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Luftnummer ohne Geist

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Auf der Flucht vor dem Pisa-Bildungstrauma hat die deutsche Kultusministerkonferenz den Bildungsstandard als Marschrichtung entdeckt. Bundeseinheitlich wird damit den Ländern eine Richtschnur für die Schulbildung bis zur zehnten Klasse gegeben, auf daß die Schüler von Bayern bis Bremen, vom Saarland bis Sachsen künftig einheitlich deutsche Bildungsnormen erfüllen. Hilft das wirklich Deutschland aus der Bildungsmisere? Führt dieser Weg tatsächlich von Pisa fort oder nicht doch eher im Kreise um Pisa herum? Zunächst klingt „Standard“ positiv, nach Verläßlichkeit, nach der Vertrautheit deutscher Normfestsetzung und nach erinnernder Geborgenheit deutscher Technikvorsprünge. Schließlich haben die Deutschen vor langer Zeit auch die DIN-Norm erfunden und das Ideal-Standard-Becken in deutschen Badezimmern verankert. Der Wunsch, ähnliche Nestwärme auch im Bildungswesen wiederzufinden, ist verständlich. Fraglich bleibt allerdings die Ausführbarkeit solcher Bildungsvorgaben. Schließlich findet die Maßregelung weitgehend auf geisteswissenschaftlichem Gebiet statt, fernab der objektiv meßbaren Naturwissenschaft. Wie soll beispielsweise die Erreichung der in Deutsch vorgegebenen Bildungsnorm: „Die Schülerinnen und Schüler bewältigen kommunikative Situationen in persönlichen, beruflichen und öffentlichen Zusammenhängen situationsangemessen und adressatengerecht“ gemessen werden? Dazu muß es zuvor gelingen, „situationsangemessen“ und „adressatengerecht“ einvernehmlich zu definieren. Nicht wenige Schüler verstehen darunter schlicht: „Guckst du mich schief an, hau ich dir eine aufs Maul.“ Wie soll man sie von anderen Definitionsauffassungen überzeugen? Die näheren Erläuterungen der Kultusministerkonferenz zu diesem Lernziel lautet: „Sie benutzen die Standardsprache. Sie achten auf gelingende Kommunikation, und damit auch auf die Wirkung ihres sprachlichen Handelns. Sie verfügen über eine Gesprächskultur, die von aufmerksamem Zuhören und respektvollem Gesprächsverhalten geprägt ist.“ Das könnten gewaltbereite Schüler durchaus als Bestätigung ihrer Interpretation verstehen. Zum Glück sind den Bildungsstandards einige Ausführungsbestimmungen beigefügt. So beispielsweise zur Veranschaulichung des Inhalts längerer Lesetexte durch „Cluster“, „Mindmap“ (das steht wirklich so in den Deutschempfehlungen!) und Flußdiagramme. Hilfreicherweise wird gleichzeitig als Bildungsziel gefordert: „Nachschlagewerke zur Klärung von Fachbegriffen, Fremdwörtern und Sachfragen heranziehen“. Die Krux bei der Einhaltung der amtlichen Bildungsnormensetzung wird insbesondere auf dem weitgehend interpretationsneutralen Gebiet der Mathematik deutlich. Da wird eine 36seitige Vereinbarung zu den mathematischen Bildungsstandards beschlossen, in der auf acht Seiten die berühmt-berüchtigten Worthülsen der Pädagogikwissenschaftler präsentiert werden, denen 22 Seiten kommentierte Aufgabenbeispiele folgen. Der Rest ist weißes Papier. Genausogut könnte man das DIN-A4-Format erklären mit: „Ein ziemlich großes Blatt Papier, dessen eine Seite etwas länger ist als die andere, aber nicht doppelt so lang – zum Beispiel ein Blatt, das aus dem Drucker des Computers kommt.“ Das läßt Schlimmes ahnen, wenn es an die Umsetzung dieser Bildungsverordnung geht. Es ist absehbar, daß sich die Mehrheit der Lehrer – sei es aus Bequemlichkeit, sei es aus Furcht, etwas falsch zu machen, sei es aus blankem Zynismus – mehr oder weniger sklavisch an die ministeriellen Vorgabebeispiele halten wird. Zur individuellen Nutzung des pädagogischen Freiraums laden die Bildungsstandards jedenfalls nicht ein. Es droht der angepaßte Normschüler. Und das auf niedrigem Niveau. Schließlich klingt Standard auch nach Minimalnorm. Wer kauft schon gerne ein Auto mit Standard-Ausstattung. Die Extras sind das Interessante und die Luxus-Version das begehrte Ziel der Wünsche. Bundesweite Bildungsstandards schmecken nach mittelmäßigem Einheitsbrei, ihre Forderung riecht nach dem Mief der nivellierenden Gesamtschulen. Das ist so gewollt, denn in der Einleitung der Bildungsvereinbarung heißt es: „Bildungsstandards formulieren fachliche und fachübergreifende Basisqualifikationen, die für die weitere schulische und berufliche Ausbildung von Bedeutung sind und die anschlußfähiges Lernen ermöglichen.“ Weiter steht da: „Sie weisen ein mittleres Anforderungsniveau aus.“ Wenn die Schulzeit bis zur zehnten Klasse einheitlich damit verplempert wird, dieses Minimalziel einheitlich zu erreichen, muß sich niemand wundern, wenn es danach kaum noch geeignete Studenten gibt. Fazit: Die beschlossenen Bildungsstandards lassen sich bestenfalls als Mindestanforderung verwenden. Für Schüler im Gymnasialbereich ist die Zeitvorgabe zehnte Klasse allerdings viel zu lang. Bis dahin muß mehr erreicht sein, um die Aussicht zu verbessern, ein qualifiziertes Studium in der Regelzeit absolvieren zu können. Hilfreich für Deutschland wäre die Einhaltung dieser Standards beim Hauptschulabschluß. Wahrscheinlich werden diese Normen aber noch nicht einmal im Realschulbereich auf absehbare Zeit zu verwirklichen sein.

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