen zog.

Hier und da lassen sich Leute allerdings aufhetzten, die offenbar wenig kritische Distanz zum Politik- und Medien-Establishment haben: Vor einigen Tagen erhielt ich eine ellenlange Mail, die von einem bei Google und Wikipedia aufgelesenen Informationsfetzen zum nächsten ein gewaltiges Netz an Beschuldigungen spannte. Sie begann mit einem pathetischen Ausruf („ganz Europa und sicher viele darüber hinaus sind erschüttert von dem ungeheuerlichen Massaker“) und endete mit der Mitteilung des Verfassers, daß er nicht mehr einem Verein als Referent zur Verfügung stehen könne, in dem ich Vorstandsmitglied sei und ebenfalls als „Dozent“ aufträte.

Der Verein ist ein buddhistisches Zentrum in Berlin, der Verfasser der Mail ein Autor buddhistischer Bücher und der Grund für die Aufregung in erster Linie der Kampf gegen Hitler: „Die gleiche Haltung hat schon Hitler an die Macht gebracht. Millionen Juden haben nicht geglaubt, dass die Nazis das wahr machen könnten, was sie sagten, schrieben und brüllten. Haben wir etwas aus der Geschichte gelernt? Nein, wenn von rechtextremer Seite aus etwas passiert und das umgesetzt wird, was jene Leute schon lange vorher gefordert, verkündet, ja angekündigt haben, dann ist man jedes Mal maßlos schockiert und überrascht und hat von nichts etwas gewußt.“

Übliche Art von „Gesicht zeigen“

Zwischenglieder der Assoziationskette sind der norwegische Terrorist („Breivik hat heute eine neue Version von ‘Mein Kampf’ geschrieben“), dessen „Gleichgesinnte“ (gemeint sind zum Beispiel Ralph Giordano, Thilo Sarrazin und Hendryk M. Broder) und ich („genau dieselben Ideen und Gedanken, wie sie Breivik vertritt“); nebenbei kommen aber auch die Homosexuellen vor, mit deren Behandlung im Dritten Reich ich wohl einverstanden gewesen wäre, weil ich die Gleichstellung von „Homo“- und „Hetero“-Ehe ablehne („kaum anders argumentierten auch die Nazis, als sie die Schwulen im KZ umbrachten“), die Umwälzungen in den arabischen Ländern, die Tempelritter, der Dalai Lama, rechtspopulistische Parteien, die Tea Party und die amerikanischen Republikaner, die „den ersten schwarzen Präsidenten fertig machen“ wollen (woran ich auch schuld bin, weil ich mich ebenfalls gegen Staatsverschuldung und Steuererhöhungen ausgesprochen habe) und überhaupt alles, was sich der Verfasser mal so richtig von der Seele schreiben wollte.

Selbstverständlich war seine Mail nicht direkt an mich, sondern in der üblichen Weise, in der man bei uns „Gesicht zeigt“, hinter meinem Rücken an die übrigen Vorstandsmitglieder gerichtet, die sie aber nicht einfach löschten, wie ich es für angemessen halten würde, sondern meinen Rücktritt forderten, obwohl sie selber der Auffassung waren, daß ich niemals politische Themen in den Verein hineingetragen hatte.

Alles ist mit allem verbunden

Meine Lust, unter solchen Bedingungen weiter an jenem Zentrum zu „lehren“ (ich hatte philosophische Vorträge gehalten), ist gering, allerdings werden einige (Falsch-)Behauptungen – wie die ich wäre ein „Schläfer“, also ein noch inaktiver Terrorist, oder bei einer gewissen Partei öffentlich aufgetreten – womöglich noch ein Nachspiel haben.

Unabhängig davon werde ich dem Mailschreiber vielleicht eine kleine Lektion in „Zitatschuld“ erteilen. „Zitatschuld“ ist im Denunziationsleitfaden der Political Correctness eine Unterkategorie von „Kontaktschuld“: Sie lädt auf sich, wer – wie Hendryk M. Broder in Breiviks Manifest – von einem Terroristen oder Rechtsextremisten zitiert wurde.

Freilich ist, gerade nach buddhistischer Vorstellung, alles mit allem verbunden oder nach Wittenstein alles irgendwie einem anderen ähnlich, so daß es ganz schnell passieren kann, daß jemand irgendwo zitiert wird und die „Anständigen“ ihre Meldungen und Eingaben machen. Das sollte ein Buddhist eigentlich wissen – zumal, wenn er interessante Bücher und Aufsätze geschrieben hat.

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