Es gibt kaum einen Parlamentarier oder sonstigen Politiker, der nicht gerne betont, daß er für den Abbau von Bürokratie eintritt. Das im Gesetzgebungsverfahren befindliche Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gibt die Probe aufs Exempel: Beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend wird unbeschadet anderer Stellen nun eine Antidiskriminierungsstelle des Bundes errichtet (§ 25 AGG). Deren Budget wird in der Gesetzesbegründung auf 5,6 Millionen Euro geschätzt. Parallele Stellen sollen auch in den Bundesländern und Kommunen eingerichtet werden. Deren Kosten sind in dem Gesetzentwurf allerdings nicht angegeben, da sie auch nicht Bund unmittelbar betreffen. Die Antidiskriminierungsstelle ist in der Ausübung ihres Amtes unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Sie ist also nicht weisungsgebunden, niemandem Rechenschaft schuldig und hat über sich nur „den blauen Himmel“ wie ein Bundesgericht. Sie soll Hilfesuchende bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen und dabei insbesondere über die Möglichkeiten des rechtlichen Vorgehens informieren, Beratung durch andere Stellen vermitteln und die gütliche Einigung zwischen den Beteiligten anstreben. Hunderte Antidiskriminierungsstäbe Darüber hinaus nimmt sie die Öffentlichkeitsarbeit, Maßnahmen zur Verhinderung von Benachteiligungen sowie die Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen wahr. Parallel dazu soll sie gemeinsam mit anderen Beauftragten der Bundesregierung und des Bundestages alle vier Jahre einen Benachteiligungsbericht vorlegen und dazu Empfehlungen zur Beseitigung und Vermeidung von Benachteiligungen geben. Entsprechend ist sie gehalten, mit den übrigen Beauftragten eng zusammenzuarbeiten (§ 27 AGG). Auch kann die Antidiskriminierungsstelle Beteiligte um Stellungnahmen ersuchen. In diesem Sinne sind dann alle Bundesbehörden und sonstigen Stellen verpflichtet, die Antidiskriminierungsstelle zu unterstützen (§ 28 AGG). Zusätzlich wird der Stelle ein Beirat von interessierten Gruppen und Organisationen beigeordnet (§ 29 ADG). Weiterhin werden „Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen“ in allen öffentlichen und privaten Unternehmen gesetzlich aufgefordert, der Antidiskriminierungsstelle zuzuarbeiten. Doch dieser Aufwand für die Kommunikation und Unterstützung all dieser Antidiskriminierungshilfsstellen ist in die 5,6 Millionen Euro für die Hauptstelle nicht eingerechnet und auch im Gesetzentwurf nicht ausgewiesen. Als einen weiteren Kostenträger nennt der Gesetzentwurf „Unternehmen, insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen“, allerdings nur, soweit sie im Geschäftsverkehr unzulässige Unterscheidungen vornehmen. Das geht an der Realität ziemlich weit vorbei. Unternehmen, die es sich leisten können oder müssen, werden sich gehalten sehen, ebenfalls interne Antidiskriminierungsstellen zu installieren, welche die anderen Beschäftigten unterweisen und überwachen, um etwaige Antidiskriminierungsansprüche zu vermeiden und abzuwehren. Nicht quantifizierbare Kostenfaktoren Auch kleine und mittelständische Unternehmer werden sich regelmäßig über den aktuellen Stand der Rechtsprechung unterrichten und rechtlich beraten lassen müssen. Unternehmer, Beauftragte, Gewerkschafter, Betriebsräte, Richter – sie alle werden einen immensen Bedarf an regelmäßigen Antidiskriminierungskursen haben, der sicher auch bald durch spezialisierte Schulungsunternehmen gedeckt werden wird. Außerdem benötigen die Unternehmer und Vermieter rechtlichen Beistand, nicht nur, wenn sie unzulässige Unterscheidungen vorgenommen haben, sondern auch