Herr Professor Dudenhöffer, ist der geplante Umstieg aufs E-Auto bis 2035 zu schaffen?
Ferdinand Dudenhöffer: So haben wir es in der EU zwar vereinbart, aber weder Deutschland noch die EU wird das meistern.
Warum?
Dudenhöffer: Nachdem die Umweltprämie von Wirtschaftsminister Habeck überraschend komplett gestrichen wurde, ist eine große Verunsicherung entstanden. Wenn die Politik nicht mehr hinter dem Elektroauto steht, warum sollte dann Otto Normalverbraucher für einen Aufpreis von gut 10.000 Euro gegenüber dem Benziner ein Elektroauto kaufen?
Warum sollten Ladesäulenbetreiber Ladesäulen aufstellen, wenn der Markt für E-Autos schrumpft? In den ersten beiden Monaten des Jahres sind die Neuwagenzulassungen in Deutschland um zwölf Prozent gestiegen, aber bei Elektroautos gab es einen Rückgang. Und der Trend wird sich fortsetzen.
Dudenhöffer: „Man tischt den Leuten Versprechen auf, die nicht einzuhalten sind“
Aber die EU hat doch ein Verbrennerverbot für das Jahr 2035 festgesetzt.
Dudenhöffer: Das war einmal. Kommissionspräsidentin von der Leyen hat vor kurzem öffentlichkeitswirksam mitgeteilt, 2026 das Verbrennerverbot für 2035 nochmals zu überprüfen. Frau von der Leyen kandidiert erneut als Kommissionspräsidentin und setzt anscheinend auf die Stimmung gegen das Elektroauto. Zudem hat die EU nun Statistiken veröffentlicht, die zeigen sollen, daß das batterieelektrische Auto mehr Treibhausgase verursacht als ein Benziner oder Diesel.
Der Zahlentrick ist simpel: Man legt bei der Einstufung des Elektroautos die im Jahr 2019 in der EU gemessene CO2-Emission bei der Stromerzeugung zugrunde. Wenn also in Polen Kohlestrom produziert wird und in Frankreich CO2-freier Atomstrom, dann wird das Elektroauto in Frankreich als CO2-Schleuder eingestuft. Gleichermaßen hat man die CO2-Emissionen bei der Förderung, Raffinierung und dem Transport von fossilen Kraftstoffen nicht berücksichtigt. Brüssel legt die Axt an das Elektroauto.
Das sieht die „Fortschrittskoalition“, wie sich die Ampel ja eigentlich nennt, anders.
Dudenhöffer: Man tischt den Menschen Versprechen auf, von denen die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß sie nicht einhaltbar sind. 2030, so die Ankündigung, sollen 15 Millionen Elektroautos auf deutschen Straßen rollen. Vor ein paar Tagen hat Minister Habeck im Interview „erklärt“, daß bei linearer Fortschreibung das Ziel 15 Millionen nicht erreicht werden kann – um dann nichtlineares Wachstum zu assoziieren. Er hält die Menschen für naiv.
Nun hat uns sogar Griechenland beim Ausbau der E-Mobilität überholt. Was ist los mit uns?
Dudenhöffer: Unsere Autoindustrie hat kräftig ins E-Auto investiert: Milliarden bei Autobauern und Zulieferern – und jetzt läßt die Politik durch Beendigung der Förderung des E-Auto-Kaufs das Thema sterben. Mit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, nicht abgerufene Corona-Hilfen nicht umwidmen zu dürfen, ist der Haushalt der Bundesregierung kollabiert. Wildes Streichen von Investitionen und hohe Ausgaben zur Unterstützung des Ukrainekrieges haben dem Elektroauto den Garaus gemacht.
„Bundeswirtschaftsminister Habeck versteht den Automarkt nicht“
Für Robert Habeck ist die Union schuld daran, die uns per Bundesverfassungsgericht in die Lage gebracht hat, Subventionen streichen zu müssen.
Dudenhöffer: Das ist ein sehr merkwürdiges Verständnis von Regierungsverantwortung. Unter Bundeskanzler Scholz hat die Ampel einen Haushalt aufgestellt, der sich vollständig auf die Umwidmung der Corona-Hilfen stützt. Es war klar, daß diese Umwidmung der 60 Milliarden Euro verfassungsmäßig überprüft wird. Dann ist es doch unredlich, ohne Plan B einen Haushalt aufzustellen und dann zu behaupten, die Union wäre schuld.
