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Der Stadt und dem Land

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Was der Stadt geschieht, geschieht dem Land. Denn Berlin verfügt über eine politisch-historische Signifikanz wie keine andere deutsche Stadt. Am 10. Mai wird in seiner Mitte, auf dem Gelände der ehemaligen Ministergärten, im Schnittpunkt von Reichstag und Bundesrat, Potsdamer Platz und Brandenburger Tor, von Goethe-Denkmal und Wilhelmstraße, das Holocaust-Denkmal eingeweiht. Damit wird eine Entscheidung verwirklicht, die tiefer greift als alle anderen seit Mauerfall und Wiedervereinigung. Die Frage nach dem geschichtlichen Sinn des wiedervereinigten Landes, die in den letzten 15 Jahren offengeblieben ist, hat eine Antwort gefunden: Er besteht in der Dauersühne. Größe und Gestalt des Denkmals lassen keinen Zweifel zu, daß dies Deutschlands spirituelle Mitte sein soll, der symbolhafte, archimedische Punkt seiner Kultur und Geschichte, das Sinnbild seiner einzig ihm erlaubten Metaphysik. Das riesige Ausmaß zwingt seine Propagandisten dazu, jeden Tag auf seinem absoluten Wahrheitscharakter zu bestehen, denn andernfalls entfällt seine Existenzberechtigung. Gesellschaft, Politik, Kultur und Wissenschaft werden noch stärker unter Druck geraten als bisher. Statt ergebnisoffen arbeitender Historiker sind Scholastiker gefragt, die die Entscheidung für das Mahnmal und den mythischen Anspruch, der sich in ihm manifestiert, immer wieder aufs neue zu bestätigen haben. Geradezu unheimlich muteten Überlegungen an, die NS-Gedenkstätten in Berlin in einer vom Bund finanzierten Stiftung zusammenzufassen, die ein kohärentes und verbindliches Geschichtsbild erarbeiten soll. Das liefe auf eine unheilige Glaubenskongregation, auf eine Reichs-, pardon Bundesgedenkkammer hinaus. Jürgen Habermas hat die Mahnmals-Bewegung als „eine Initiative, die von der Gesellschaft der Bürger ausgeht“ bezeichnet, die „sich als die unmittelbaren Erben einer Kultur, in der das möglich war, vorfinden“. Das ist die übliche historiographische Engführung, der seit dem Historikerstreit niemand, dem die Karriere lieb ist, mehr zu widersprechen wagt. Das ist aber auch eine Verzeichnung des Debattenverlaufs. In Wahrheit gab es keinen Raum für den angstfreien Austausch von Argumenten, nur einen von Gesinnungspolizisten und Blockwarten umstellten Appellplatz. Das Kommando führte die Journalistin Lea Rosh, die darüber den Weibern aus den verhexten Märchenwäldern der Brüder Grimm immer ähnlicher wurde. Vom Holocaust-Mahnmal darf sie künftig genauso sprechen wie der Atomphysiker Edward Teller von der Wasserstoffbombe: „Mein Baby!“ Zu reden wäre vom Zusammenspiel von neurotischer Beschädigung und der Exaltation des Gedenkens. In ihrem Buch „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (1990) gibt es, haargenau in der Mitte plaziert, eine Schlüsselszene. Im Flugzeug sitzen neben ihr ein aufgeweckter kleiner Junge und sein Vater: „Ich muß einfach zuhören, denn die beiden reden ganz laut miteinander. Warum auch nicht. Sie können ja nicht wissen, was ich weiß. Daß nämlich auch dieses reizende, lebhafte Kind, wäre es ein jüdisches Kind (…) gewesen, nach Auschwitz geschafft, dort vergast und verbrannt worden wäre.“ Das weiß man auch ohne ihre Belehrungen, aber man kann, um bei Verstand zu bleiben, nicht immerzu daran denken, und vor allem verbietet es der Takt, tagtäglich damit hausieren zu gehen. Die Melange aus Betroffenheit, Sendungsbewußtsein, Groll, Größenwahn, aus Kompensations- und Rachebedürfnis, die in diesen Sätzen steckt, böte Stoff genug für eine sozio-psychologische Studie. Auch über eine Öffentlichkeit und ein Land, die sich das haben bieten lassen. Mit dem Mahnmal wird die „radikale Reduktion der Nationalgeschichte“ sich beschleunigen. Für Karl Heinz Bohrer ist damit der Verlust von „ruhiger, weitschweifiger Reflexivität“ verbunden. Genügend Stoff für eine sozio-psychologische Studie Der bedeutende Ägyptologe und Gedächtnisforscher Jan Assmann hat Bohrer in hegelianischer Manier entgegengehalten, daß die heutige „Erinnerung“ an den Holocaust „nicht die Sache eines bestimmten moralisierenden Diskurses“ sei, sondern „im Ereignis und seinem