Herr Dr. Gauweiler, am 18. September gerät das deutsche Parteiensystem durch den Aufstieg der Linkspartei ins Rutschen. Überraschenderweise haben Sie sich positiv über die Oskar Lafontaines Rückkehr in die Politik als Spitzenmann dieser Partei geäußert. Warum? Gauweiler: Der Weg, den Oskar Lafontaine gewählt hatte, war nichts für Feiglinge. Das gefiel mir schon aus Prinzip. Natürlich muß man seinem Bündnis mit den Postkommunisten von der historischen Erfahrung her hart widersprechen. Aber was Oskar Lafontaine in den letzten Jahren gesagt und geschrieben hat, klingt weniger nach Karl Marx als nach John Maynard Keynes – zur Schutz – und Leitfunktion des Staates für die eigenen Leute, was die Amerikaner einmal „New Deal“ genannt haben. Die volkswirtschaftliche Debatte über die Alternativen unserer Nation wäre unvollständig, wenn darüber nicht geredet und gestritten werden kann. Und daß die Regierung nicht zuschauen darf, wenn Zuwanderer unseren Leuten gerade in den Niedriglohngruppen die Arbeitsplätze wegnehmen, hat Hans Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut in seinem Buch „Ist Deutschland noch zu retten“ auch gesagt. Laut dem Spiegel von dieser Woche sprechen die Steuerexperten der großen Wirtschaftverbände sogar bei manchen Aspekten der Vorschläge von Professor Kirchhof von „Lafontaine pur“. Wie deuten Sie das Phänomen PDS/Linkspartei? Hat es eine Zukunft? Gauweiler: Man sollte nicht offizielle „Nachfolgepartei“ von etwas sein wollen, was eigentlich keine Nachfolge haben darf. Gregor Gysi versucht diesen Makel so zu verarbeiten, wie es Gianfranco Fini auf der rechten Seite des Spektrums in Italien getan hat: Als wirkliche Alternative zu SPD und Grünen ist die Linkspartei dann „etabliert“, wenn sie das Zuwandererproblem von links als das Problem gerade der kleinen Leute auf den Punkt bringt. Dafür gibt es allerdings keine Anhaltspunkte. Die Linkspartei hat sich für Lafontaines „Fremdarbeiter“-Äußerung entschuldigt und vertritt in ihrem Programm genau die gegenteilige Politik. Gauweiler: Das stimmt. Aber der Anhaltspunkt liegt in der Person des früheren SPD-Vorsitzenden, und Sie fragen mich ja nach der Zukunft dieses „Phänomens“. Über das voraussichtliche Ende der Grünen als Regierungspartei heißt es in den Medien gerne: „Eine Generation – die Achtundsechziger – tritt ab“. Sind die Grünen am Ende? Gauweiler: Das wird sich zeitlich strecken: Die Grünen haben einen Lebensstil zum Programm gemacht. Der riecht zwar nach Museum, aber wird von den anderen Parteien immer noch nachgeäfft und hält sich wie Mottenpulver. Die Achtundsechziger waren als moralische Instanz schon am Ende, als sie angefangen haben: Als sie sich unter Bildern von Massenmördern versammelten und diese – ihre Vorbilder – durch die Straßen trugen. Was bleibt, sind nachträgliche Beschönigungen und höfliches Vergessen, das sie ihren Eltern nie gewährt haben. „‚NRW gegen Rechts‘? – Ziemlich dämlich!