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Gesundheitspolitik: Woran Krankenkassen kranken

Gesundheitspolitik: Woran Krankenkassen kranken

Gesundheitspolitik: Woran Krankenkassen kranken

llen Lundershausen (l.), Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, spricht mit CDU-Gesundheits- ministerin Nina Warken: Ein Krankenkassenverband fordert nun, Honorarerhöhungen vorübergehend einzustellen. (Themenbild)
llen Lundershausen (l.), Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, spricht mit CDU-Gesundheits- ministerin Nina Warken: Ein Krankenkassenverband fordert nun, Honorarerhöhungen vorübergehend einzustellen. (Themenbild)
llen Lundershausen (l.), Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, spricht mit CDU-Gesundheits- ministerin Nina Warken: „Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen massiv, etablieren eine Vertrauenskultur und stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit.“ Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas
Gesundheitspolitik
 

Woran Krankenkassen kranken

Es wird teurer und teurer für alle: Die neue Bundesgesundheitsministerin Warken muß den immer neuen Rekordbeiträgen der Krankenkassen Herr werden. Vor allem eine Regelung sorgt für eine Kostenexplosion.
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Vor 35 Jahren lag der durchschnittliche Beitragssatz in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bei 12,6 Prozent – inzwischen sind es 17,1 Prozent, Tendenz weiter steigend. Das hat auch mit älter werdenden Patienten und dem medizinischen Fortschritt zu tun. In den vergangenen Jahren kam ein weiterer Kostenfaktor hinzu: Millionen neue Versicherte, für die keine ausreichende Beitragszahlung erfolgt. Der Ausgleich erfolgte über Beitragssatzerhöhungen. Der GKV-Spitzenverband verlangt daher Strukturreformen, um Einnahmen und Ausgaben wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Kurzfristig dürfe es keine Preis- oder Honorar­erhöhungen mehr geben, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen – und: „Die medizinische Versorgung der Bürgergeldbeziehenden muß endlich fair über Steuergelder finanziert werden“, erklärte GKV-Verbandschefin Doris Pfeiffer. „Allein dadurch würde die gesetzliche Krankenversicherung um zehn Milliarden Euro oder anders ausgedrückt um etwa 0,5 Beitragssatzpunkte entlastet.“ Auch die neue Gesundheitsministerin Nina Warken sieht diese Unterfinanzierung. Die CDU-Politikerin will daher, daß die GKV-Kosten im Bürgergeldbereich komplett vom Bundeshaushalt getragen werden.

Doch trotz eines Rekordhaushalts von 503 Milliarden Euro verweigert Finanzminister Lars Klingbeil zusätzliche Gelder für Bürgergeld-Empfänger: Zum regulären GKV-Bundeszuschuß von 14,5 Milliarden Euro – bei jährlichen Gesamtausgaben von über 288 Milliarden Euro – gebe es 2025 lediglich ein Darlehen von 2,3 Milliarden Euro. Die GKV verzeichnete 2024 aber ein Defizit im Gesundheitsfonds von 3,7 Milliarden Euro – sprich: Es drohen also weitere GKV-Beitragserhöhungen.

Strukturreformen stehen unter Finanzierungsvorbehalt

Der designierte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf hat hingegen höhere Beiträge für Besserverdiener verlangt. In der Bild-Zeitung argumentierte der linke Ökonom: „Wir haben in der Krankenversicherung immer wieder die Diskussion über Beitragsbemessungsgrenzen, wo noch deutlich mehr drin ist“, sagte der direkt gewählte Lübecker Bundestagsabgeordnete. Er zahle den GKV-Maximalbeitrag und „wäre in der Lage, auch mehr zu zahlen“.

Derzeit liegt die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) bei 5.512,50 Euro brutto im Monat bzw. 66.150 Euro im Jahr. Danach richtet sich der GKV-Höchstbeitrag. Klüssendorf hat leicht reden: Er erhält derzeit eine Abgeordnetenentschädigung von 11.227 Euro – mehr als das Doppelte. Im Juli steigen die Diäten um 5,4 Prozent auf 11.834 Euro. Bei solchen Einkommen sind viele ohnehin privat krankenversichert. Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann widersprach Klüssendorf heftig.