Minister Habeck hat 2022 im ZDF erklärt, seine Politik sei, „voll ins Risiko“ zu gehen, denn, so sein Plan: „Vielleicht gelingt es ja.“
Dudenhöffer: Das Resultat sehen wir ja nun. Nur sollte man dann auch die Verantwortung übernehmen und nicht auf andere zeigen. Ich vermute, ihm war nicht bewußt, welches Risiko auf der Haushaltsfinanzierung lag. Er ist einfach davon ausgegangen, daß es klappt. Diese Naivität ist erstaunlich und zeigt, wie wenig strategisch die Ampel und Herr Habeck agieren. Es ist Aktionismus, es fehlt der stabile langfristige Plan.
Haben Sie dafür Belege?
Dudenhöffer: Der Wirtschaftsminister hat die Preiswirkung der Umweltprämie völlig unterschätzt. Die von der Vorgänger-Koalition eingeführte Prämie sollte bis Ende 2025 laufen. Habeck hat bereits 2023 Kürzungen vorgenommen, die insbesondere bei den wichtigen kompakten Fahrzeugen eine fatale Wirkung haben, denn dort macht sich der Preisunterschied extrem bemerkbar. Zweitens hat er zu Beginn des Jahres 2023 sämtliche Förderungen für Plug-in-Hybride gestrichen.
Also für Fahrzeuge, die ihre Antriebsbatterie mit Strom aus der Ladesäule oder aus einem Verbrennungsmotor speisen können.
Dudenhöffer: Das Ergebnis war, daß dieses wichtige Segment des deutschen Automarkts im Jahr 2023 um 52 Prozent einbrach. Dann hat er im September des gleichen Jahres die schon reduzierte Umweltprämie für den Kauf eines vollelektrischen Fahrzeugs für die wichtigen gewerblichen Kunden, die rund 80 Prozent der Elektroautos kaufen, auf null gesetzt. Das war alles vor dem Karlsruher Urteil. Er versteht den Automarkt nicht.
„2035 werden in China so viele Autos gebaut wie in Europa und den USA zusammen“
Hat aber nicht die Autoindustrie auch eine Mitschuld? Denn dafür, daß etwa ein Volkswagen ID.4 hinter einem Tesla zurückbleibt, kann Herr Habeck nichts.
Dudenhöffer: Langsam: die E-Auto-Industrie läßt sich in drei Kategorien teilen: Tesla, die Chinesen und der Rest der Welt – darunter etwa GM, also General Motors, Ford, Toyota, Hyundai oder Stellantis, wozu heute Peugeot, Citroen, Opel, Fiat, Chrysler und andere gehören. Innerhalb der „Rest der Welt“-Gruppe sind die deutschen Hersteller immerhin führend, übrigens auch bei den Investitionen.
Auf einem anderen Sektor wäre die Führung auf dem dritten Platz sicher ein großartiger Erfolg. Müssen wir aber als Mutterland des Autos nicht den Anspruch haben, Platz eins zu belegen?
Dudenhöffer: Die Größe des Marktes prägt die industrielle Stellung in der Automobilwirtschaft. Die USA waren bis vor einigen Jahren der weltgrößte Automarkt und daher waren GM, Ford, Chrysler einmal die großen Autobauer. Dann kam Toyota dazu, das sich mit großen Produktionen in den USA „amerikanisierte“. So, und jetzt reden wir über China als weltgrößten Automarkt: Um 2035 werden in China so viele Autos verkauft wie in den USA und Europa zusammen. Also wenn wir eine leistungsfähige Autoindustrie in der Zukunft haben wollen, müssen unsere Autobauer und Zulieferer global und nicht deutsch sein. Und genau das machen sie.
Aber ist es nicht wichtig, daß ihr „Herz und Hirn“ in Deutschland bleiben?