immer dann, wenn ihnen das auch nur vorgeworfen wird. Möglicherweise werden sie sich in „Anti-Antidiskriminierungsvereinen“ organisieren und Antidiskriminierungsfonds gründen, um Ansprüche abwehren zu können, wenn das die anderen Berufsorganisationen nicht mit übernehmen. All diese Kostenfaktoren schätzt die Bundesjustizministerin als nicht quantifizierbar ein, und das sind sie wohl auch. Zum weiteren Kostenfaktor werden sich die Prozeßkosten bei den Arbeits- und Zivilgerichten entwickeln. Prozesse sind zwar gebührenpflichtig, aber die gesetzlichen Gerichtsgebühren finanzieren nur einen Bruchteil der tatsächlichen Gerichtskosten. Es müssen weitere Richter eingestellt und in speziellen Fortbildungskursen geschult werden. Eine Überlastung der Justiz scheint es für unsere Regierung nicht zu geben. Ziel des Gesetzes ist es, Benachteiligungen aus zahlreichen Gründen zu verhindern und zu beseitigen (§ 1 AGG). Genannt werden explizit: Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität – eine „Oktizität“. Ostdeutsche, Westdeutsche, Bayern oder Schwaben können sich dagegen nicht auf den Schutz des AGG berufen, solange sie nicht als ethnische Minderheit anerkannt sind. Benachteiligungen sind nicht generell untersagt Juristisch ist die Frage interessant, ob die enumerative Aufzählung abschließend ist und damit das allgemeine Gleichheitsgebot des Grundgesetzes so weit konkretisiert wird, daß aus einer Benachteiligung aus anderen als den genannten Gründen keine Ansprüche mehr hergeleitet werden können. Das würde eine erhebliche Einschränkung des Gleichheitsgebotes bedeuten. Ob auch eine rechts- oder linksextremistische Einstellung als Weltanschauung geschützt ist, wird die Rechtsprechung erweisen müssen. Vegetarier unterliegen keinem besonderen Antidiskriminierungsschutz, solange ihre Ernährungsweise nicht als Religion oder Weltanschauung gilt. Auch die soziale Herkunft, Staatsangehörigkeit und kulturelle oder sprachliche Zugehörigkeit unterliegt nicht dem besonderen Schutz, solange sie nicht mit einer besonderen abweichenden ethnischen Zugehörigkeit verknüpft sind. Benachteiligungen aus den oben genannten acht Gründen sind nicht generell untersagt, sondern nur in wiederum acht aufgezählten Punkten, insbesondere in Arbeitsverhältnissen, beim Zugang zu Bildung, bestimmten Organisationen, öffentlich angebotenen Waren und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum und bei der Sozialhilfe (§ 2 AGG). Ein Universum neuer Behörden wird entstehen Das Gesetz definiert vier Formen der Benachteiligung, nämlich die unmittelbare, die mittelbare, die Belästigung und die sexuelle Belästigung. Auch die Anweisung zur Benachteiligung einer Person gilt als Benachteiligung. Eine Ungleichbehandlung aus den genannt Gründen ist erlaubt, wenn damit a) ein bestehender Nachteil wegen eines solchen Grundes verhindert oder ausgeglichen werden soll, b) die Maßnahme dazu geeignet ist, und c) die Maßnahme angemessen ist. Ob der Nachteil, der ausgeglichen werden soll, genau auf der Eigenschaft beruhen muß, an die die Ungleichbehandlung anknüpft, ist nicht ausdrücklich ausgesagt und der Auslegung zugänglich. Hinsichtlich der Kausalität zwischen Eigenschaft und Nachteil sowie der Geeignetheit und Angemessenheit besteht ein gewisses Irrtumspotential. Ungleichbehandlungen sind weiterhin bei besonderen beruflichen Anforderungen erlaubt. Beispiel dafür ist der Ballettänzer, der nicht verlangen kann, für eine weibliche Rolle engagiert zu werden. Sogenannte „Tendenzbetriebe“ wie kirchliche Einrichtungen können verlangen, daß der Beschäftigte ein loyales und aufrichtiges Verhalten im