Das Bild paßt. Sie haben sich vor der maritimen Kulisse des Hamburger Hafens aufgebaut, an den St. Pauli-Landungsbrücken. Piraten. Sie stehen gegenüber der „Cap San Diego“, einem ausgemusterten Frachter. Auf dem Deck des Schiffes ist ein weißes Transparent aufgespannt. „Ein Koffer voller Hoffnung“ steht darauf, eine Ausstellung, die dort stattfindet.
Ein Motto, das auch für die Piraten gelten könnte. Etwas verloren wirken sie in der Menge zwischen den zahlreichen Touristen, die sich an Hamburgs berühmter Waterkant entlangschlängeln und den Hafen bestaunen. Die Aktivisten der Piratenpartei haben einen Tapeziertisch aufgebaut, und eine orangefarbene Fahne mit ihrem Emblem darübergelegt. Ein weißer Kreis, in dem ein schwarzes Segel abgebildet ist. Vier der „Piraten“ stehen in der Nähe des Tisches. Sie tragen weder Augenklappen noch haben sie Enterhaken in der Hand. Sie sind Mitglieder einer Organisation, die seit der Europawahl vom 7. Juni dieses Jahres von sich reden macht. Die Piratenpartei. „Wir meinen es ernst“, versichert einer der Aktivisten am Infostand, ein Kaufmann, etwa Mitte dreißig. Das zu betonen ist notwendig. Wer mit einem solch exotischen Namen zur Bundestagswahl antritt, wird in Zeiten von Horst Schlämmer zunächst belächelt. Der Piratenpartei, von der nur wenige Bürger so recht wissen, was sie eigentlich für Ziele hat, ergeht es zunächst ebenso. Eine Cyber-Partei, die sich fast ausschließlich in ihrem digitalen Revier bewegt. Computerfetischisten, die sich vollkommen der Welt der Bits und Bytes verschrieben hatten. Informatiker und Internetbesessene, die auf virtuellen Wegen über Sinn und Unsinn von Vorratsdatenspeicherung, Netzzensur oder Schlagworte wie „Open Access“, den freien Zugang zu steuerfinanzierten Forschungs- und Bildungsergebnissen philosophieren. Sie wollen das Recht des Einzelnen, die Nutzung seiner persönlichen Daten zu kontrollieren, stärken. Sie fordern bezüglich der Urheberrechte die Legalisierung der Privatkopie. Sie lehnen Patente ab und sprechen sich gegen Bildungsgebühren aus.
Doch kann eine Partei erfolgreich sein, die sich nur wenigen, zumeist virtuellen Themen widmet? Die nackten Zahlen beantworten die Frage derzeit positiv. Bei der hessischen Landtagswahl am 27. Januar 2008 traten sie erstmals an, holten dabei 0,3 Prozent. Noch eine dieser zahlreichen skurrilen Splitterparteien, noch eine Nullkommapartei. Doch die Piraten haben Zulauf, verbessern konstant ihre Strukturen. In der virtuellen Welt sind sie bestens vernetzt, lassen selbst die etablierten Parteien schlecht aussehen. Ihre Mitgliederzahl steigt konstant. Gerade einmal 52 Leute waren es, die der Piratenpartei bei der Gründung am 9. September 2006 angehörten. Doch schon bei ihrer ersten Wahlteilnahme hatten sie die 700-Mitglieder-Marke überschritten.
Dann kam die Europawahl. Die Piratenpartei hatte sich inzwischen auf knapp 1.500 Mitglieder gemausert und erreichte 0,9 Prozent. Das Ergebnis ließ aufhorchen. Erst recht nachdem die Partei bei der Landtagswahl in Sachsen vor knapp zwei Wochen 1,9 Prozent holte. Nun sind die Piraten endgültig ein Thema. Wer ist diese Partei, die da so kontinuierlich wächst und in der Welt des Internets ihre Kompetenzen hat? Medien haben die Piratenpartei schon längst für sich entdeckt. Zumal die Organisation auch in anderen Ländern Europas aktiv ist. Ganz besonders in Schweden, wo ihnen der Sprung nach Europa bereits gelungen ist. 7,1 Prozent holte die „Piratpartiet“ und zog mit einem Vertreter ins Europäische Parlament ein.
Seit dieser Wahl steigt der Bekanntheitsgrad der Piraten ebenso rasant wie ihre Mitgliederzahlen. Innerhalb von nur drei Monaten verzeichneten die auf den Straßen des Internets surfenden Freibeuter mehr als 6.000 Neueintritte. Mit ihren über 7.500 „Matrosen“ ist sie inzwischen die mitgliederstärkste Kleinpartei. Und auch im Bundestag ist sie mittlerweile vertreten. Durch Jörg Tauss, einen ehemaligen Sozialdemokraten, der im März dieses Jahres wegen des Verdachts des Besitzes von Kinderpornographie ins Gerede gekommen ist und dem nun die Aufhebung der Immunität und die Anklage droht. Im Juni verließ er die Genossen, trat der Piratenpartei bei, die er mit seiner politischen Erfahrung beraten möchte.
Dennoch: Zunehmend mehr Vertreter der etablierten Parteien entdecken plötzlich ihr Herz für die Piraten. Wie etwa das 57 Jahre alte Gründungsmitglied der Grünen Herbert Rusche, der erst kürzlich der neuen politischen Kraft beigetreten ist. „Kann ich auch als CDU-Mitglied in der Piratenpartei sein“, fragt ein Funktionär der Union. Er kann. Doppelte Parteimitgliedschaften sind bei den Piraten möglich, solange sie nicht ihren Zielen entgegenstehen. Das gilt auch für den Vertreter von der Linkspartei, der im Netz die gleiche Frage stellt. Die knappe Antwort des Administrators: „Wenn die Linkspartei damit kein Problem hat …“