Dudenhöffer: Ja, aber dazu müssen in Deutschland auch die ökonomischen Bedingungen erfüllt sein. Und jetzt sind wir wieder bei dem Punkt, daß wir hierzulande aktionistisch unterwegs sind. Bei der Atomenergie hatte Deutschland einmal internationales Renommee. Das haben wir mit „Atomkraft? Nein danke!“ aufgegeben. Aber Atomkraftwerke sind essentiell für die Energieversorgung der Zukunft. Was macht Herr Habeck? Er läßt Flüssiggas-Terminals bauen und den teuersten Strom der Welt erzeugen.
Gleichzeitig wird medial mit bunten Bildern der Einstieg in die Wasserstoffwirtschaft zelebriert. Aber wie genau und wann und wo Wasserstoffleitungen liegen, wie stabil der Wasserstoff in fragilen afrikanischen Staaten produziert wird, ist weder bezüglich der Finanzierung noch der Infrastruktur klar. Er malt eine bunte Zukunftswelt, um die brüchige Realität zu übertünchen. Bevor wir bunte Bilder malen, sollten wir das Fundament in der Realität absichern.
„Schauen Sie sich unsere Straßen, Bahn, Strompreise an, was das unserer Industrie aufbürdet“
Was meinen Sie konkret?
Dudenhöffer: Schauen Sie unsere Straßeninfrastuktur an, schauen Sie die Bahn an, schauen Sie die Strompreise an. Splittergewerkschaften wie die GDL können das ganze Land lahmlegen. Das bürdet der Industrie neben den Steuern und Abgaben, den vielen Gesetzen und Verordnungen, hohe Kosten auf. Und dann unsere aktionistische Forschungs- und Investitionsplanung. Vor drei Jahren sollte die Batterie in Deutschland neu erfunden werden.
Dann kam mit Corona die Erfindung des Biotech-Landes Deutschland. Zwei Jahr später waren es die Halbleiter. Für eine geklonte Chipfabrik in Magdeburg gibt man US-Unternehmen zehn Milliarden und feiert sich als Deutschlandretter. Die Batterie ist in Berlin zur Fußnote geworden. China und Korea sind Weltmarktführer bei der Batterie, weil man über Jahrzehnte das Thema in Forschung, Entwicklung und Industrialisierung gespielt hat.
Silicon Valley ist nicht Zentrum der digitalen Welt geworden, weil über eine Legislaturperiode ein paar hundert Millionen Dollar investiert wurden. Die Stadt Shenzhen in China ist ein neues Zentrum des chinesischen digitalen Ökosystems, weil das frühere Fischerdorf über Jahrzehnte aufgebaut wurde.
Aber – und damit zurück zum Elektroauto – ein Markt, der ohne Subventionen kollabiert, den kann doch keiner wollen, weil er schließlich nicht echt ist.
Dudenhöffer: Wann ist denn ein Markt echt und wann nicht?
Nun, wenn er Gewinne erbringt.
Dudenhöffer: Warum wollen wir denn vom Benziner weg? Doch nicht, weil die Technologie nicht mehr leistungsfähig ist, sondern, um die weltweiten Treibhausgasemissionen zu senken. Klar, geht es nur um Gewinne, dann verkaufen wir am besten weiter Verbrenner, weil wir die Kosten für den globalen Schaden, den sie mit anrichten, in die Zukunft verschieben und unseren Kindern und Enkeln „vererben“. Der Abgas-Katalysator in unseren Autos ist doch auch nicht von alleine gekommen. Um negative Effekte aufzufangen braucht es eben Regulierung.
„Bei Technologieumbrüchen darf man keine Zeit verlieren“
Wissen wir denn sicher, daß E-Autos die Zukunft sind?
Dudenhöffer: Wir sind sogar sicher, daß sie um 2030 für den Verbraucher genauso kostengünstig sein werden wie Verbrenner. Der nächste Quantensprung bei der Batterie ist die Feststoffzelle: Größere Reichweite, weniger Gewicht, niedrigere Kosten, schnelleres Laden. Was wir also gerade sehenden Auges zerstören, ist die Grundlage für eine Technologie, die in China zur Blüte entwickelt wird. Alle, die auf dem chinesischen Markt unterwegs sind, werden es schaffen, in die wichtigen Scales zu kommen. Und wer die Scales hat, der dominiert den Markt.
„Scales“?
