Anzeige
Anzeige

Buchrezension: KI als Machtproblem

Buchrezension: KI als Machtproblem

Buchrezension: KI als Machtproblem

KI: Leuchtend blau dargestelltes menschliches Gehirn in einer geometrischen Struktur. Symbolbild für Künstliche Intelligenz, algorithmische Vernetzung und die Frage nach Kontrolle über autonome technische Systeme. Digitales Gehirn, als Synonym für künstliche Intelligenz, in der Denkweise gefangen. 3D-Abbildung.
KI: Leuchtend blau dargestelltes menschliches Gehirn in einer geometrischen Struktur. Symbolbild für Künstliche Intelligenz, algorithmische Vernetzung und die Frage nach Kontrolle über autonome technische Systeme. Digitales Gehirn, als Synonym für künstliche Intelligenz, in der Denkweise gefangen. 3D-Abbildung.
Künstliche Intelligenz: Mustafa Suleyman warnt in seinem Buch „The Coming Wave“ vor einem schleichenden Kontrollverlust durch autonome Technologien. Foto: picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach
Buchrezension
 

KI als Machtproblem

Die neue KI-Welle verspricht Fortschritt und produziert Kontrollverlust. Mustafa Suleyman, selbst Architekt der Technologie, warnt vor der Erosion staatlicher Ordnung. „The Coming Wave“ liest sich wie ein Lagebericht aus dem Innern der Maschinenmacht.
Anzeige

Weihnachts-Abo, Laterne, Schnee

Mit „The Coming Wave“ hat Mustafa Suleyman, Mitgründer von DeepMind und CEO von Inflection AI, in Zusammenarbeit mit dem Verleger Michael Bhaskar ein wichtiges Technikbuch vorgelegt. Wo andere die kommende „Singularität“ erwarten, warnt Suleyman vor einem Kontrollverlust, der nicht plötzlich, sondern schleichend eintreten wird. Sein Buch ist dennoch keine Dystopie, sondern ein Versuch, im Auge des technologischen Umbruchs Orientierung zu gewinnen.

Im Zentrum steht das, was Suleyman als Eindämmungs-Problem skizziert: Wie lassen sich exponentiell wachsende, potentiell autonome Technologien – künstliche Intelligenz, synthetische Biologie, Quantencomputing – so zähmen, daß sie Fortschritt ermöglichen, ohne unsere politischen und sozialen Institutionen zu zersetzen? Diese Frage hat das Potential, zu einem wesentlichen Prüfstein des 21. Jahrhunderts zu werden.

Suleyman argumentiert, daß sich die neue technologische Welle fundamental von früheren unterscheidet. Die Dampfmaschine, Elektrizität oder das Internet veränderten die Welt, doch sie blieben menschlich kontrollierbar. Die heutige Welle dagegen ist autonom, global, grenzenlos reproduzierbar. KI-Modelle lassen sich kopieren, Biotech-Werkzeuge in Garagenlaboren einsetzen. Damit droht eine Erosion staatlicher Steuerungskraft, eine Krise der Souveränität. Staaten, so stellt Suleyman fest, sind zu langsam, zu bürokratisch und zu schlecht ausgerüstet, um Schritt zu halten. Das Machtzentrum wandert zu privaten Tech-Konzernen und in informelle Netze.

Dezentralisierung löst Kontrolle und Verantwortung auf

Bemerkenswert ist, wie Suleyman hier an Alvin Tofflers Klassiker „The Third Wave“ (1980) anknüpft – und ihn zugleich auf den Kopf stellt. Toffler feierte damals die „dritte Welle“ der Informationsgesellschaft als Emanzipation von industrieller Massenproduktion hin zu flexiblen, vernetzten Lebensformen. Suleyman dagegen sieht in der „kommenden Welle“ keine Befreiung, sondern ein Risiko: Dieselbe Dezentralisierung, die Toffler als Fortschritt pries, wird nun zur Bedrohung, weil sie Kontrolle, Wahrheit und Verantwortung auflöst. Wo Toffler Optimismus predigte, setzt Suleyman auf technologischen Realismus – der Traum von Vernetzung ist zur Frage nach globaler Beherrschbarkeit geworden.

Doch ausgerechnet dort, wo Suleyman seine zentrale These einer multidimensionalen Welle entfaltet, zeigt das Buch auch Schwächen. Die Kapitel zur synthetischen Biologie bleiben auffällig blaß. Während die Ausführungen zur Künstlichen Intelligenz – zu Training, Skalierung, geopolitischer Kontrolle – detailreich und analytisch präzise ausgeführt sind, erscheinen Biotech-Beispiele oft nur als Randnotizen. Die Gefahr selbstreplizierender Moleküle, genetischer Open-Source-Plattformen oder biotechnologischer Terrorrisiken wird angerissen, aber nicht mit der gleichen Tiefe verfolgt. Kritiker haben daher zu Recht bemängelt, daß Suleyman hier die Komplexität biologischer Innovationen unterschätzt – und daß gerade in der Verbindung von KI und Genetik die größte, gedanklich noch kaum erschlossene Sprengkraft liegt.

