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Wahr wie ein Märchen

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Johnny Cash begann seine Laufbahn als bodenständiger GospelSänger und wurde zum Inbegriff des Country-Outlaw: ein grüblerischer singender Geschichtenerzähler, der herumlief, als komme er gerade von einer Beerdigung irgendwo im Hinterland. Mit seinem unverkennbaren bebend-rauhen Bariton schuf er eine ikonische, amphetamin-getriebene Bühnenfigur, den Mann in Schwarz, der Cash manchmal völlig in seinem manischen Griff zu haben schien. James Mangolds packende Filmbiographie „Walk the Line“ folgt des jungen Musikers Weg und zeigt, wie ihn die Liebe einer guten Frau schließlich auf den rechten bringt. Das Drehbuch schrieben Mangold und Gill Dennis nach der Vorlage von Cashs Memoiren „Man In Black“ (1986) und „Cash“ (1987). Den Brennpunkt bildet dessen zehnjähriges Werben um die quirlige Country-Legende June Carter. Alle Höhen und Tiefen seines Lebens stehen hier im Zeichen dieser großen Liebesgeschichte, die auch Joaquin Phoenix und Reese Witherspoon in den Hauptrollen zu absoluten Glanzleistungen inspiriert hat. Als Junge packt John R. Cash auf der elterlichen Baumwollfarm in Arkansas mit an, doch in jeder freien Minute hockt der Zwölfjährige vor dem Radio und hört Country-Musik, am liebsten die Carter Family und die süße Stimme der kleinen June. Sein hartes Leben wird noch härter, als der Vater, ein strammer Trinker vor dem Herrn (erbarmungslos: Robert Patrick), ihm den Unfalltod des älteren Bruders anlastet. Diese Narben trägt Cash mit sich, als er mit 18 in die Armee eintritt, um den Baumwollfeldern zu entkommen. Nach seinem Dienst als Abhörexperte in Landsberg kehrt er 1954 in die USA zurück, heiratet seine erste Frau Vivian (Ginnifer Goodwin) und zieht nach Memphis, wo er als Vertreter arbeitet. Um dem Traum vom Plattenvertrag einen Schritt näherzukommen, gründet er eine Band mit zwei Freunden, den Automechanikern Luther Perkins (Dan John Miller) und Marshall Grant (Larry Bagby). Obwohl die beiden, wie Vivian sich nicht ganz zu Unrecht mokiert, „kaum spielen können“, gibt Sam Philips (Dallas Roberts) Johnny Cash and the Tennessee Two Gelegenheit zu einem Vorspiel bei Sun Records, dem Label, das auch Elvis groß machte. Auf Philips‘ Frage, ob sie statt tausendmal gehörter Gospels denn kein eigenes Material zu bieten hätten, stimmt Cash den „Folsom Prison Blues“ an, den er nach Crane Wilburs heute längst vergessenem B-Movie „Inside Prison Blues“ (1951) in Deutschland geschrieben hatte. Man spürt förmlich, wie Phoenix, der sämtliche Bühnen- und Studioeinlagen selber singt, in dieser Szene die künstlerische Epiphanie des jungen Cash am eigenen Leib erlebt. Bald darauf balanciert Cash gemeinsam mit seinen Sun-Kollegen Elvis (Tyler Hilton), Roy Orbison (Jonathan Rice) und Jerry Lee Lewis (Waylon Payne) auf dem Drahtseil zwischen den Sternen und der Gosse. Auf Tournee lernt er auch June Carter kennen, deren Kleid sich in seinen Gitarrensaiten verfängt. Sie werden auf Anhieb miteinander warm, halten jedoch Distanz, weil beide verheiratet sind. In den folgenden Jahren vertieft sich die Freundschaft zwischen ihnen, während die sexuelle Spannung immer mehr ins Unerträgliche steigt. Nur Cashs wachsende Abhängigkeit von Alkohol und Pillen treibt einen Keil zwischen sie. Auf der Bühne entlädt sich dieses explosive Gemisch aus Leid und Leidenschaft in mitreißenden Duetten wie „Jackson“ oder „Time’s A-Wastin'“. Daß das lange gutginge, läßt weder der dramaturgische Aufbau des Films noch sein Authentizitätsanspruch zu: Cashs Frau verläßt ihn mitsamt den Kindern, er wird verhaftet, weil er Drogen über die mexikanische Grenze schmuggelt, und seine Karriere befindet sich im Sturzflug. Wie eine gute Fee sorgt June dafür, daß sich alles zum besten wendet. Mit ihr an seiner Seite erlebt der Mann in Schwarz eine Wiederauferstehung und legt 1968 seinen unvergeßlichen Auftritt im kalifornischen Staatsgefängnis Folsom hin. Phoenix und Witherspoon spielen mit glühender Intensität, und daß auch zwischen ihnen die Chemie stimmt, ist unverkennbar. Körperlich mag Phoenix Johnny Cash nur oberflächlich ähnlich sehen, sobald er jedoch den Mund aufmacht, glaubt man dessen Wiedergänger vor sich zu haben. Daß es ihm gelingt, die Widersprüche eines Mannes zu verkörpern, den June als Johnny, „einen redlichen Mann“, und Cash, „einen wilden, selbstsüchtigen Kerl“ beschrieb, macht seine Darbietung zu einer herausragenden, die über bloße Nachahmung weit hinausgeht. Witherspoon verblaßt dagegen keineswegs, sondern läuft zu nicht weniger großartiger Form auf – so brillant hat man sie seit Alexander Paynes „Election“ (1999) nicht mehr erlebt. Damit nicht genug: Wie Phoenix singt auch sie alles selber. Wenn es in Hollywood mit rechten Dingen zugeht, dürfte beiden nach dem verdienten Erfolg bei der jüngsten Golden-Globe-Verleihung auch ein Oscar sicher sein. Wie bei allen Filmbiographien läßt auch hier die Faktizität ab und an der Dramaturgie den Vorrang. Künstlerische Freiheit hin oder her, sind einige wenige Auslassungen doch zu bedauern: etwa daß Mangolds Porträt dieses Ausnahmetalentes Cashs Einsatz für eine Reform des Gefängniswesens nicht einmal am Rande würdigt. Nicht zufällig hatte er seit den späten fünfziger Jahren immer wieder Gefängniskonzerte gegeben und sich heftig mit seiner Plattenfirma Columbia angelegt, um den Auftritt in Folsom mitschneiden zu können. Weiterhin mag man sich wünschen, daß der Film Cashs Freund und Sun-Gefährten Carl Perkins (dem Mann, der „Blue Suede Shoes“ schrieb und ursprünglich aufnahm) ein klein wenig Anerkennung gezollt hätte – entweder bei den frühen Tourneen mit den anderen Pionieren des Rock’n’Roll oder auch als Cashs Gitarrist in Folsom. Von derlei kleinen Einwänden abgesehen, ist „Walk the Line“ ein schonungslos ehrliches Drama mit wunderbarer Musik, hervorragender Besetzung und einer wahren Liebesgeschichte wie aus dem Märchen. Übrigens, für alle Zyniker, die diese Szene für puren Hollywood-Kitsch halten: Johnny machte June tatsächlich auf der Bühne einen Heiratsantrag. Foto: Johnny Cash (J. Phoenix), Ehefrau June (R. Witherspoon)

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