Dudenhöffer: Zu deutsch der „Skaleneffekt“, also bei wachsender Produktionszahl immer kostengünstiger zu produzieren.
Ist es aber nicht unvernünftig, mit einem zu frühen Zeitpunkt unsere klassische Autoindustrie kaputtzumachen? Die schließlich, neben Maschinenbau und Chemie, zentraler Pfeiler unserer Volkswirtschaft ist.
Dudenhöffer: Natürlich kann man sagen, wir lassen die Dinge laufen, der Markt löst das. Aber der Markt entsteht in China. Der chinesische Autobauer BYD hat bereits 2023 mehr als drei Millionen E-Autos, inklusive Plug-in gebaut, beherrscht die Batterie und hat daher strategische Vorteile, ebenso Tesla. Es ist schwer, gegen Microsoft ein Office-Programm auf die Beine zu stellen.
Nokia hat das Smartphone verpaßt und Apple einen riesigen Markt geschenkt. Oder die Navigationsdienste: Google Maps ist nicht mehr einzuholen und hat das Monopol. Wir könnten die Aufzählung beliebig fortsetzen. Bei Technologiebrüchen darf man keine Zeit verlieren!
„Sie sollten die Bedrohung durch den Klimawandel sehr ernst nehmen“
Ex-Automanager Wolfgang Reitzle argumentiert im Grunde ebenso, nur kommt er zum gegenteiligen Schluß: Gerade wegen ihrer Verantwortung gegenüber Deutschland dürfe die Politik den Verbrenner mit ihrer einseitigen E-Mobilitätspolitik nicht abwürgen.
Dudenhöffer: Bei allem Respekt, aber Herr Reitzle kommt aus der Tradition des Verbrenner-Autobaus, da ist nachvollziehbar, daß er daran hängt. Aber auch vor seinen Kindern werden die globalen Folgen eines ungebremsten CO2-Ausstoßes nicht haltmachen.
Natürlich spielen in einer Gesellschaft immer auch externe Faktoren eine Rolle. Das darf aber doch nicht so weit gehen, daß die Marktwirtschaft ihren marktwirtschaftlichen Charakter verliert und man ins andere Extrem gerät. Ist deshalb Herrn Reitzles Einwand – mit dem er zudem keineswegs alleine steht – nicht doch ein bedenkenswertes Argument?
Dudenhöffer: Vier wichtige Einwände:
Erstens, Sie sollten die Bedrohung durch den Klimawandel sehr ernst nehmen.
Zweitens, bitte beachten Sie, daß wir bei der derzeit relativ überschaubaren deutschen Gesamtproduktion batterieelektrischer Autos hohe Kostennachteile haben: Es ist eine „Infant Industry“, also ein kommender Industriezweig, der noch „Geburtshilfe“ braucht, und eben deshalb hat die Vorgängerregierung Verkaufsprämien bis Ende 2025 in den Markt gebracht. Es geht also darum, den Hochlauf zu einer rentablen E-Autoindustrie zu meistern. Tesla und die Chinesen werden das schaffen. Aus dem Heimatmarkt muß die Rückendeckung kommen, sonst verlieren wir die Zukunft.
Drittens ist das E-Auto ein Null-Emissions-Auto. Eine Wohltat für die Städter gegenüber Verbrennern, die Abgas und Lärm verursachen.
Viertens, die Unterstützung war schon immer befristet mit der Umweltprämie bis Ende 2025 und des klaren Regulierungsrahmens zum Verbrenner-Aus ab 2035.
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Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer: „Auf allen Kanälen scheint es (hierzulande) nur einen Experten zugeben: Wenn Auto, dann Dudenhöffer“, so der Branchendienst DWDL über Deutschlands „Autopapst“ (Bild, Spiegel, FAZ u.v.a.) Ferdinand Dudenhöffer. Der 1951 in Karlsruhe geborene ehemalige Professor für Automobilwirtschaft der Universität Duisburg-Essen gründete 2000 das Institut CAR (Car Automotive Research), heute in Duisburg, von dem er sich 2020 trennte und ein gleichnamiges Institut in Bochum ins Leben rief. Zudem arbeitete er für diverse Autohersteller und schrieb das Buch „Wer kriegt die Kurve? Zeitenwende in der Autoindustrie“.