Ohne Grenzen ist dein Glück“, rief ein Diener des Polykrates, Herrscher auf der griechischen Insel Samos, dem in dieser Welt schlichtweg alles gelang und nichts versagt wurde. Ein Gastfreund wandte sich deshalb mit Grausen von dem verwöhnten Tyrannen, weil er darin einen deutlichen Hinweis auf dessen drohendes Verderben erkannte, das bald darauf auch eintrat. Polykrates fühlte sich, überhäuft mit Glücksgütern, ungemein sicher, wie ein auserwählter und besonders bevorzugter, ja begnadeter Mensch. Er vergaß, daß Tyche, die Glücksgöttin, auf einem Rad steht und immer in Bewegung keine Beharrlichkeit verheißt.
Die Römer verglichen ihre Fortuna mit dem unbeständigen Mond, der dauernd seine Form wechselt. Für Christen wirkte ihre Gestalt, von vorne gesehen, schön und anmutig, verlockend und viel versprechend. Ihr Rücken hingegen war besetzt von widerwärtigem Ungeziefer und veranschaulichte auf schreckenerregende Weise, wie jeder, was er erst zu spät und im nachhinein erlebt, betrogen und vernichtet wird, der sich von dieser Inkarnation der Lüge und des Betruges narren ließ.
Wer in den mittlerweile sehr fernen Tagen, als noch stoische Philosophen und nüchterne Christen davor warnten, nicht allzu leichtsinnig auf das Glück zu vertrauen, vorgeschlagen hätte, einen Weltglückstag auszurufen und ihn wie ein Heiligenfest oder den Geburtstag eines den gewöhnlichen Sterblichen entrückten Caesar und Imperator zu feiern, wäre von vornherein für einen gemeingefährlichen Narren gehalten worden, der nur Unheil plante. Orientierungshelfer in den Vereinten Nationen, die sich ermächtigten, für das Wohl der Welt und der Menschen zuständig zu sein und deren vollständige „happiness“ unbedingt in ihre Planungen einbeziehen zu müssen, veranstalten seit 2013 jeweils am 20. März einen solchen Glückstag, ohne daß an deren Weltklugheit gezweifelt würde. Im Gegenteil: Da alles in der Welt von Obrigkeiten geordnet und gestaltet werden kann, wäre es leichtsinnig, so etwas wichtiges wie das Glück den Launen der Einzelnen und ihrem Unverstand zu überlassen.
Das rundum aktivierende HERO-Prinzip
In der einen Welt mit dem einen Menschen bildet die globale Gleichheit der Lebensverhältnisse, der Denkgewohnheiten und sozialen Erwartungen die Voraussetzung für das allgemeine Glück und Wohlbehagen, von dem keiner ausgeschlossen bleiben kann. Jeder ist seines Glückes Schmied, und eine Weltorganisation in diesem Sinne der berufene Schmied allumfassender Glückseligkeit, die Gesundheit und langes Leben jedem in Aussicht stellt, der beflissen dem sogenannten PERMA-Modell des Psychologen Martin Seligman folgt. Also darauf bedacht ist: Positive Emotionen zu sammeln, Engagement für alles Mögliche zu zeigen und damit seine sozialen Kompetenzen ins rechte Licht zu rücken, fähig zu breitgefächerten Beziehungen (Relationship) zu sein, immer offen für jedweden Sinn (Meaning), was heißt, das eigene Tun, sich selbst und seine Interessen für wichtig und sinnvoll zu halten und daher das Gelingen (Accomplishment) scharf im Blick zu behalten, die selbstgesetzten Ziele zu erreichen und darüber sich selbst zu verwirklichen.
