Die Unabhängige Historikerkommission, die 2005 vom damaligen Außenminister Joschka Fischer (Grüne) eingesetzt wurde mit dem Auftrag, die Tätigkeit des Auswärtigen Amtes während der NS-Zeit zu untersuchen, hat die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt: Das Ministerium, so ihr Fazit, war „aktiv am Holocaust beteiligt“ (FAZ) und – laut Kommissionsmitglied Eckart Conze – eine „verbrecherische Organisation“.
Ihr verbrecherischer Charakter war nach Meinung des israelischen Historikers Moshe Zimmermann, der ebenfalls der Kommission angehörte, nur logisch, denn die gesamte „deutsche Gesellschaft zwischen 1933 und 1945 war eine verbrecherische Organisation oder eine verbrecherische Gesellschaft“. Die „Zielmarke ‘Endlösung’“, weiß Conze, sei „schon sehr früh erkennbar gewesen“.
Keine neuen Erkenntnisse
Das ist eine starke Behauptung, weil mit dem Begriff „Endlösung“ der organisierte Massenmord verbunden wird. Belegen kann der Historiker Conze sie nicht, weshalb er im nächsten Satz ganz unlogisch fortfährt, daß dies „bis 1940/41 noch genausogut Vertreibung nach Madagaskar meinen konnte“. Die Radikalisierung bis hin zur Vernichtung fiel also mit der sukzessiven Ausweitung des deutsch-polnischen Krieges zum Weltkrieg zusammen, der für Hitler weder beherrsch- noch siegreich beendbar war.
Nun ist das Buch „Das Amt und die Vergangenheit“, in dem die Kommission ihre Erkenntnisse versammelt hat, gar kein Buch über die deutsche Außenpolitik und deren internationales Bedingungsgefüge, sondern eines über den Holocaust und die Verstrickungen des Auswärtigen Amtes darin. Die sind nun wirklich nicht neu.
Längst ist ausgiebig publiziert worden, daß in der „Abteilung Deutschland“, die nach 1933 eingerichtet wurde und für jüdische Angelegenheiten unmittelbar zuständig war, Verbrecher ihr Unwesen trieben. Bekannt ist auch, daß weitere Bereiche des Ministeriums in antisemitische Maßnahmen involviert waren. Die besondere Qualität des Buches besteht darin, daß es den Antisemitismus im Auswärtigen Amt absolut setzt. Die zusammengetragenen Fakten dienen keinem historischen Verstehen, sondern der Begründung eines Schuldspruchs. Entstanden ist ein typischer Bewältigungsschinken.
Lebenssinn in der Kriminalisierung der eigenen Geschichte
Trotzdem soll das Buch nach dem Willen von Außenminister Guido Westerwelle (FDP) zur „festen Größe“ in der Ausbildung deutscher Diplomaten werden. Glaubt Westerwelle, daß es den „Täterabkömmlingen“ (Salomon Korn) die richtige Einstellung vermittelt, um im Ausland deutsche Interessen zu vertreten?
Sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier (SPD) kritisiert sogar den einstigen sozialdemokratischen Amtsinhaber Willy Brandt, weil der – den das Leben über charakterliche und politische Schäbigkeiten hinreichend belehrt hatte – sich zu vornehm war, um sich während seiner Ministerzeit im eigenen Haus als Kammerjäger zu betätigen. Das Buch erfüllt den praktischen Zweck, dem Land keinen anderen Lebenssinn zu überlassen als die Kriminalisierung und Verabschiedung seiner Geschichte und damit seiner selbst. >>
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Es tut bereits seine Wirkung. Es ist derart süffig und bedient die eingeschliffenen Reflexe von Journalisten und Durchschnittslesern so zielsicher, daß diese reagieren, wie man es von dressierten pawlowschen Wesen erwarten kann. Vorneweg im Zug der Skandalisierer marschiert das Feuilleton der FAZ, das wieder einmal seinen Niveauverlust durch Lautstärke auszugleichen versucht.
Selbst Richard von Weizsäcker, der mit seiner Rede vom 8. Mai 1985 das Tor zur Irrationalisierung der Nationalgeschichte weit aufgestoßen hatte, befindet sich unmittelbar in der Kritik. Sein Plan, sich an die Spitze der Meute zu setzen, um das Andenken seines Vaters Ernst von Weizsäcker zu retten, der im Dritten Reich ein hoher Diplomat war, ist gescheitert.
Ernst von Weizsäcker wollte den Frieden retten
Schadenfreude darüber ist unangebracht. Ernst von Weizsäckers unbedingter Wille, den Frieden zu retten, ist unbestreitbar. Dazu mußte er nach einer einflußreichen Position streben, was wiederum seine Befürwortung der Ausbürgerung Thomas Manns erklärt, die jetzt für soviel Aufregung sorgt. Thomas Mann, im Schweizer Exil lebend, hatte Anfang 1936 in einem langen Leserbrief an die Neue Zürcher Zeitung den NS-Staat als Hort des „Schlechten“ und des „blinden Pöbelhasses“ attackiert. Um dem Verdacht zu begegnen, sie lasse den Dichter ins offene Messer laufen, fügte die Redaktion hinzu, es handele sich um ein „freimütiges und entschiedenes Dokument“, welches „in ein Bekenntnis mündet, dessen Folgen der Dichter zu tragen gewillt ist“.
Nachdem der Schriftsteller das Regime also ausdrücklich zu seiner Ausbürgerung und damit zur Selbstkompromittierung aufgefordert hatte, konnte Weizsäcker als deutscher Botschafter gar nichts anderes tun, als ihr zuzustimmen. Andernfalls hätte er sich dem Vorwurf ausgesetzt, nachsichtig gegenüber offenen Feinden des Deutschen Reiches zu sein.
Die Möglichkeit, für die Erhaltung des Friedens zu wirken, wäre beendet gewesen. Es handelt sich um die äußerste Zuspitzung des Konflikts zwischen der Gesinnungsethik des Dichters und der Verantwortungsethik des Politikers. Solche tragischen Verknüpfungen können weder die Buchautoren noch ihre medialen Lautsprecher, noch die Politiker begreifen. Ihr Zustand ist bodenlos!
JF 44/10