Norman Mailer, der selber nicht an Bescheidenheit krankte, sagte über seinen Zeitgenossen und Konkurrenten Truman Capote „Es ist der perfekteste Schreiber meiner Generation.“ Capote, der am 30. September hundert Jahre alt geworden wäre, hätte ihm nicht widersprochen. Er war von jenem grandiosen Selbstbewußtsein beseelt, das auch der junge James Joyce besaß, von dem berichtet wird, daß er sich freien Eintritt in die Theater Dublins verschaffte mit den Worten „Lassen Sie mich durch, ich bin James Joyce“ – das war lange bevor er auch nur ein Wort seines Meisterwerkes „Ulysses“ veröffentlicht hatte.
So ähnlich stelle ich mir Truman Capotes Eintritt in die literarischen Salons New Yorks vor, jung und selbstbewußt, ja sendungsbewußt, ein schwuler 18jähriger Junge, der allerdings schon einige Stories im New Yorker und in dem Männermagazin Esquire veröffentlicht hatte, die wie Sprachmusik waren. Aber so wie im Falle Joyce bleibt auch Capote vorwiegend mit einem einzigen Werk verbunden, das auf seine Weise ebenso bahnbrechend das Erzählen revolutionierte wie es Joyce mit seinem „Ulysses“ tat: Trumans Reportageroman „Kaltblütig“ von 1966 begründete den New Journalism.
Trumans Kindheit – er wurde 1924 in New Orleans geboren– verlief einigermaßen traumatisch. Vater ein Hochstapler, Mutter eine Südstaatenschönheit aus Alabama, Tumulte, die Eltern ließen sich scheiden, die Mutter schloß den kleinen Truman bisweilen in Hotelzimmern ein, während sie auf der Suche nach einem neuen Ehemann war, den sie schließlich in dem Kubaner Joe Capote fand.
„Entweder man ist Schriftsteller oder man ist es eben nicht“
Der Kleine hatte sich allerdings längst in seine Welt zurückgezogen, die eine Welt der Wörter war. Er lief ständig mit einem Wörterbuch und einem Notizbuch herum. Mit acht wußte er, daß er Schriftsteller werden wollte, also Geschichtenerzähler und Zauberer, mit elf schrieb er seinen ersten Roman und veröffentlichte die erste von vielen weiteren Kurzgeschichten mit sechzehn.
Mit achtzehn jobbte er als Bürobote beim renommierten New Yorker, bevor er rausflog, weil er den großen Dichter Robert Frost beleidigt hatte, was niemanden überraschte, denn ganz sicher hielt er sich selbst für größer. Ihn langweilte der Job ohnehin, aber „immerhin hat es mich davon abgehalten, je meinen Fuß auf einen College-Campus zu setzen“. Er wußte: „Entweder man ist Schriftsteller oder man ist es eben nicht.“ Davon überzeugt waren auch die Redaktionen von Magazinen wie Esquire, Harper’s Magazine und Atlantic Monthly, die seine Kurzgeschichten veröffentlichten, und jede hatte ihren eigenen Stil, denn diese mußten, das wußte er, genauso geschrieben sein, wie sie da auf dem Papier standen: perfekt. „Wie eine Orange perfekt ist.“
Schließlich sein Roman „Andere Stimmen, andere Räume“, in dem er die Suche nach seinem Vater als Kindheitserlebnis in einem düsteren Südstaatenanwesen in einem traumartigen, stimmungsgrellen Figurentableau aus Transvestiten und Schwulen beschrieb – und damit sein eigenes homosexuelles Coming-out. Der Roman machte ihn zum Skandal und zum Star, womit er seine Doppelbestimmung gefunden hatte. Nicht unwichtig war das Autorenfoto von Harold Halma auf dem Umschlag, das ihn, den Twen, mit einem trotzigen, herausfordernden Blick zeigte, das seinen Fan Andy Warhol, der ihm Liebesbriefe schrieb, zu einer eigenen Show mit Zeichnungen inspirierte.
Diese Nudeln spürt man im Mund
Er konnte hinschauen wie kein zweiter, besonders Schwächen fielen ihm auf, und er beschrieb sie aus der Halbdistanz, gleichzeitig spöttisch und anteilnehmend, wobei der Spott später überwog. Er war der perfekte Beobachter und konnte sich anverwandeln wie ein Chamäleon, was ihn zu einem großen Reisereporter und Journalisten machte. Sein Meisterstück war wohl jene Reportage über das Ensemble von „Porgy and Bess“, das in den kältesten Tagen des Kalten Krieges als Botschafter des Goodwill nach Moskau und nach Petersburg, das damalige Leningrad fährt.
Wie wunderbar diese Szene, als endlich der russische Speisewagen angehängt wird und den Amerikanern schon der Mund wässert in der Vorfreude auf echte russische Hausmannskost, also Wodka und Kaviar. Nun, sie werden enttäuscht. Es kommt zunächst Himbeerwasser und Joghurt auf das zerschlissene, gestärkte Linnen.
Und dann kann der kulinarische Absturz nicht grausamer und damit schöner in Worte gefaßt werden. „Der nächste Gang bestand aus Wassersuppe mit einer Einlage aus hartleibigen Nudeln, die wie ersoffene Baumstämme am Grund des Tellers lagen.“ Diese Nudeln spürt man im Mund, schon beim Lesen: ersoffene Baumstämme!