“ Wird die Etablierung der Linkspartei nicht auch fast zwangsläufig die Frage der fehlenden parlamentarischen „Rechtspartei“ neben CDU und CSU aufwerfen? Gauweiler: Wie soll diese Partei denn aussehen? Wie die NPD? Oder wie die Leute von Le Pen? Oder wie die Südstaaten-Republikaner, die angeblich gleichzeitig beten und hassen können? Ihre Frage wird ja seit Jahrzehnten „aufgeworfen“. Daß die Antworten bisher immer unbrauchbar waren, liegt daran, daß das, was „Rechts-sein“ im Kern ausmacht – Ordnung, Differenz, Distanz -, durch die christlichen Unionsparteien, trotz all ihrer Schwächen, im Prinzip dargestellt wird. Nicht durch einzelne „Stahlhelmer“, sondern als Bestandteil ihrer Gesamtidee. Das ist in Europa eigentlich sonst nur der französischen RPR des General de Gaulle gelungen. Allerdings hatte diese als Partei nicht so lange Bestand wie die CDU/CSU. Halten Sie es für klug, dauerhaft jegliche Form einer vernünftigen demokratischen Rechtspartei neben der Union als Koalitionsalternative zur FDP zu bekämpfen? Gauweiler: Nochmal – jeder weiß, auch die JUNGE FREIHEIT, daß es eine solche Partei nicht gibt. Als in Österreich die FPÖ als Koalitionspartner interessant wurde, war der CSU-Vorsitzende Stoiber der erste, der unserer Schwesterpartei ÖVP sogar öffentlich eine schwarz-blaue Koalition empfahl. Und die unfaire Art und Weise, wie die neue Regierung in Wien anfänglich von Rot-Grün bekämpft wurde, haben CDU und CSU europaweit angeprangert. Wir haben diesen Protest als sehr leise in Erinnerung. Wie ist es zum Beispiel zu erklären, daß Unionspolitiker den „Kampf gegen Rechts“ mitragen? Die CDU-Landesregierung in NRW etwa betreibt die Internetseite www.nrw-gegen-rechts.de. Eine Seite www.bayern-gegen-links.de wäre dagegen unvorstellbar. Gauweiler: „NRW gegen Rechts“ ist, wenn so etwas wirklich von der CDU verantwortet wird, ziemlich dämlich! Wenn auf diese Weise rechts mit rechtsextrem vermischt wird, kämpft eine bürgerliche Partei gegen ein Element ihres eigenen Selbstverständnisses. Allerdings höre ich, daß meine Kollegen im Finanzausschuß immer wieder genau der Verwendung zum Beispiel von Bundesmitteln für fragwürdige „Kampf gegen Rechts“-Projekte nachgehen. Ihre Zeitung hat doch selbst schon darüber berichtet. Sie empfehlen also nicht nur als Unionspolitiker, sondern auch als Rechter oder Konservativer allen Ernstes, Angela Merkel zu wählen? Gauweiler: Bingo! Ich kann mich ja nicht aufspalten. Und ich traue Angela Merkel die notwendige Festigkeit des Herzens zu. Es ist auch nicht unspannend, wenn die Deutschen – zum ersten Mal seit Maria Theresia – wieder von einer Frau regiert werden. „Der Klügere gibt nach.“ – Fragt sich, warum soll eigentlich der konservative Wähler immer der „Klügere“ sein und so lange nachgeben, bis er regelmäßig der Dumme ist? Gauweiler: Ich will Ihnen ein Beispiel aus dem eigenen Erleben geben: In den neunziger Jahren war ich ein wütender Gegner einer Verhüllung des Reichstages und sah in dem Vorschlag nur groben Unfug. Als es dann aber soweit war, und ich den „wrapped Reichstag“ vor mir sah, hat mich diese Erscheinung seltsam berührt. Wie die Kulisse einer modernen Lohengrin-Inszenierung. Ähnlich geht es mir mit den „Russen-Graffiti“ im Reichstag. Also: Wir dürfen uns nicht wie umgedrehte Linke verhalten, für die es völlig ausgeschlossen ist, über den eigenen Schatten zu springen. Ein Konservativer soll zwar auf einem sicheren Wertefundament stehen – er muß jedoch auch immer bereit sein, von diesem aus das Gegenteil zu denken. Wie lautet nach Ihrer Ansicht die gesellschaftspolitische Antwort der Union nach einem eventuellen Wahlsieg am 18. September auf den rot-grünen Umbau der Gesellschaft seit 1998? Stichworte: „Homoehe“, Staatsbürgerrecht, Lebensschutz. Gauweiler: Das ist kein speziell deutsches Problem, sondern Gegenstand