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Probleme als Chance

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Bei allem apokalyptischen Irrsal und Wirrsal des Feuilletons um Umwelt, Armut und Finanzen tut es gut, mal profunde neue Deutungen zu Chance und Ungemach alles Menschlichen zu lesen. Eduard Kaeser (Jg. 1948) beispielsweise ist als Philosoph und Physiker Wissenschaftler gleich zweier kerniger Fakultäten und ermutig im letzten Merkur zu einer so entspannten wie erweiterten Sicht auf die vermeintlich existentiellen Probleme der Gegenwart, mal abgesehen davon, daß die Menschheit ihrem Wesen nach durchaus schon immer vor existentiellen Problemen stand.

Kaeser kritisiert zwei Dogmen, die zum Standard des hektischen Krisenmanagements gehören. Als erstes beargwöhnt er die schnellen, gängigen Erklärungshilfen, die stets davon ausgehen wollen, daß alle Probleme schlüssig über die Kenntnis all ihrer Determinanten abbildbar wären. Das trifft jedoch nur auf vergleichsweise einfache wie Verkehrsunfällen, nicht aber auf so komplexe wie den Klimawandel zu.

Das zweite Dogma erkennt Kaeser in den bisherigen Entscheidungshilfen, die alles Wissenschaftliche heiligen und meinen, Wissenschaft schreibe uns „im Rahmen der Objektivität vor, wie wir zu entscheiden und zu handeln haben.“ Fakten allein können jedoch nicht zu Schritten zwingen, denn Handlungen gehen allein von Zuschreibungen aus, also von unserem Urteilen und Werten. So zwinge ein heranrasender Tornado zu einer eindeutigen Handlung, nämlich der Flucht, weil Faktenlage und Wertung im absoluten Konsens stehen.

„Mit den Problemen leben, nicht sie lösen“

Ganz anders das Problem eines Schwangerschaftsabbruchs. Bei Faktenkonsens besteht schwerer Wertedissens und die Handlung ist so nicht eindeutig einhellig ableitbar. – Der schwierige Charakter der Klimadebatte liege nun darin, „daß sie eher der Abtreibungsfrage ähnelt, aber gewöhnlich so dargestellt wird, als beruhe sie wie die Tornadovorhersage auf einem Wertekonsens.“

Auf der Grundlage dieser doppelten Dogmenkritik erhebt sich Kaeser zu einem beeindruckenden Plädoyer: Die wissenschaftlich-technische Zivilisation, meint er, hätte ein Stadium erreicht, in dem „Unberechenbarkeiten, Unbekannte, Risikoanfälligkeiten unvermeidlich eingebaut sind“, so daß akzeptiert werden müsse, daß wir nun mal in ein Zeitalter prinzipiell nicht immer lösbarer Probleme eingetreten sind.

Daran orientiert sich eine Art neuer kategorischer Imperativ, den Kaeser entwirft: „Handle, nicht weil du wissenschaftliche Gewißheit hast, sondern weil du sie nicht hast.“ Als Fazit ergibt sich: „Mit den Problemen leben, nicht sie lösen.“ Das schließt Verantwortung absolut ein, nimmt jedoch mehr als nur eine Lösung an.

Abschied vom Dogma der bestimmten Zukunft

Im Sinne Kaesers wäre sicherlich auch die Politik kein „zahmes“ Problem, bei dem alle Einflußgrößen übersichtlich und bekannt sind, sondern ein „tückisches“, dessen Bedingungen, bestimmt durch Soziales, Psychisches und Kulturelles, unübersichtlich bleiben und nicht, wie vom Sozialkundeunterricht und der Gesellschaft für politische Bildung gelehrt, wie ein simples Kräfteparallelogramm oder eine Pawlowsche Reflexkette funktionieren.

Das läßt auf Dynamik und Wechsel hoffen, so daß man für neuen Wendungen und unkonventionelle Lösungen bereit sein darf. Wir können getrost Abschied nehmen vom Dogma der bestimmbaren Zukunft, an das sich das Abendland gleichsam christlich und hegelianisch klammert. Freies Spiel freier Kräfte im Rahmen menschlichen Verantwortungsbewußtseins und begleitet von dramatischen Lernprozessen – gefährlich und chancenreich.

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