Die Mitarbeiter der Messe Gießen haben einen offenen Brief veröffentlicht – für Angestellte eines Hallenbetreiber ein ungewöhnlicher Schritt. Aber sie sind auch einer außergewöhnlichen Situation ausgesetzt. In der Messe will die AfD am letzten Novemberwochenende ihre neue Jugendorganisation gründen. Die Beschäftigten schreiben, sie würden deshalb von Linken „angefeindet und verurteilt, beleidigt und ausgegrenzt“.
Beschäftigte entfernten ihre Namen von der Website. Die Polizei biete Schulungen an, „um Verhaltensweisen zu erlernen, die das eigene Leben und das Leben der Familie schützen“. Eine „objektive Aufarbeitung unserer Rolle“ finde nicht statt. Für die Betroffenen bedeute der Vorgang eine enorme mentale Belastung.
Presse erklärt Messe zum Schuldigen
Ein Treiber dieser Entwicklung ist das Bündnis Widersetzen. Wie die JUNGE FREIHEIT berichtete, mobilisiert es bundesweit und organisiert Busse, Sammelpunkte, Ordnerstrukturen, Kommunikationskanäle und Handreichungen, um die Delegierten durch Sitzblockaden an der Anreise zu hindern. Auf dem linksextremen Portal Indymedia hieß es, man wolle „die Stadt Gießen zum Brennen bringen“. Und auch konkrete Personen geraten ins Visier. Die Eheleute Roland und Beate Zwerenz werden von der Antifa Frankfurt als „reiche Säcke“ diffamiert. Unterstützer werden aufgefordert, die Firmengruppe „auf allen Ebenen mit allen Mitteln“ anzugreifen. Dafür führt die Antifa die Standorte und Tochterunternehmen detailliert auf.
Der offene Brief richtet sich zugleich gegen die Darstellung, die Messe hätte die AfD aus freien Stücken aufgenommen. Etwa schrieb die Gießener Allgemeine, daß die AfD ihre Veranstaltung abhalten könne, sei „dem umstrittenen Messebetreiber Roland Zwerenz“ geschuldet. Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher erklärte, „andere Messebetreiber haben eine andere Haltung gezeigt“, und forderte die Bürger auf, „Haltung zu zeigen“ und „das Feld nicht den Antidemokraten zu überlassen“.
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Warum die Messe der AfD die Räume überlassen muß
Ständig erreichten die Messe Fragen wie: „Wieso lehnen Sie die AfD nicht wie die Arena in Wetzlar ab?“ Die Antwort sei „so einfach wie komplex“. Wetzlar und Marburg verfügten nicht über Hallen, die den Anforderungen genügen. Nach Darstellung der Messe hätte die AfD die Räume andernfalls „über den Rechtsweg einklagen“ können. Die bestehende Rechtsprechung – vom Wetzlarer Urteil 2018 bis zur Entscheidung in Lich – verpflichtet sie zur Gleichbehandlung. Politische Erwartungen ändern daran nichts.
„Ein Arzt, der seinen hippokratischen Eid geschworen hat, wird nicht zum Verbrecher, wenn er einen Verbrecher behandelt“, schreibt das Unternehmen. Im aktuellen Fall würden jedoch „Unternehmen und Menschen dahinter“ zu Tätern gemacht, obwohl „die vielen Gerichtsurteile“ zeigten, daß die Messe keine Entscheidungsfreiheit besitzt. Dennoch werde das Unternehmen boykottiert und ausgegrenzt und „soll nicht mehr beliefert werden“. Die Politik schreite nicht ein und „opfert lieber ein Unternehmen und dessen Mitarbeiter“, obwohl klar sei, daß die AfD-Veranstaltung rechtlich nicht zu verhindern ist.
Erst jüngst sprang ein langjähriger Geschäftspartner der Messe ab. Das Konzertbüro Bahl beendete nach zwanzig Jahren die Zusammenarbeit und verlagerte eine Großveranstaltung nach Wetzlar. Als Begründung nannte das Büro erwartete Proteste, Sicherheitsauflagen und „Auswirkungen auf Stadt und Region“. Auch wurden dem AfD-Bundesvorstand die Hotelzimmer gekündigt. Nach Informationen der Gießener Allgemeine prüfen weitere Veranstalter einen Rückzug. Auch kommunalpolitische Akteure kündigten an, Auftritte bei Eröffnungen zu überdenken.
Polizei erwartete Zehntausende Demonstranten
Derweil bereitet sich die Stadt auf eine Lage vor, deren Dimension schwer kalkulierbar ist. Die Verwaltung richtet Verkehrssperrungen ein und warnt vor erheblichen Einschränkungen im Nahverkehr. Aktuell sind 17 Demonstrationen angemeldet. Nach derzeitigem Stand rechnet die Polizei mit bis zu 40.000 Teilnehmern. In Gießen leben rund 90.000 Einwohner. Ladenbesitzern und Betreibern von Weihnachtsmarktständen bleibt es jedoch freigestellt, ob sie an dem Wochenende öffnen wollen.
Der offene Brief setzt all diese Vorgänge in Beziehung. Die Mitarbeiter schreiben, die öffentliche Debatte wälze „ein politisches Problem auf uns ab, daß wir nicht lösen können“. Die Messe schlußfolgert: „Die einzig legitime Haltung für ein Unternehmen in einem Rechtsstaat ist die Einhaltung von Recht und Gesetz.“