kollektiv verbindlichen Sinn selbst“ liege. Der Historiker Dan Diner geht mit Assmann insoweit konform, als er hinter der aktuellen Erinnerungskultur ebenfalls keine „profanen“ Interessen zu entdecken vermag. Für ihn ist der Holocaust das „insgeheime Gründungsereignis Europas“, daher sei es angemessen, daß Berlin zum „Zentrum dieser negativen gemeinsamen Erinnerung“ wird. Diner spricht vom „anthropologischen Nexus von Gedächtnis und Eigentum“, vom „evidenten Zusammenhang von Gedächtnis und Restitution“. Durch die „Wiederherstellung vorausgegangener Eigentumsverhältnisse“ in Osteuropa seien „die mit jenen Verhältnissen verbundenen Erinnerungen verlebendigt“ worden. Der postmarxistische, höchst ambivalente Gedankengang wird spätestens dort brüchig, wo Diner mit Blick auf die nachrichtenlosen Konten auf Schweizer Banken behauptet, selbst die neutrale Schweiz habe sich dieser Verlebendigung nicht entziehen können. Die Wahrheit ist, daß eine Überprüfung dieser Konten einen überschaubaren Millionenbetrag ergab, die Schweiz sich aber aufgrund massiven Drucks aus den USA gezwungen sah, weit über eine Milliarde Dollar zu restituieren. Der berühmte Holocaust-Forscher Raul Hilberg nannte das schlichtweg eine „Erpressung“. Keinerlei Vorwurf trifft den Architekten Peter Eisenman. Sein wallendes Stelenfeld nimmt Formen und Elemente aus Salvador Dalís Gemälde „Die Auflösung des Beharrens der Erinnerung“ auf. Dalís akkurate Quader, „die mit unerbittlicher Gleichform gegen Geschichtlichkeit oder Nostalgie der Erinnerung“ angehen (Linde Salber) und einen schroffen Kontrast zu den weichen Formen der Meereswellen und der wie Camenberts auseinanderfließen Uhren bilden, sind von Eisenman zu einer dialektischen Einheit verschmolzen worden. Das ist höchst eindruckvoll, doch es bleibt die Anmutung eines Friedhofs. Eisenman, der verständlicherweise stolz darauf ist, daß er sein Werk inmitten der deutschen Hauptstadt errichtet durfte, nennt die Entscheidung über den Standort aus stadtplanerischer Sicht „erstaunlich“. Er vermißt in Berlin eine vergleichbare Urbanität wie in London, New York oder Madrid und „ein bestimmtes Niveau an Kultiviertheit“. Seiner Meinung nach wird das Denkmal „dem Leben in der Stadt nicht zugute kommen. Berlin ist wie Washinton. Und Washington ist tot. Es ist eine symbolische Stadt. Ich würde dort um keinen Preis hinziehen.“ Die Symbolik Washingtons ist immerhin eine positive. Außerdem gibt Städte, die viel größer und für das geistig-kulturelle Leben der USA wichtiger sind. In Deutschland geschieht, was Berlin widerfährt, dem ganzen Land. Damit ist Assmanns Frage beantwortet, was dagegen einzuwenden sei, daß Deutschland seine „schwere narzißtische Kränkung, (seine) nationale Identitätskrise“ in der Mitte Berlins herausstellt. Dies könne schließlich auch als „postnationaler oder postnationalistischer Reifeprozeß interpretiert“ werden. Also tönt es aus dem Elfenbeinturm, indessen das Land den Bach heruntergeht, als sei der Nero-Befehl noch immer in Kraft. Die Jahre seit 1989/90 waren verlorene Jahre. Sie bestätigen nicht nur den von Bohrer diagnostizierten Verlust der Reflexionsfähigkeit, auch die prospektiven Fähigkeiten sind entschwunden. Statt einen Willen zur Zukunft zu formulieren, wurde die gesamte intellektuelle und kulturelle Energie in „Trauerarbeit“ und in angrenzende Randgebiete investiert. Düsterer Triumph einer Kultur des Todes Im Ergebnis feiert in Berlins Mitte eine Kultur des Todes ihren düsteren Triumph. Und während die Generation Denkmal & Toskana sich bald in den üppig dotierten Ruhestand verabschiedet, sehen die nachfolgenden Generationen sich chancenlos und mit untilgbaren Hypotheken belastet. Im Angesicht des wallende Stelenfeldes dürfen sie die müden Hofmannsthal-Verse flüstern: „Ich sah den Todeskeim, der aus dem Leben sprießt, / Das Meer von Schuld, das aus dem Leben fließt, / Ich sah die Fluten der Sünden branden …“ Wie aber soll man so leben? Oder wird sich, in einer der überaschenden Volten, welche die Geschichte immer wieder mal durcheinanderschütteln, das Denkmal lediglich als Grabplatte einer zum Schluß verrückt gewordenen Bonner Republik erweisen?

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