einer Wertedebatte der gesamten westlichen Welt. Unabhängig davon: Die Kampagne der CDU gegen das rot-grüne Staatsbürgerrecht hat die SPD das Bundesland Hessen gekostet. In Sachen Lebensschutz ist vor kurzem einer der aktivsten Lebensschützer des Parlaments, Wolfgang Zöller, Nachfolger von Horst Seehofer als gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geworden. Und den Besuch eines baden-württembergischen Ohrring-Ministers auf der Homo-Parade hat am deutlichsten seine eigene Landes-CDU kritisiert. Auch in Berlin war es die örtliche CDU, die ganz ungeniert deutlich die einschlägige Grußwort-Aktivität des Regierenden Bürgermeisters kritisiert hat. Das mag Ihnen alles viel zu wenig erscheinen. Aber es ist da und artikuliert sich eher deutlicher. Erst recht wird die Wiedergeburt des Christlichen, die wir derzeit in Deutschland in allen Kirchen erleben, gerade in der jungen Generation den gesellschaftlichen Hintergrund dieser unserer Richtung nochmal stärken. Und damit werden Änderungen und neue Trends in der gesamten Wertedebatte wahrscheinlicher. „Wir brauchen mehr ‚Umweltschutz im Kopf‘!“ Wo wird es in der Gesellschaftspolitik konkrete Änderungen geben, beziehungsweise welche Änderungen würden Sie persönlich wenigstens fordern? Gauweiler: Ich habe beispielsweise im Bundestag den Antrag gestellt, die Zulassung von harter Pornographie im Bezahlfernsehen wieder zurückzunehmen. Einen Antrag, den ich nach der Wahl wiederholen werde – sofern ich wiedergewählt bin. „FAZ“, „Welt“, „Cicero“ – sie alle beklagen in jüngster Zeit, alle Welt diskutiere über das Konservative, nur nicht die Union. Gauweiler: Die weltanschauliche Diskussion ist nicht die Stärke der deutschen Konservativen. Bürgerliche Politiker, wenn sie gut sind, sind vor allem an der Problemlösung interessiert. Also ist Unionspolitik dadurch gekennzeichnet, daß sie lediglich die Politik der Progressiven mit leichter Verzögerung nachvollzieht? Gauweiler: Manchmal – aber es geht auch anders. Nehmen Sie die klaren und eindeutigen Botschaften des neuen Papstes aus Deutschland, Benedikt XVI. Sie helfen den christlichen Demokraten bei dem, was ich „Umweltschutz im Kopf“ nennen möchte. Und das ist ein mächtige Richtung, die bestimmt nicht den sogenannten „Progressiven“ hinterherfährt wie der Schüler dem Skilehrer. Unter einer unionsgeführten Bundesregierung wird sich die Außenpolitik Deutschlands insbesondere gegenüber Amerika merklich wandeln. Fühlen Sie sich bei diesem Gedanken wohl? Immerhin zählen Sie zu den entschiedenen Kritikern des US-amerikanischen Angriffs auf den Irak und haben Schröder in seiner Haltung bestätigt. Gauweiler: Über 80 Prozent der Deutschen haben den Irak-Krieg abgelehnt. Aber eine fast genauso große Zahl sagt auch, daß die USA unsere wichtigsten Verbündeten sind. Hieraus die richtigen Konsequenzen zu ziehen und unseren Freunden jenseits des großen Teichs aus der Sackgasse zu helfen, erfordert ein paar kluge Köpfe mehr. Daß wir nicht nur wieder mit den Amerikanern ehrlicher reden müssen, sondern auch mit den Russen, ist ebenfalls allen klar: Als ganz Deutschland vor wenigen Tagen in den Hauptnachrichten Angela Merkel in perfektem Russisch mit dem russischen Präsidenten reden hören konnte, wurde deutlich, daß auch dafür eine gute Chance besteht. Kommt die Stationierung deutscher Truppen im Irak? Und wenn nicht, wird eine CDU-geführte