Ja, die Sanktionen gegen Rußland tun auch uns selber weh. Wenn internationaler Handel allen nützt, dann schadet seine Einschränkung eben auch allen. Es ist ziemlich müßig, darüber zu streiten, ob Rußland mehr darunter leidet oder wir. Immerhin wird aber die russische Wirtschaftsleistung dieses Jahr um rund elf Prozent zurückgehen. Das ist der stärkste Einbruch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zugegeben, das wird Putin nicht in die Knie zwingen. Sanktionen allein haben noch nie einen Krieg gewonnen, kurzfristig stabilisieren sie erfahrungsgemäß ein totalitäres System sogar eher. Aber man muß langfristig denken.
Zum einen reagieren Marktwirtschaften viel flexibler auf neue Knappheiten als ein staatlich gelenktes System. In einer vielbeachteten Studie von Bonner Ökonomen wird gezeigt, daß Unternehmen und Privathaushalte durchaus erhebliche Möglichkeiten zur Anpassung an die hohen Energiekosten haben und auch nutzen. Dazu bedarf es gar keiner staatlichen Vorgaben, die steigenden Preise sind vielmehr Anreiz genug.
Daß es teuer und unangenehm wird, ist ohnehin nicht zu ändern. Denn auch ohne westliche Sanktionen könnte Putin uns mit unserer Abhängigkeit von seinem Gas am Nasenring herumführen. Und er würde dies zweifellos tun, schon um unsere militärische Unterstützung für die Ukraine zu unterbinden. Darauf dürfen wir uns keinesfalls einlassen.
Sanktionen als bittere Medizin
Deshalb sind die Sanktionen zwar auch für uns eine bittere Medizin, aber sie nutzen uns langfristig in mehrfacher Weise. Zum einen helfen sie, mittelfristig unabhängiger von russischen Energielieferungen zu werden. Dazu müssen wir allerdings auch die Tabus gegen Kernenergie, Kohle und Fracking aufheben. Denn sonst geraten wir nur in andere Abhängigkeiten, etwa von chinesischen Vorprodukten für Wind- und Solaranlagen. Würden wir jetzt aber einknicken und etwa doch noch Nord Stream 2 öffnen, wie es viele fordern, so wäre das kontraproduktiv. Wir würden uns dann verhalten wie ein Alkoholiker, der sich immer wieder einen angeblich letzten Schnaps gönnt. In Wirklichkeit kaschiert er aber damit nur seine Unfähigkeit, der Sucht zu entkommen, in der er statt dessen immer weiter versinkt.
Putin scheint uns für dekadente Schwächlinge zu halten. Gerade Deutschland winkt er deshalb ständig mit Zuckerbrot und Peitsche. Dieser Versuchung müssen wir unbedingt standhalten. Auch die Chinesen werden das sehr genau beobachten und ihre Schlüsse daraus ziehen. Wir befinden uns nicht nur in einem Wirtschaftskrieg, sondern das gesamte westliche Wertesystem wird von den totalitären Mächten herausgefordert. Wenn wir es schon wegen ein paar Grad Zimmertemperatur verraten, gehen wir am Ende dabei unter.
Nicht mit dem Kopf durch die Wand rennen
Das heißt nun allerdings nicht, daß wir mit dem Kopf durch die Wand rennen sollten. In einem kürzlich veröffentlichten Beitrag haben Top-Ökonomen um den ifo-Chef Clemens Fuest eine kluge, „strategische Handelspolitik“ gegenüber Rußland gefordert. Konkret schlagen sie vor, ein komplettes Gasembargo erst einmal nur als Drohkulisse aufzubauen.
Gleichzeitig könnte man anbieten, gegen garantierte Gaslieferungen zu einem vernünftigen Preis auf diese Ultima ratio zu verzichten. Dann läge der Ball wieder bei Putin. Er dürfte sich genau überlegen, ob er ablehnt. Denn damit würde er sich selbst in einseitige und gefährliche Abhängigkeit von China begeben. Ein solcher spieltheoretischer Ansatz könnte daher tatsächlich funktionieren.
JF 36/22
Lesen Sie im Rahmen dieses Pro und Contras auch das Plädoyer für die Abschaffung der Rußland-Sanktionen von Thorsten Polleit.