Doch Finanzprobleme sind nicht die einzige Sorge von Ministerin Warken, denn im Koalitionsvertrag steht das Versprechen: „Wir wollen eine gute, bedarfsgerechte und bezahlbare medizinische und pflegerische Versorgung für die Menschen im ganzen Land sichern“. Die Wünsche und Soll-Formulierungen bleiben vage; konkrete Maßnahmen sollen bis zum Jahr 2027 durch Kommissionen vorgelegt werden. Alle Vorhaben und Strukturreformen stehen zudem unter Finanzierungsvorbehalt.

Schulden sollen nun die Lage der Krankenkassen verbessern

Einsparungen soll dieses Versprechen bringen: „Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen massiv, etablieren eine Vertrauenskultur und stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der Profession, statt sie mit Bürokratie aus Gesetzgebung und Selbstverwaltung zu lähmen. Alle Gesetze in diesem Bereich werden wir einem Praxis-Check unterziehen.“ Wie und in welchem Zeitraum dies umgesetzt werden soll, bleibt jedoch offen.

Künstliche Intelligenz (KI) als universelle Wunderwaffe soll eine vereinfachte Behandlungs- und Pflegedokumentation und damit ein „konsequent vereinfachtes und digitales Berichtswesen“ ermöglichen. Wie dies konkret in einem Staat geschehen soll, der seit Jahrzehnten am Bürokratieabbau und der Digitalisierung scheitert, bleibt offen. Dafür soll nun ein „verbindliches Primärarztsystem bei freier Arztwahl durch Haus- und Kinderärzte“ eingeführt werden, um den Zugang zu den teureren Fachärzten besser zu regulieren. Die Überweisung soll es nun nur noch via Hausarzt oder durch die von der Kassenärztliche Vereinigung (KV) betriebene Rufnummer 116117 geben. Ausnahmen sind Augenärzte und die Gynäkologie.

Überraschenderweise soll der GKV-Anteil für die Klinikreform nun aus dem schuldenfinanzierten „Sondervermögen Infrastruktur“ und nicht von den Beitragszahlern aufgebracht werden. Zudem soll sich die GKV-Einnahmesituation durch ein höheres Beschäftigungsniveau verbessern – sprich: Wer arbeitet, zahlt in der Regel GKV-Beiträge. Woher diese neuen und sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Rezession und der Deindustrialisierung kommen sollen, bleibt ein sorgsam gehütetes Geheimnis der Merz-Regierung. Denn entlassene oder in den Vorruhestand geschickte Auto-, Chemie- oder Stahlarbeiter zahlen keine GKV-Höchstbeiträge.

Warken nannte Lauterbachs Reform „gefährlichen Blindflug“

Um Kosten zu senken, sollen Krankenhäuser nicht mehr alle Behandlungen anbieten, sondern sich spezialisieren. Eine Vorhaltepauschale soll diese Kliniken finanziell absichern und ihre wirtschaftliche Lage stabilisieren. Die unter Warkens Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) entwickelte komplexe Reform mit Leistungsgruppen, Vorhaltevergütungen, Fallpauschalen und Strukturänderungen wird damit weniger effiziente Krankenhäuser von Leistungsangeboten ausschließen. Etliche dieser Häuser werden wohl schließen müssen. Bis zu 30 Prozent der deutschen Krankenhäuser sind daher existentiell gefährdet.

Wie umfangreich letztendlich die daraus abgeleiteten Klinikkonzentrationsprozesse werden, wie sich dies auf die Erreichbarkeit von Allgemeinkrankenhäusern mit Basisnotfallversorgung und Rettungsdienste auswirkt und wie noch ausreichende Vorsorgekapazitäten für Pandemien, Kriegsgefahren und andere Katastrophenfälle nach Vollzug der Reform vorhanden sind, ist nicht annähernd geklärt.

Im Oktober 2024, als die neue Ministerin Warken noch Parlamentarische Geschäftsführerin der Unionsfraktion war, bezeichnete sie Lauterbachs Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz auf Instagram treffend als „gefährlichen Blindflug“. Wie sie die gescholtene Reform umsetzen oder anpassen wird, bleibt bislang ihr Geheimnis.

Aus der JF-Ausgabe 27/25.

llen Lundershausen (l.), Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, spricht mit CDU-Gesundheits- ministerin Nina Warken: „Wir verringern Dokumentationspflichten und Kontrolldichten durch ein Bürokratieentlastungsgesetz im Gesundheitswesen massiv, etablieren eine Vertrauenskultur und stärken die Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit.“ Foto: picture alliance/dpa | Jan Woitas
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