Bundesregierung sich nicht als Ausgleich noch stärker in den „Kampf gegen den Terrorismus“ verwickeln lassen? Gauweiler: Daß die Verstrickungen der Amerikaner im Nahen und Mittleren Osten unheilvolle Ausmaße angenommen haben, weiß zwischenzeitlich auch jeder. Also ist die Antwort ein klares Nein. Der britische Publizist Timothy Garton Ash sagt, das Ende des amerikanischen Jahrhunderts stehe in wenigen Dekaden bevor. Sie sagen, das Ende hat schon begonnen. Gauweiler: Timothy Garton Ash sagt, der müde Titan taumelt, und vergleicht die USA des Jahres 2005 mit der Stimmung Britanniens vor hundert Jahren. Das Ende des amerikanischen Jahrhunderts, das 1945 begonnen hat, zeichnet sich seiner Meinung nach deutlich ab. War der 11. September das erste Zeichen oder schon zuvor die Wahlpannen in Florida? Oder erst die vorsintflutliche Katastrophenvorsorge im Mississippi-Delta? Oder das für eine Supermacht doch irgendwie demütigende Angewiesensein auf fremde Hilfe? Was kommt nach dem „amerikanischen Jahrhundert“? Gauweiler: Die liberalen Demokratien des Westens werden sich Gedanken machen müssen, wie sie im Hinschmelzen der Hypermacht Amerikas ihr Überleben organisieren und sichern. Ob der neue „top dog“ – wie Ash ihn nennt – China oder Indien oder doch das neue Rußland sein wird? Ich weiß es nicht. „Der multikulturelle Mythos hat sich als hohl entpuppt“ Hat sich in New Orleans mit dem totalen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung und der zwischenmenschlichen Solidarität gezeigt, daß die „multikulturelle Gesellschaft“ nicht den „Ernstfall“ bestehen kann? Gauweiler: Der multikulturelle Mythos von New Orleans – so schreibt jedenfalls die Neue Zürcher Zeitung – hat sich als hohl entpuppt. Hinter der Touristenfassade wurde viel zu lange verdrängt, daß die Arbeitslosen- und Verbrechensquoten dort dramatisch über dem Durchschnitt liegen und die Stadt offensichtlich heruntergekommen war. Was New Orleans schon vor Jahren gebraucht hätte, wäre eine Art Bürgermeister Giuliani – der ehemalige Bürgermeister und Retter von New York – gewesen, nicht die Propaganda der Haltlosigkeit. Zeigt das Geschehen in New Orleans, daß wir im Ernstfall auf eine Schicksalsgemeinschaft, einen starken Staat angewiesen sind? Ist New Orleans das Damaskus-Erlebnis für die Libertären? Gauweiler: Fest steht, daß „Katrina“ und seine Folgen die am besten vorausgesagte Naturkatastrophe der Welt war. Man wußte seit 1965, als der Hurrikan „Betsy“ über die Stadt zog, daß einem stärkeren Sturm die Deiche nicht standhalten würden und daß dieser stärkere Sturm kommen würde. Trotzdem wurden die für die Instandhaltung der Deichanlagen bewilligten Haushaltsmittel seit 2001 um beinahe die Hälfte gekürzt. Und fest steht auch, daß vor aller Augen, auch vor den Augen der Polizei, bewaffnete Banden nicht allein plünderten, sondern Hilfskonvois überfallen und die Helfer erschossen haben. Wer angesichts dessen nicht die Notwendigkeit für einen stärkeren und gerechteren Staat erkennt und für diesen eintritt, ist nicht zu retten. Nicht wenige Unionspolitiker haben inzwischen das Leitbild der „multikulturellen Gesellschaft“ übernommen. Der Berliner SPD-Politiker Heinz Buschkowsky hingegen, ebenso wie etwa die Duisburger Grünen-Politikerin Doris Janicki, äußerten in Interviews mit dieser Zeitung, „Multikulti“ sei gescheitert. Gauweiler: Das Problem ist da – als