Sowohl Geschichte wie Zukunft des Zentralflughafens Tempelhof sind mit der Identität und dem Schicksal Berlins auf eine Weise verknüpft wie kaum ein anderes Bauwerk dieser Stadt. Beispielhaft ablesbar ist dies am Eingang des vom Architekten Ernst Sagebiel entworfenen und von 1936 bis 1941 errichteten Flughafengebäudes. Allerdings muß der Betrachter an dieser Stelle schon genau hinsehen. In der dem Eingang vorgelagerten Grünanlage des Ehrenhofs steht, kaum sichtbar auf einem Waschbetonsockel, der Kopf eines vom Bildhauer W. E. Lembcke erschaffenen Reichsadlers. Dieser hatte seit 1940 – damals als vollplastische, bronzene Ganzkörperdarstellung eines auf einer Weltkugel sitzenden Adlers – auf dem Mittelrisalit der Empfangshalle gethront, mit einer imposanten Höhe von viereinhalb Metern. Nach 1945 wurde er von der U.S. Air Force abgebrochen, der Korpus eingeschmolzen und der Kopf als Kriegstrophäe abgetrennt in die Militärakademie West Point verbracht. Weiß übermalt, verwandelte er sich dort in einen Weißkopfadler, das amerikanische Wappentier. Anstelle des Reichsadlers installierten die Amerikaner eine Radaranlage. Als 1985 der Zentralflughafen Tempelhof – nach einer erstmaligen Einstellung des Flugverkehrs 1975 – den Betrieb wieder aufnahm, kehrte das Skulpturenfragment nach Berlin zurück. Es wurde axial zum historischen Standort wiederaufgestellt, so daß der Blick des Adlers wie einst auf die Anhöhe des Kreuzbergs gerichtet ist mit dem von Friedrich Wilhelm Schinkel geschaffenen Nationaldenkmal für die napoleonischen Befreiungskriege. Dessen Symbol, das Eiserne Kreuz, gab dem vormaligen Tempelhofer Berg den neuen Namen, nach dem später auch der Stadtbezirk benannt wurde. Auf den deutschen Militärfahrzeugen ist das Eiserne Kreuz heute wieder auf verschiedenen Kontinenten sichtbar, während der Bezirksname seit über zwei Jahrzehnten für den Inbegriff linker deutscher Stadtkultur steht – eine historische Wendung, die wie eine Farce wirkt. Doch alles andere als ein billiger Scherz ist derweil die mit rationalen Argumenten nicht mehr zu erklärende, geradezu bockige Haltung des rot-roten Berliner Senats, der mit dem 1923 eröffneten Tempelhof einen der ältesten Verkehrsflughäfen der Welt für immer schließen will (JF 51/06). Nach derzeitigem Stand soll dies zum 31. Oktober 2008 geschehen. Zur Begründung verweist der Senat gebetsmühlenartig auf den 1996 verabschiedeten Konsensbeschluß zum Bau des Großflughafens in Schönefeld, den „Singleairport“ Berlin Brandenburg International (BBI). Dort war man davon ausgegangen, „daß Tempelhof geschlossen wird, wenn das Planfeststellungsverfahren rechtskräftig ist“. Doch tatsächlich ist dieses bis heute nicht abgeschlossen, da Fragen zum Nachtflugverbot und zum Flugverkehr in den Randzeiten noch immer nicht geklärt sind. Zudem sind die damals gemachten Prognosen längst von der Realität überholt. Aus der seinerzeit prophezeiten Eröffnung des neuen Großflughafens „am 1. November 2007“ wurde das Jahr 2011; selbst dieser Termin wird sich vermutlich nicht einhalten lassen. Überdies haben jüngste Urteile des Bundesverwaltungsgerichts und des Oberverwaltungsgerichts Berlin deutlich gemacht, daß ein Weiterbetrieb des Zentralflughafens Tempelhof bis zur Fertigstellung des „Singleairports“ BBI ohne weiteres zulässig wäre, ohne die rechtlichen Grundlagen für den Bau des Großflughafens in Schönefeld zu gefährden. Für einen eingeschränkten Flugbetrieb über 2011 hinaus müßte Berlin lediglich seinen Landesentwicklungsplan ändern. Auch Rechtsgutachten, die im Auftrag des Bundes und der Deutschen Bahn gefertigt wurden, kommen zu diesem Schluß. Der Tübinger Verwaltungsrechtler Michael Ronellenfitsch hatte in seinem Gutachten zur rechtlichen Parallelität von Zentralflughafen Tempelhof und Bau des BBI sogar dargelegt, daß eine Schließung des ersteren vor Fertigstellung des Großflughafens für diesen „zwangsläufig zum Verlust“ seiner Planrechtfertigung führen müsse, da eine „vorgezogene Verringerung der Flugverkehrskapazität um zwei Landebahnen und ein Terminal dem für die Planfeststellung notwendigen Bedarfsnachweis für BBI die Grundlage entzieht“. Trotz dieser eindeutigen Sachlage beharrt das Land Berlin, dem die Verwaltung der Flughäfen obliegt, auf der vorzeitigen Schließung und begründet dies weiterhin mit der andernfalls drohenden Gefährdung des BBI. Obgleich diese Argumentation offenkundig wahrheitswidrig ist, wird sie permanent wiederholt. Dabei gibt es einen ebenso plausiblen wie gravierenden Umstand, der für eine unbedingte Offenhaltung Tempelhofs spricht. So sind die seinerzeit kalkulierten Zuwachsraten im Flugverkehr heute viel höher als einst prognostiziert. War im Jahr 2000 bei den Flugbewegungen noch mit einer jährlichen Steigerung von drei Prozent gerechnet worden, sind es heute bereits fünf. Noch