Dieses für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft aller Glücksucher so nützliche Lebensprogramm ist vor lästigen Zufällen und Störungen gefeit, wenn von jedem sorgfältig das Happiness-Management bedacht wird und jeder an sich arbeitet, auf der Grundlage des rundum aktivierenden HERO-Prinzip mit hope, efficacy, resilience und optimism im Arbeitsalltag Leistung und Organsisationsstärke zu beweisen, das Beste aus sich herauszuholen und im kreativen Team andere mitzureißen und seine Popularität oder Beliebtheit zu steigern. Solche Glücksarbeit entspricht vollkommen der Ideologie des Menschen als Arbeiter, wie sie von europäischen Enthusiasten des Leistungsdenkens seit der Aufklärung entwickelt wurde. Das Glück muß verdient sein, im Schweiße des Angesichts, der homo faber wird zum homo fortunae, zum tüchtigen Schmied seines Erfolgs, seiner Karriere und seines Lebensstandards.
„Nur die Arbeit kann erretten“
Glück erwirbt, wer aufmerksam den Geboten gehorcht: sich regen bringt Segen, ohne Fleiß kein Preis, genug ist nicht genug! Die ungehemmte Arbeitsfreude soll wie ein welterlösendes Pfingstwunder die Arbeitenden ergreifen, verzücken und glücklich machen. „Arbeit! Arbeit! Segensquelle; (…) Arbeit ist das Zauberwort, / Arbeit ist des Glückes Seele, / Arbeit ist des Friedens Hort! /(…) Nur die Arbeit kann erretten.“
Mit felicitas, mit einem inneren Glück, von dem heidnische Römer und Christen auch sprachen, hat das nichts zu tun. Um davon abzulenken, wie sehr der homo faber in einer Welt als gewinnorientiertem Betrieb wie ein bloßes Mittel für Zwecke verwertet wird, die ihm, als zur Freiheit berufenen Person, vollkommen widersprechen, sucht die organisierende, systematisierende, regelnde, normierende und vereinheitlichende Rationalität in der Moral einen Verbündeten. Die Substanzlosigkeit, die Leere, der vor sich hinschnurrenden Geschäftstüchtigkeit sollen Redensarten von Humanität und universalen Menschenrechten sinnvoll aufladen.
„Niemand kennt sich mehr“
Die Werktätigkeit wird zum Vorteil der Verantwortungsgemeinschaft, in der jeder produziert und konsumiert, mit Emotionen in Beziehung gesetzt, die ihn fühlen lassen, nicht allein zu sein, sondern Teil eines Menschen und Kontinente vereinenden Zusammenhangs, der seinem ganz unspektakulären Dasein eine sehr spektakuläre Würde verleiht. Diese wiederum ergibt sich aus dem wahren Glück, als Funktionselement Mensch zu sein unter Menschen, die wie er gewissenhaft dem Großen und Ganzen dienen. Damit gelangen sie zu einem moralischen Wohlstand, nämlich bewußter Teil des großen Lebens zu sein, aufzugehen im „Wir“ der alle umgreifenden Mitmenschlichkeit in der einen Menschheit auf der einen Welt. In ihr findet jeder zu sich.
Friedrich von Schiller erkannte in einem solch mechanischen Leben Entfremdung und Verlust der Freiheit in seinen Briefen zur ästhetischen Erziehung 1794. „Ewig nur an ein kleines Bruchstück gefesselt, bildet sich selbst der Mensch nur zum Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch des Rades, das er umtreibt im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er bloß zu einem Abdruck seines Geschäftes.“
Solche Schlachtopfer des Fleißes werden um ihre Würde gebracht, in aller Freiheit, ihre unverwechselbare Person auszubilden. Der alte Goethe äußerte sich ähnlich: „Niemand kennt sich mehr, niemand begreift das Element, worin er schwebt und wirkt (…) Für das größte Unheil muß ich halten, daß man im nächsten Augenblick den vorhergehenden verspeist, den Tag im Tag vertut, und so immer aus der Hand in den Mund lebt, ohne irgend etwas vor sich zu bringen. (…) und so springt’s von Haus zu Haus, von Stadt zu Stadt, von Reich zu Reich und zuletzt von Weltteil zu Weltteil, alles veloziferisch.“
Die betriebsame Globalisierung schien Goethe kein Glück zu verheißen
Velocitas – die Geschwindigkeit – und Luzifer, den Rebellen gegen Gott, brachte Goethe in eine unmittelbare Verbindung. Die betriebsame Globalisierung schien ihm gerade kein Glück zu verheißen, sondern vielmehr zu veranschaulichen, wie der Einzelne daran gehindert wird, aus sich heraus das zu tun, was ihm recht und gut dünkt, und wirklich Herr zu sein über die Mittel zu seinen Zwecken. In nichts anderem besteht sein Glück, seine felicitas, sein inneres Behagen, mit sich und der Idee von seiner Bestimmung in Einklang zu bleiben. Im „Wilhelm Meister“ sagt Goethe: „Gedenke zu leben! Wage es, glücklich zu sein!“
Ohne eine solche felicitas, das sittliche Glück, frei sich anzugehören und tätig zu wirken, kann theoretisch kein demokratisch verfaßtes Gemeinwesen auskommen. Zur Freiheit gelangt vornehmlich, wer es versteht, sich fern vom Lärm der aufgeregten Zeit und ihrer Geschäftigkeit zu halten und in seiner Privatheit, in Ruhe und Muße, in einem ganz inneren Reich sein eigenes Weltgetümmel zu veranstalten.