politische Kontroverse ist „Multikulti“ sogar schon ein bißchen abgestanden. Ihre Beispiele belegen vielmehr, daß zwischenzeitlich auch die Rot-Grünen „multikulturell“ als Fahnenwort aufgegeben haben. Überall wächst die Erkenntnis, daß wir unsere eigene kulturelle Identität schützen müssen wie unsere Gewässer. Wie und wo müssen wir in puncto Einwanderung und Integration „umsteuern“? Gauweiler: Die endlich gefundene Einigung, daß ein Wohnaufenthalt von Ausländern das Erlernen der deutschen Sprache voraussetzt, muß jetzt überall umgesetzt werden. Und in Sachen Einwanderung von Billigarbeitskräften – wo wir die höchste Arbeitslosigkeit haben – müssen wir die Zuwanderungsmagneten abschalten. Eine andere Lösung sehe ich nicht. „Ich baue auf ein Europa der Vaterländer“ Seit dem „Nein“ der Franzosen und Holländer in den Volksabstimmungen zur EU-Verfassung erscheinen Sie mit Ihrer Klage in Karlsruhe plötzlich vielen Medienvertretern als deutsche Speerspitze der Vernunft angesichts eines fehlgesteuerten EU-Prozesses. Bis dahin galten Sie nicht wenigen ob Ihrer Verfassungsbeschwerde eher als querulantorischer Sonderling. Gauweiler: So schnell kann der Wind sich drehen. Dabei habe ich vorher wie nachher nichts anderes getan, als danach zu handeln, was ich als ein Gebot der politischen Vernunft und der demokratischen Verantwortung gegenüber meinen Wählern empfinde. Narr oder Held, entscheidet darüber in einer Mediengesellschaft lediglich die Selbstgefälligkeit der Meinungsmacher? Gauweiler: Von einem ARD-Journalisten bin ich gefragt worden, wie es sein darf, daß ein Vertrag, den 25 Regierungschefs unterschrieben und für den und 95 Prozent der Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Hand gehoben haben, nun ausgerechnet wegen mir in Deutschland auf Eis liegt. Antwort: Das ist der Rechtstaat. Er ermöglicht einem einzelnen, den Mächtigen in die Speichen zu greifen, wenn sie glauben, sich nicht mehr an Recht und Gesetz halten zu müssen. Es war Demokratie pur, was in Frankreich und Holland den etablierten Politikern einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Vor den Volksentscheiden in Frankreich und Holland wurden Gegner der EU-Verfassung gerne mit „Gegnern Europas“ gleichgesetzt oder als „schlechte Europäer“ qualifiziert. Gauweiler: „La patrie des patries“: Ich baue auf das Europa der Vaterländer, so wie es die europäische Einigungsidee nach dem Zweiten Weltkrieg konzipiert hat. Das ist das Beste für Europa, für Deutschland und für die Demokratie. Für mich ist der Europarat in Straßburg – die Versammlung der europäischen Staaten (nicht zu verwechseln mit dem EU-Parlament) – und nicht Brüssel – der Kommissariats-Apparat – das gewollte Europa. Weil das Straßburg-Europa der natürlichen Struktur unseres Kontinents ganz anders als das Brüsseler Fernziel vom EU-Staat gerecht wird. Ihr Klagevertreter, der Nürnberger Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider, zeigte sich im Gespräch mit dieser Zeitung „zuversichtlich“ bezüglich der Erfolgsaussichten Ihrer Verfassungsbeschwerde. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, dagegen prophezeit ihr in einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT „wenig Chancen“. Gauweiler: Benda hat in Ihrem Interview aber auch gesagt, daß er die Forderung nach einem Plebiszit zur Verabschiedung der EU-Verfassung im Grunde für richtig hält. Eine Volksabstimmung über die EU-Verfassung in Deutschland werden die Etablierten allerdings mit allen Mitteln zu vermeiden suchen. Gauweiler: Das wird ihnen nicht helfen. Die jetzige EU-Verfassung ist schon gescheitert, und im Fall einer Neuauflage führt an einer Volksabstimmung auch in Deutschland kein Weg vorbei. Diese Abstimmungen machen deutlich, daß es – übrigens nicht nur in puncto Europa-Politik – keine politisch relevante Partei gibt, die dem Volk ein grundlegend anderes Politik-Angebot macht. Gauweiler: Es stimmt, in Sachen Europa gibt es einen breiten Grundkonsens bei den Parteien, aber den gibt es auch im Volk: Daß die Europäische Union die beste Antwort auf die große Frage von Frieden und Krieg war, die die europäischen Völker seit dem Dreißigjährigen Krieg von ihrer Obrigkeit erfahren haben. Seit etwa 25 Jahren verstärkt sich aber ein Trend, aus dieser Gemeinschaft – weil die Idee einer Bindung und Einbindung der europäischen Länder wirklich gut ist – sogar einen eigenen Staat zu machen. Und das funktioniert nicht. Wie immer, wenn etwas nicht funktioniert, gibt es zwei grundverschiedene Reaktionen. Die einen wollen die Anstrengungen verdoppeln, die anderen fordern: „Nur schnell zurück, bevor es zu spät ist!“ Insofern steht die europäische Idee tatsächlich vor einem Scheideweg, und wir müssen neu über die Zukunft nachdenken. Das ist nur die halbe Wahrheit: Dazu gehört auch, daß die politische Klasse in Deutschland den Wunsch einer politischen Union hegt, den das Volk ganz überwiegend nie geteilt hat. Gauweiler: Natürlich gibt es diese Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Klasse. Mehr plebiszitäre Elemente können in dieser Situation helfen, die Entfremdung zwischen Politik und Volk aufzuheben. „Eine Kluft zwischen Volk und politischer Klasse“ Was empfehlen Sie konkret? Gauweiler: Eben Volksbegehren und Volksentscheid – auf allen Ebenen, ohne dabei zu vergessen, daß wir im Grunde eine repräsentativ-parlamentarische Demokratie sind. Oder die Stärkung der Rechte des einzelnen Volksvertreters, zum Beispiel durch ein eigenes Antragsrecht. Außerdem müssen wir endlich dem Mißstand ins Auge sehen, daß nur die Hälfte der Abgeordneten direkt vom Volk gewählt ist. Der Rest kommt bekanntlich über Listen ins Parlament, auf deren Gestaltung der Wähler bei Bundestagswahlen – anders als bei Landtags- und Kommunalwahlen – nicht den geringsten Einfluß nehmen kann. Das schwächt natürlich die Position des Parlaments insgesamt, weil so bereits mindestens die Hälfte der Parlamentarier via Liste von den Parteiapparaten abhängig ist. So geht das nicht weiter. Gehört zu dieser Reform auch, daß der Zugang neuer Parteien zum Parlament erleichtert werden muß? Gauweiler: Nein. Ich halte es vor allem für wichtig, für eine wirksame Volksvertretung zu sorgen. Und noch etwas: Für die freiheitliche Struktur der Bundesrepublik, der deutschen Länder und der Städte und Gemeinden ist die Stärkung immer der kleineren demokratischen Einheit unentbehrlich – denn Demokratie funktioniert in der kleinen Einheit am besten. Die Stärkung regionaler, kleiner Einheit ist übrigens auch ein höchst wirksames Gegengewicht gegen die unangenehmen Begleiterscheinungen der Globalisierung und Vermassung. Ein Teil der Union hat dem EU-Verfassungsvertrag zugestimmt, ein anderer Teil nicht. Unter denen, die dem Vertrag nicht zugestimmt haben, gibt es