deutlicher zeigt sich dieser Trend bei der Zahl der Flugpassagiere. Statt der damals prognostizierten jährlichen Steigerung um fünf Prozent ist heute ein fast doppelt so hoher Zuwachs zu verzeichnen. Demzufolge dürfte die Kapazität des „Singleairports“ BBI mit dann nur noch zwei – statt wie heute sechs – Start- und Landebahnen bereits zur Eröffnung erschöpft sein. Er ist ausgelegt für bis zu 25 Millionen Fluggäste, deren Zahl sich im Jahr 2012 statt der prognostizierten 22 auf schon bald 30 Millionen Passagiere zubewegen dürfte. Dies ist um so dramatischer, als schon heute feststeht, daß eine Erweiterung des BBI um eine dritte Start- und Landebahn ausgeschlossen ist. Nicht zuletzt aus diesen Erwägungen heraus hat sich vor einigen Jahren die Bürgerinitiative ICAT (Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof) gegründet. Sie will die Schließung des Flughafens Tempelhof abwenden, um ihn als Verkehrsflughafen für kleinere Maschinen zu erhalten. Das hierfür laufende Verfahren eines Volksbegehrens versucht nun ausgerechnet der rot-rote Senat zu unterlaufen, indem er im Juni ein Entwidmungsverfahren gegen den Tempelhofer Flughafen einleitete. Würde dieses rechtskräftig, wäre der Flughafen Tempelhof nach dem 31. Oktober 2008 nie wieder nutzbar. Hiergegen wurde vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin nun Widerspruch eingelegt, zum einen durch die von der Fluggesellschaft Windrose Air angeführte Klagegemeinschaft, zum anderen durch die ICAT. Bis Mitte August hat das Oberverwaltungsgericht Berlin Zeit, darauf zu reagieren. Hernach haben die Kläger eine dreimonatige Frist zur Einreichung ihrer Klageschrift, hinter deren Ziel über 70 Prozent aller Berliner stehen, selbst eine Mehrheit unter den Wählern von SPD und Linkspartei. Vielleicht sollte das verbleibende Zeitfenster aber auch genutzt werden, um einem Verdacht nachzugehen, der in letzter Zeit in der Hauptstadt kursiert. Dort wird nämlich vermutet, der Senat unter dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) habe in der Vergangenheit bereits Versprechungen an Investoren zur Bebauung des lukrativen Tempelhof-Areals gemacht, hinter die er jetzt nicht mehr zurückkönne. Anders lasse sich seine sture Haltung nicht mehr erklären. Wenn sich dieses beweisen ließe, würde das Wowereit zweifellos politisch das Genick brechen. Und es wäre wohl zugleich die Rettung des Tempelhofer Flugfelds. Das war einst so angelegt worden, daß leichte Flugzeuge wie die legendäre JU 52 jeweils exakt gegen den herrschenden Wind starten und landen konnten. Eine Maschine diesen Typs, die zu der „Valkyrie“-Produktion gehört, mit der die Verschwörung vom 20. Juli 1944 auf Hollywood-Format gebracht wird, landete vor kurzem auf dem traditionsreichen Flugplatz – ebenso wie Hauptdarsteller Tom Cruise, der wie fast alle internationalen Stars bei seinen Besuchen in der deutschen Hauptstadt mit einem Privatjet in Tempelhof landet. Wenn Cruise wieder abgehoben hat, wird sich der Bundestag Anfang September in den Ausschüssen Verkehr, Umwelt und Haushalt mit dem weiteren Schicksal des Flughafens Tempelhof befassen. Auch die Oppositionsparteien FDP und CDU im Berliner Abgeordnetenhaus wollen dann weiter für die Offenhaltung Tempelhofs kämpfen. Entscheidend wird am Ende jedoch sein, inwieweit der Bund, der Tempelhof gern erhalten würde, den Druck auf den rot-roten Senat erhöhen kann, um diesen zu einer Änderung seines Landesentwicklungsplans zu bewegen. Diese wäre auch nötig, um – so ein Szenario zur Offenhaltung Tempelhofs – die Flugbereitschaft der Bundeswehr, der Bundespolizei oder der GSG 9 nach Tempelhof zu verlegen. Schließlich gehören dem Bund weit über 50 Prozent des Areals sowie der denkmalgeschützten Immobilien des Flughafens. Diese gelten als eine der größten Gewerbeflächen Europas, die – überdies – nur in ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang mit bestehendem Flugbetrieb optimal vermietet werden können. Eine erste Gegenreaktion des Bundes ist mittlerweile erfolgt – offensichtlich aus Rache verweigerte das Verkehrsministerium von Wolfgang Tiefensee (SPD) Ende Juli der renommierten Fluggesellschaft Emirates ihren Antrag auf eine Nonstop-Flugstrecke ab Berlin-Schönefeld nach Dubai. Es wäre erst die zweite Interkontinentalflugstrecke Berlins gewesen. Die bislang einzige führt in die Vereinigten Staaten, jene Nation, die – zusammen mit den Briten – West-Berlin während der Blockade durch die Sowjets über die weltgeschichtlich einmalige Luftbrücke am Leben hielt und so von Juni 1948 bis Mai 1949 vor der Annexion durch den kommunistischen Herrschaftsbereich bewahrte. Foto: Geschäftsflugzeug auf dem Tempelhofer Flugfeld: Die Bundesregierung würde den zentral gelegenen Flughafen gerne für die Flugbereitschaft nutzen
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