Sinne des jeweiligen Selbstverständnisses aufweist. Altersgrenzen sind in wiederum acht enumerativ aufgeführten Fällen erlaubt (§ 10 AGG). Arbeitgeber haben in ihrem Unternehmen jede der vier Arten von Benachteiligung in den acht aufgezählten Punkten zu unterbinden. Demnach sind sie verpflichtet, Verstöße von Beschäftigten mit Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ahnden. Werden also Beschäftigte durch Dritte benachteiligt, hat der Arbeitgeber die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zu ihrem Schutz zu ergreifen. Fühlt ein Beschäftigter sich benachteiligt, kann er sich beschweren. Wenn der Arbeitgeber sich nicht rührt, hat der Beschäftigte unter Umständen ein Leistungsverweigerungsrecht, d.h. er braucht nicht zur Arbeit gehen. Außerdem kann er vom Arbeitgeber Schmerzensgeld verlangen – ein Bewerber etwa bis zu drei Monatsgehälter, wenn er auch ohne Benachteiligung nicht eingestellt worden wäre. Wäre er vielleicht eingestellt worden, ist der Schadensersatz im Gesetz nach oben nicht begrenzt. Der Benachteiligte hat keinen Anspruch auf Einstellung. Für der Inanspruchnahme des Arbeitgebers wegen einer Benachteiligung darf der Arbeitgeber den Beschäftigten wiederum nicht benachteiligen (§ 16 AGG). Vor Gericht muß der Benachteiligte die Benachteiligung dann glaubhaft machen. Glaubhaftmachen heißt aber viel weniger als Beweisen. Er muß die Benachteiligung nur so schildern, daß sie plausibel erscheint und der Richter denkt „Ja, das könnte so gewesen sein“. Hilfe kann er sich im Zweifel bei einem Verband holen, der nach seiner Satzung die besonderen Interessen von benachteiligten Personen oder Gruppen wahrnimmt. Diese Antidiskriminierungsverbände werden nach kurzer Zeit wahre Glaubhaftmachungsprofis sein, weil sie das Gesetz am besten kennen, über die größte Prozeßerfahrung verfügen und die einzelnen Richter und ihre Rechtsprechung aus den Verhandlungen kennen. Sie werden dem Hilfesuchenden sehr effizient helfen können, seinen Vortrag so zu gestalten, daß er glaubhaft klingt. Ist das gelungen, wird der Unternehmer es schwer haben. Denn laut Paragraph 22 AGG muß er beweisen, daß die glaubhaft gemachte Benachteiligung aus keinem der acht Gründe erfolgte oder aus einem der Gegengründe zulässig war. Der Nachweis, daß es gar keine Benachteiligung gegeben habe, ist im Wortlaut des Gesetzes nicht vorgesehen. Man darf vielleicht darauf vertrauen, daß Richter ihr eigenes Berufsethos haben und sich nicht gern für einen offenbaren Hokuspokus instrumentalisieren lassen. Sie werden das Gesetz so vernünftig anwenden, wie es das zuläßt. Interessant ist aber doch das Fazit: Das Gesetz untersagt nichts, was nicht schon vom allgemeinen Gleichbehandlungsgebot erfaßt wäre. Es treibt ganz offen mutmaßlich Betroffene zur Prozeßführung an, lädt Unternehmern und Vermietern unkalkulierbare Risiken auf, schafft ein ganzes Universum neuer Behörden, installiert eine ganze Antidiskriminierungsindustrie und bringt jeden in Staat und Wirtschaft Tätigen in die Rolle eines Zuträgers. Stichwort: AGG Die Idee einer sozialistischen EU-Abgeordneten ging seit 1999 ihren EU-typischen Weg. Der Kampf gegen Diskriminierungen von Minderheiten interessierte nur Lobbyisten. Die brachten es zu einer EU-Richtlinie, welche wiederum von der rot-grünen Bundesregierung aufgrund des heftigen Widerstandes von CDU/CSU nicht in nationales Recht überführt wurde. Rot-Grün hatte den Bereich noch ausgedehnt. In der Großen Koalition vollzog die Union nun im Rahmen eines Kompensationshandels eine Wende. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist auf den Weg gebracht.
- Ausland