solche, die nicht die ganze Verfassung, sondern nur einzelne Gesichtspunkte ablehnen, und solche die wie Sie, eine Verfassung für Europa an sich für überflüssig oder gar schädlich halten. Kann sich der Wähler da nicht auch veralbert vorkommen? Wie soll er noch durchschauen, wofür die Union, die er gewählt hat, tatsächlich eintritt? Gauweiler: Das war nicht undurchschaubar, sondern ein Ausdruck von Pluralismus und zeigte, daß es Meinungsvielfalt und Debattenkultur in der Union doch noch gibt. Die Situation war übrigens noch komplizierter als von Ihnen geschildert: Nicht nur, daß zwanzig Unionsabgeordnete gegen die Verfassung gestimmt haben. Darüber hinaus haben 96 weitere zu Protokoll gegeben, daß sie der EU-Verfassung zwar zustimmen – weil sie eine symbolische Entscheidung für Europa darstelle – aber dennoch ebenfalls ernste Bedenken hegen. Meine Verfassungsbeschwerde ist von den meisten dieser Abgeordneten, darunter CSU-Landesgruppechef Michael Glos, ausdrücklich begrüßt worden. „Die Meinung nicht wie einen Hut an der Garderobe abgeben“ Wie wohl fühlen Sie sich als Konservativer eigentlich noch in der Union? Mit Ihrer Haltung zum Irak, zum Euro, zur EU-Verfassung, zum Umgang mit der deutschen Vergangenheit – Stichwort: 8. Mai oder Gedenken der Bombenkriegsopfer – etc. steht Peter Gauweiler jedesmal gegen, quer oder abseits der eigenen Partei. Braucht die Union mehr konservative „Rebellen“? Gauweiler: Die Frage ist ein bißchen sehr pauschal und in Sachen „Umgang mit der Vergangenheit“ sogar falsch. Die CDU/CSU-Fraktion stand zum Beispiel zu meiner Initiative für eine Gedenkstätte für die Opfer des Bombenkrieges nicht „quer“, sondern hat sie übernommen und im Parlament nachdrücklich vertreten. Und weder die Union noch die anderen Parteien brauchen „Rebellen“, sondern mehr unabhängige Frauen und Männer, die auf festem Grund stehen und ihre Meinung nicht wie einen alten Hut an der Parteigarderobe abgeben. Dr. Peter Gauweiler: Der 1949 in München geborene Rechtsanwalt, CSU-Bundestagsabgeordnete und EU-Verfassungsgegner gilt als einer der profiliertesten Konservativen
in der Union. Immer wieder macht der ehemalige bayerische Landesminister mit seinen Initiativen – wie zuletzt der Forderung nach Errichtung eines Denkmals für die Opfer des Bombenkrieges oder der Wiedereinführung des Euro – auf sich aufmerksam. Außerdem setzt sich Gauweiler für eine Stärkung der Bürgerbeteiligung in der Politik ein. So forderte er etwa eine Volksabstimmung über die Zuwanderung oder zuletzt über die EU-Verfassung. Unmittelbar nach deren endgültiger Annahme durch den Bundesrat am 27. Mai (Bundestag schon am 12. Mai) reichte er Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein. Klage gegen EU-Verfassung: Gauweilers Verfassungsbeschwerde gegen den EU-Verfassungsvertrag bewog Bundespräsident Köhler am 15. Juni, den Ratifizierungsprozeß bis zur Entscheidung des Gerichts auszusetzen, wodurch ihr dritter Teil, der An-trag auf einstweilige Anordnung, in der Sache bereits erfüllt worden ist. Die anderen beiden Teile der Klage bestehen aus einer Verfassungsbeschwerde und einer Organklage, die feststellen sollen, daß der Verfassungsvertrag nicht mit dem Grundgesetzt übereinstimmt und der Bundestag mit dieser Ermächtigung seine Kompetenzen überschritten hat. Eine Entscheidung des Gerichts ist für 2006 zu erwarten. weitere Interview-Partner der JF