Die Konsequenz aus diesen Entwicklungen beantwortet Suleyman nicht mit Verbotsforderungen, sondern mit Eindämmung. „Containment“ heißt, die Welle nicht stoppen zu wollen, sondern ihre Richtung zu lenken. Dazu formuliert er im Schlußteil „Zehn Schritte zur Eindämmung“: von einem „Apollo-Programm“ für KI-Sicherheit über Audits, Exportkontrollen und internationale Abkommen bis hin zu einer neuen Fehlerkultur und Bürgerbewegungen. Besonders eindrücklich ist seine Forderung, daß Kritiker zu Machern werden müßten – Ethiker, Aktivisten, Regulierer sind angehalten, nicht länger nur zu warnen, sondern selbst Systeme gestalten. Sicherheit und Verantwortung sollen, so Suleyman, Teil der Innovationsarchitektur werden.

Mustafa Suleyman, Michael Bhaskar: The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts, C. H. Beck, München 2024 (4. Auflage 2025), gebunden, 377 Seiten, 28 Euro
Mustafa Suleyman, Michael Bhaskar: The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts, C. H. Beck, München 2024 (4. Auflage 2025), gebunden, 377 Seiten, 28 Euro

Dieser Ansatz macht das Buch stark, aber auch angreifbar. Kritiker beanstandeten, daß Suleyman technische Machbarkeit und politische Realisierbarkeit verwechsle. Etliche seiner Vorschläge – etwa der Aufbau einer internationalen Aufsichts- und Kontrollstruktur oder die Forderung, daß Sicherheit nicht optional sein dürfe, sondern ein zentrales, finanziell gefördertes und verpflichtendes Element aller Forschungs- und Entwicklungsprogramme – klingen in Demokratien kaum durchsetzbar. Andere warnen, sein „Containment“-Begriff gleiche einer technokratischen Vision: eine Welt aus Kontrollräten, Daten-Audits und Notfallabschaltern. Es stellt sich die Frage, wieviel Raum für menschliche Freiheit und Erfindung bleibt, wenn Innovation nur noch unter Aufsicht entsteht.

Suleyman begegnet solchen Einwänden mit einer klaren Haltung. Eindämmung, schreibt er, sei kein bürokratischer Zwang, sondern eine Frage der inneren Haltung – Selbstbegrenzung als neue Form der Freiheit. Damit knüpft er an die klassische Technikkritik an: an Martin Heidegger zum Beispiel, der davor warnte, daß der Mensch in der Technik nur noch ein Werkzeug zur Berechnung der Welt sieht, oder an Friedrich Georg Jünger, der zeigte, wie sich das Werkzeug vom Menschen löst und ein Eigenleben führt. Beide betonten, daß Denken und Handeln nicht allein vom Nutzen bestimmt sein dürfen. In diesem Sinn versteht auch Suleyman Selbstbeschränkung nicht als Verzicht, sondern als Voraussetzung, um Kontrolle und Freiheit zu bewahren.

Der Mensch steht vor der Aufgabe, seine Schöpfungen zu zähmen

Im abschließenden Kapitel „Leben nach dem Anthropozän“ öffnet sich der Blick auf eine mögliche Versöhnung. Wenn „Containment“ gelingt, so Suleyman, könnte das Verhältnis von Mensch, Technik und Natur in eine neue Balance treten: weg von der Beherrschung, hin zur Kooperation. Die Zukunft sei dann kein transhumanistischer Traum, sondern ein ko-evolutionäres Projekt – der Mensch als Bewahrer einer fragilen Ordnung, nicht als deren Mittelpunkt.

Was „The Coming Wave“ besonders lesenswert macht, ist die Spannung zwischen Pessimismus und Pragmatismus. Suleyman schreibt aus der Perspektive eines Insiders, der weiß, wie mächtig KI schon heute ist – und wie wenig sie verstanden wird. Sein Stil ist nüchtern, manchmal überzogen repetitiv, selten literarisch. Aber er zwingt den Leser, sich der Frage zu stellen, ob wir der „kommenden Welle“ überhaupt gewachsen sind.

Das Buch hinterläßt den Eindruck, daß das 21. Jahrhundert kein Zeitalter des Fortschritts, sondern der Selbstbeherrschung sein muß. Wo frühere Generationen glaubten, die Natur zu meistern, steht der Mensch heute vor der Aufgabe, seine eigenen Schöpfungen zu zähmen. „The Coming Wave“ ist ein Aufruf zur erwachsenen Haltung – ein Plädoyer für Wachsamkeit, Demut und institutionelle Klugheit inmitten der KI-Euphorie.

Damit steht Suleyman zwischen den Lagern: zwischen Yuval Hararis Furcht vor einer allmächtigen „Datenreligion“, Nick Bostroms warnender KI-Dystopie und Donna Haraways optimistischer Vorstellung einer hybriden Verbindung von Mensch und Maschine, Cyborg genannt. Das macht sein Buch zugleich unbequem und notwendig – ein Vermessungsinstrument für eine Zukunft, in der Mensch und Maschine mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu trennen sein werden.

Aus der JF-Ausgabe 52/25-1/26.

Künstliche Intelligenz: Mustafa Suleyman warnt in seinem Buch „The Coming Wave“ vor einem schleichenden Kontrollverlust durch autonome Technologien. Foto: picture alliance / Zoonar | Alexander Limbach
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag

ähnliche Themen
aktuelles