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Pankraz, S. Breitwieser und die wahre Liebe zur Kunst

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Irgendwie tut es Pankraz leid, daß nun der "Kunsträuber mit den schönen Augen", der Kellner Stéphane Breitwieser aus Eschentzwiller im Elsaß (33), von einem Gericht in Straßburg zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verknackt worden ist. Sicher, Strafe muß sein. Breitwieser hat Hunderte erstrangiger historischer Gemälde aus Museen und privaten Sammlungen gestohlen, in toto 239 Stück (!), darunter Werke von Dürer, Lucas Cranach dem Jüngeren, Pieter Breughel, Antoine Watteau. Aber er hat es aus reiner, großer Liebe getan. Nie hat er mit der Sore gehandelt, nie eine Erpressung der Besitzer versucht. Alles an seinen Taten war Ausfluß lodernder Leidenschaft, crime passionel, wie die Franzosen sagen. Mildernde Umstände wären fällig, ja überfällig.

Breitwieser liebte die kleinen Formate des sechzehnten, siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts, die in den Galerien oft unbeachtet in den Winkeln oder in den Seitenkabinetten hängen und von denen die Besitzer manchmal gar nicht wissen, was für Kostbarkeiten sie hegen und wieviel Mühe und Ingenium einst in sie investiert wurden. Breitwieser indessen wußte Bescheid. Sein Geschmack und seine Kennerschaft waren vom Feinsten. Noch die winzigste Nuance an Farbgebung oder Arrangement vermochte er einzuschätzen und zu würdigen. Er ließ nur allererste Klasse mitgehen, begnügte sich nie mit zweiter Wahl, so spektakulär diese auch aufgemacht sein mochte.

Und mehr als das. Breitwieser nahm nur, was ihm – wie er im Prozeß glaubhaft versicherte – "ans Herz ging", was seine Ganglien vom ersten Moment der Begegnung an in Wallung brachte. Es war jeweils Liebe auf den ersten Blick. Und er täuschte sich nie. Was er einmal genommen hatte, dem blieb er treu, von dem wandte er sich nie mehr ab. Stundenlang und immer wieder konnte er sich in Details der geraubten Lieblinge vertiefen, hängte sie in seiner Wohnung unermüdlich um, setzte sie wechselnden Beleuchtungen aus, verschaffte sich gelehrte Literatur über sie, um ihre Entstehungsgeschichte nachzuschmecken.

Das stürmische Begehren des Anfangs rastete bei allen Objekten über kurz oder lang in ein ruhiges, solides, liebevolles Bratkartoffelverhältnis ein, die Gemälde hatten es gut bei Breitwieser. Gewiß gab es jeweilige Favoriten, denen seine besondere Zuwendung galt, doch er vergaß darüber nie die übrigen Insassen seines erlauchten Harems, kehrte phasenweise regelmäßig zu ihnen zurück, prüfte penibel, ob ihnen die zugewiesene Hängung nicht schadete oder ihr Licht nicht unter den Scheffel rückte.

Als loyale Haremswächter fungierten seine Wohnungsgenossen, Breitwiesers Mutter Mireille Stengel und seine Freundin Anne-Catharine Kleinklaus. Die beiden Frauen nahmen viele Unbequemlichkeiten in Kauf und fanden sich damit ab, daß ihnen im Herzen von Breitwieser nur ein kleines Nebenplätzchen reserviert war. Über ihr eigenes Verhältnis zur Kunst und zu den geraubten Schätzen erbrachte der Straßburger Prozeß, wo sie ebenfalls angeklagt und verurteilt wurden, keine Klarheit.

Besonders die Mutter scheint die Gemälde, die ihr die Liebe ihres Sohnes raubten, eher gehaßt zu haben. Als Breitwieser verhaftet war und Hausdurchsuchung drohte, richtete sie – um, wie sie dem Richter erklärte, Beweismaterial zu beseitigen, das den Sohn hätte belasten können – ein richtiges Massaker unter den unersetzlichen Gemälden an, zerschnitt sie, warf sie in den Rhein-Rhone-Kanal. Nur knapp die Hälfte des Diebesguts blieb von ihrem Wüten verschont. Der Schaden soll sich nach Einschätzung von Experten auf über 45 Millionen Euro belaufen.

Das Desaster ist da. Breit-wieser hat bereits versucht, sich in seiner Zelle das Leben zu nehmen, und steht nun unter permanenter Beobachtung. Wenn er sich wieder berappeln sollte, wird er sich für den Rest seines Lebens mit Kunstdrucken, billigen Reproduktionen begnügen müssen. Einen Job als Aufseher oder sonstiger Mitarbeiter in Museen wird er nie erhalten, und auch der simple Museumsbesuch wird ihm künftig verwehrt, zumindest erschwert und vergiftet werden. Alles Geld, das er verdient, wird er als Entschädigung abführen müssen, so daß er nie dazukommen wird, sich wenigstens den einen oder anderen Kleinmeister des siebzehnten Jahrhunderts legal zu leisten, selbst wenn er im Lotto gewinnen sollte. Seine Liebe ist zerstört, und so ist sein Leben zerstört.

Wie gesagt, es ist irgendwie schade um den Mann, sehr schade. Denn er verkörpert – leider eben in asozialer Übersteigerung – genau jenen Typ, der dem modernen Kunstbetrieb zu dessen eigenem Schaden so sehr fehlt: den Typ des bedingungslosen, allein und einzig dem Kunstwerk hingegebenen Verehrers und Liebhabers, dessen Anwesenheit die Kunst braucht, wenn sie nicht in artfremde Funktionalitäten abrutschen, nicht zu bloßen Spekulationsobjekten oder simplen Schmuckelementen oder Vorwänden für eitle hermeneutische Abenteuer erstarren will.

Keine produktive und kreative Betätigung kommt ohne liebende Hingabe aus, und zwar liebende Hingabe auf beiden Seiten, sowohl auf der Seite des Produzenten selbst wie auf der Seite des Empfängers, der stets mehr ist als bloßer "Kunde", Konsument, Benutzer, Verbraucher. Für die Kunst gilt dies in besonderem Maße. Der Künstler schafft im Grunde stets nur für zwei, erstens für sich selbst und zweitens für den, der seine Kunst bedingungslos liebt. Allein ein solcher Liebhaber verschafft ihm jenen Echoraum, in dem er sich ganz "verwirklichen" kann. Aber man muß heute daran zweifeln, ob es solche Liebhaber an einflußreicher Stelle überhaupt noch gibt.

Insofern ist der arme Breitwieser fast so etwas wie ein Symbol: der wahre Liebhaber der Kunst in einer Gefängniszelle, während sich Spekulanten, Hermeneutiker und sonstige Verbraucher vergnügt in der Freiheit tummeln.

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