Capotes Porträts waren umwerfend
Er war ein hinreißendes Lästermaul. Da war Mae West auf einer Party, „die geschwungenen Augen, die gleichsam flügelschlagenden Lider, die weiße Haut, weiß wie das Maul einer Mokassinschlange“. Abgesehen davon, daß dies wohl ein gelungener zischelnder Vergleich ist für die Haut einer spöttischen Filmgöttin, wußte Capote sehr genau, wie es aussieht, dieses Schlangenmaul; er wurde als Kind davon gebissen.
Das war in einem Fluß in Monroeville, Alabama, wo er nach der Scheidung seiner Eltern bei seiner Großmutter aufwuchs. Das Nachbarmädchen damals war Harper Lee, anderthalb Jahre jünger, die später den Welterfolg „To Kill a Mockingbird“ (dt. Wer die Nachtigall stört) schrieb und lebenslang eine Freundin blieb.
Umwerfend seine journalistischen Porträts, etwa das von Marlon Brando während der Dreharbeiten zu dem Filmdrama „Sayonara“ – der Star auf den Reismatten seines Gasthauses in Kyoto gelagert, Apfelkuchen in sich hineinschaufelnd und Eis, und über das Schicksal räsonierend, der größte lebende Leinwandstar zu sein. „Vielleicht höre ich ganz auf“, sagt er und kratzt sich am Bauch. Zu den weiteren porträtierten Berühmtheiten gehören unter anderem Charlie Chaplin Humphrey Bogart, Elizabeth Taylor, Pablo Picasso, Coco Chanel, und Ezra Pound.
Er besuchte die Mörder in den Todeszellen
In die Herzen des großen Publikums schrieb sich Truman Capote mit „Frühstück bei Tiffany“, jener Novelle über die entzückende Herumtreiberin Holly Golightly, die in der Verfilmung mit Audrey Hepburn so wunderbar leichtsinnig für alle Zeiten in die kollektive Phantasie geflattert ist. Doch auf die Landkarte der Literatur trug er sich ein mit einem der imponierendsten Stücke, das der Journalismus je produzierte: mit dem Roman „Kalblütig“ (1966), in dem er die Morde an der vierköpfigen Farmerfamilie Clutter in Kansas recherchierte und minutiös beschrieb.
Er wollte beweisen, daß eine Tatsachenschilderung so spannend sein kann wie ein Thriller. Sechs Jahre lang arbeitete er an dem Stoff, er hatte sich das Vertrauen der Mörder erworben und sie in ihren Todeszellen wiederholt besucht und ausgequetscht. Nur: Er hatte keinen Schluß.
Den einzig möglichen hatte ihm die Wirklichkeit zu liefern, nämlich die Hinrichtung der beiden auf dem elektrischen Stuhl. Hier nun gibt es divergierende Meinungen. Eine davon ist die, daß Capote diese hätte verhindern können, doch untätig blieb, weil er nun mal diesen verdammten Schluß brauchte.
Das extravagante Leben wrackte ihn ab
„Alles wahr“, behauptete er. „Das meiste erfunden“, sagten andere Beteiligte, doch Capote war der Mann der Stunde. Berühmt, reich, ganz oben. Nach dem gigantischen Erfolg von „Kaltblütig“ schmiß er diese legendäre Party im Plaza Hotel in New York, den „Black-and-White-Ball“, der die 500 wichtigsten Societylöwen und -löwinnen versammelte und in der Auswahl sehr streng und willkürlich war und etwa eine Carson McCullors, das literarische Wunderkind der Vorgängergeneration, lässig aussortierte.
Tja, und dann blieb er in Feierlaune und feierte mit Schampus und Pillen und Drogen weiter und umgab sich mit Society-Damen wie Lee Radziwill, der Schwester Jackie Kennedys, und wurde zum Vertrauten und Beichtvater all der High-Society- Ladies. Er vergaß nichts, und er gedachte, daraus seinen nächsten Coup „Answered Prayers“ zu sticheln, eine chronique scandaleuse der Gesellschaft im Stil von Marcel Prousts „Verlorene Zeit“.
Allerdings wrackte ihn das extravagante Leben dann doch ziemlich ab, und als er schließlich 1975 ein erstes Kapitel daraus im Esquire veröffentlichte, beging eine der von ihm bloßgestellten Damen tatsächlich Selbstmord, und die übrigen waren aufs Äußerste verstimmt, und er war draußen, gesellschaftlich weit draußen, eigentlich schon im All, wo er dank seines Drogenkonsums ohnehin bereits auf seiner eigenen Umlaufbahn war.
Seine letzten Jahre waren eine Kette von Klinikaufenthalten
Aber bisweilen blinkte von dort sein Genie auf, etwa wenn er für Andy Warhols „Interview“-Magazin seine Konversationsporträts erfand, Gespräche und Gekicher wie Puzzleteile, sei es mit seiner Putzfrau oder mit Marilyn Monroe, intim, skandalös, zart, bösartig und unglaublich treffsicher. Seine letzten Jahre waren eine Kette von Klinikaufenthalten, wenn er nicht zwischendurch im Studio 54 in New York mit Bianca Jagger tanzte, ein kleiner pummeliger Kerl mit hoher Quiekstimme und albernen Bewegungen, eine Parodie seiner selbst.
Als er am 25. August 1984, knapp fünf Wochen vor seinem sechzigsten Geburtstag, in Los Angeles verstarb, nannte sein Intimfeind und Konkurrent Gore Vidal das „eine kluge Karriereentscheidung“! Nun, es war ein Jammer, daß sich dieses journalistische Göttertalent so verschwendete.