Kleine Meditation vor einer Fotografie aus dem Jahr 1908: Sie zeigt eine Gruppe junger Menschen, die sich für die Gruppenaufnahme im Freien in Positur geworfen haben. Die jungen Männer mit Hemd und Krawatte und Jackett nicht ohne Schick, aber kein Vergleich zur Eleganz der Damen mit ihren hellen Blusen und den Sommerhüten, die da so selbstbewußt in die Kamera lächelten. Es handelt sich um ein Bild, das während eines Ausflugs der Sozialistischen Arbeiter-Jugend entstanden war, also eines Nachwuchsverbands der SPD, auf Klassenbewußtsein und Marxismus geeicht.
Aber gleichzeitig zeigt es Vertreter der selbstbewußten jungen Generation des wilhelminischen Kaiserreichs, die in einer Welt lebten, in der jeder, der auf sich hielt, „nach oben“ orientiert war, sei es im Hinblick auf Bildung oder Karriere und eben auch die Kleidung, die Maß an der Garderobe des bürgerlichen „Klassenfeinds“ nahm. Auffallend ist der Unterschied zum Heute mit seiner Gleichmacherei, der flächendeckenden Vulgarität, bewußten Häßlichkeit und Obszönität und der Ausrichtung von jedem Mann und jeder Frau auf alles, was „nach unten“ zieht.
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„Man kann einen Menschen auch mit anderen Mitteln als mit Konzentrationslagern fertigmachen. Zum Beispiel, indem man ihn hinter dem Stacheldraht des Verdachts verschwinden läßt.“ (Carlo Schmid, SPD, in einer Bundestagsdebatte 1954)
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Monarchie I: Von der seriösen Berichterstattung einfach übergangen, sei wenigstens hier darauf hingewiesen, daß Grzegorz Braun als Präsident der monarchistischen Partei Konfederacja Korony Polskiej („Konföderation der Polnischen Krone“) beim ersten Wahlgang zum höchsten polnischen Staatsamt 6,3 Prozent der Stimmen – das entspricht 1.242.917 Voten – auf sich vereinigen konnte.
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Vor kurzem fühlte ich mich an eine Äußerung von Doris Schröder-Köpf erinnert, weiland Gattin unseres Bundeskanzlers Gerhard Schröder und sozialdemokratische Landtagsabgeordnete in Hannover, die den Eingeborenen vor Jahrzehnten empfahl, gegenüber den Zuwanderern betont freundlich und nachsichtig aufzutreten, da man in fortgeschrittenem Alter auf deren Pflege angewiesen sein werde.
Das kam mir jetzt wieder in den Sinn angesichts einer Nachricht über die Schikanierung, Beraubung und Vergewaltigung hochbetagter Schwedinnen durch junge Männer, die ein Dienstleister ihnen zwecks täglicher Unterstützung zugewiesen hatte. Erst nachdem die Vertuschungsversuche der zuständigen Firmen fehlgeschlagen waren und auch die Beschwichtigung der Politik scheiterte, konnte die Polizei die Aufklärung in Angriff nehmen und mindestens 45 Fälle dieser Art in den letzten fünf Jahren feststellen. Allerdings muß man – wegen der Scham der Opfer – eine erhebliche Dunkelziffer annehmen, nicht zu reden davon, daß die Behörden das Schicksal der Alten offenbar weniger kümmerte als die Sorge, sich wegen der Herkunft vieler Täter dem Vorwurf des Rassismus auszusetzen.
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Als ich jung war, beriefen sich nur jene Bürgerlichen auf „Werte“, die im Tiefsten ihres Herzens wußten, daß sie auch diese Bastion demnächst räumen würden.
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Nennen Sie mich überempfindlich, aber von Wikipedia auf der Netzseite „Beobachtungskandidaten/Lebtnoch“ geführt zu werden, hat etwas Übergriffiges.
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Monarchie II: Vor zweihundert Jahren, am 29. Mai 1825, fand die letzte Krönung eines französischen Königs statt. Während Ludwig XVIII., ein aufgeklärter (und wahrscheinlich gottloser) Skeptiker, nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft und der Wiedereinsetzung der Bourbonen ganz bewußt auf das tradierte Zeremoniell verzichtet hatte, unternahm sein Bruder Karl X. den Versuch einer Restauration im Vollsinn. Er wollte in der Kathedrale von Reims im Rahmen einer Messe und reicher Liturgie mit dem heiligen Öl gesalbt und gekrönt werden wie seine Vorgänger. Fraglos war das der Versuch, an eine Überlieferung anzuknüpfen, doch in dem Wissen, daß das seit 1789 Geschehene nicht ungeschehen gemacht werden konnte.
Der König hatte deshalb die Kosten für die Krönung im Parlament bewilligen lassen und im Rahmen der Zeremonie einen Eid auf die Verfassung geleistet. Ihm ging es darum, die Kluft zu schließen, die seit der Revolution das Land spaltete. Ein Akt der Versöhnung, der nicht ganz einfach in die Tat umzusetzen war. Abgesehen vom finanziellen Aufwand ging es auch darum, daß der letzte sacré – der des unglücklichen Ludwig XVI. – fünfzig Jahre zurücklag, vieles vergessen und verschiedene Ausstattungsstücke verlorengegangen oder zerstört worden waren. Immerhin soll das Geschehen beeindruckend gewesen sein, und in zeitgenössischen Berichten heißt es, daß 500.000 Pariser den König bei seiner Rückkehr in die Hauptstadt begeistert empfangen hätten.
Aber das war nur eine Momentaufnahme. Gut fünf Jahre später würden die Pariser Karl X. im Zuge der Juli-Revolution vertreiben und der Herrschaft seines Hauses ein für allemal ein Ende bereiten.