Es war nie müßig, den Menschen zur Muße zu befähigen. Diese ist aber längst in den Verdacht geraten, dem Einzelnen dabei im Wege zu stehen, sich in vielen Funktionen emsig zu bewähren. Deshalb hat zeitweilige, selbstgenügsame Privatheit für wahrhafte und wehrhafte Demokraten längst ihre Würde eingebüßt. Sie gilt als Ausdruck unpolitischer Verspieltheit und schlechten Sozialverhaltens. Außerhalb der Gesellschaft gibt es für überzeugte Demokraten kein Heil und Glück. Für sich allein bedeutet der Einzelne wenig oder nichts. Überzeugte Demokraten dürfen deshalb jeden politischer wie menschlicher Unzulänglichkeit zeihen, der nicht teilnehmen mag an dem, was alle tun.
Kann die Demokratie eine heitere Organisation gleicher Menschen erschaffen?
Die demokratischen Gesellschaften stellen alles in Frage außer ihrem Grundsatz, sie allein seien dazu in der Lage, eine heitere Organisation gleicher Menschen zu schaffen, in der alle glücklich werden können. Dennoch entbehren viele das Glück, weil sie Einsamkeit als innere Leere und Langweile erfahren, trotz des Befolgens aller sozialen Riten.
Der Mensch als Bruchstück trifft auf andere, die ihm als Bruchstück gleichen. Der Mensch als Bruchstück, zu einem Präzisionsinstrument erzogen, ist längst die Bedingung, um in einer rationalisierten, digitalisierten und mechanisierten Arbeitswelt von Computern und Robotern einsatzfähig zu bleiben. Selbst die erwünschte Kreativität bleibt den Arbeitsprozessen verhaftet, in der sich jeder voll einbringen soll. Es ist kein Wunder, daß unter solchen Bedingungen immer weniger Zeitgenossen, zumal jüngere, es auch nur eine halbe Stunde mit sich allein in einem Zimmer aushalten, ohne über mannigfache Geräte mit dem Draußen verbunden zu sein.
Die mächtigen Beschwörungen von Glück, beglückender Demokratie und Freude spendender Mitmenschlichkeit in der einen Welt mit dem einen Menschen können kaum die geistige Öde der ökonomistisch ausgerichteten westlichen Wertegemeinschaft verhüllen und ihre Absicht, als selbsternanntes Sprachrohr der Menschheit die ganze Welt in ihre Nichtigkeit hineinzuziehen. Der Weltglückstag könnte Völker und Kulturen und vor allem den Einzelnen dringend daran erinnern, sich auf sich selbst zu besinnen, auf Besonderheiten und Ungleichheiten, um nicht ihr wahres Glück zu verwirken, als unverwechselbare mit anderen zu verkehren, die ebenso in aller Freiheit ihr geistig-kulturelles Eigentum als Einzelne ausbilden und mehren möchten.