Im Jahr 1648 war nicht bloß der „teutsche“ Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen. Holland hatte 1648 – schon einige Monate vor dem berühmten Westfälischen Frieden – den Achtzigjährigen Krieg mit den Habsburgern beendet. Bis vor kurzem hatte man zusammen mit den Franzosen die Spanischen Niederlande, das heutige Belgien und Luxemburg, in die Zange genommen. Doch an einem allzu deutlichen Erfolg der bourbonischen Verbündeten waren die Holländer nicht interessiert.
Die Franzosen waren ihnen willkommen gewesen als Verbündete, beileibe nicht als Nachbarn. „Amicus, non vicinus“, lautete der Wahlspruch auf Lateinisch. Die Spanischen Niederlande (meist kurz „Flandern“ genannt) sollten erhalten bleiben als Barriere, die Holland vor allen Begehrlichkeiten Ludwigs XIV. schützte. 1667 hatten die Holländer gerade erst zusammen mit Frankreich die englische Konkurrenz zur See bekämpft, doch sobald der Sonnenkönig zu Lande in „Flandern“ einrückte, bezogen beide Seemächte gegen ihn Stellung und zwangen ihn zu einem recht moderaten Frieden.
Schlag gegen die Niederlande geplant
Ludwig XIV. verzieh den Holländern diese Quertreibereien nicht. Er plante seinen nächsten Schlag gegen die Republik der vereinigten Niederlande, die virtuelle Großmacht des Barock, die kaum zwei Millionen Einwohner zählte, aber über rund die Hälfte aller Hochseeschiffe in Europa verfügte, mit einem mehr als nur respektablen Steueraufkommen, das ihr erlaubte, gut bezahlte und daher auch einigermaßen disziplinierte Armeen ins Feld zu stellen.
Die Republik der Vereinigten Niederlande bestand aus sieben Provinzen; doch mehr als die Hälfte ihres Budgets kam aus Holland; die Hälfte des holländischen Anteils wiederum aus Amsterdam. Die Amsterdamer Kaufmannsoligarchie wollte sich auf den lukrativen Überseehandel konzentrieren und aus kontinentalen Streitigkeiten soweit als nur irgend möglich heraushalten. Noch dazu mußte die republikanische Oligarchie befürchten, daß ein Landkrieg zu einer „Restauration“ des Hauses Oranien führen würde – (noch) nicht als Könige, aber als militärische Oberbefehlshaber und Statthalter.
Ludwig XIV. plante vorausschauend: Er sammelte Verbündete: Er zog England auf seine Seite – und die streitbaren Fürstbischöfe im Nordwesten Deutschlands, Köln und Münster, die sich über diverse Übergriffe der calvinistischen Holländer beschwerten. Die Variable in diesem Spiel war für ihn die Haltung der habsburgischen Konkurrenz. Sein „Angebot“ lautete, jeder solle sich auf seine ureigenste Interessenssphäre konzentrieren: Die Spanier möchten ihm doch das weit entfernte „Flandern“ lassen und dafür Portugal zurückerobern, der Kaiser könne Ungarn befreien, er würde ihm gerne dabei helfen. Doch auf diesen gottgefälligen Köder gingen die Habsburger nicht ein. Zwar versprach Ludwig, er werde bei seinem Feldzug gegen Holland einen großen Bogen um alle habsburgischen Besitzungen machen und auch das Reich ungeschoren lassen, allenfalls den Rhein als Wasserstraße benützen. Doch den Spaniern wurde mulmig bei dem Gedanken, in Zukunft auf allen Seiten von französischen Truppen umgeben zu sein.
Die Habsburger lavierten lange
Kaiser Leopold I. war vorsichtig. Natürlich, die Aussicht war verlockend, die Holländer endlich als Verbündete zu gewinnen – und als Zahlmeister. Doch die Sache war riskant: Das Kernstück barocker Strategie war die Diversion, das Sankt-Florians-Prinzip: „Verschon unser Haus, zünd’ andre an!“ Vielleicht würden die Holländer sich im letzten Moment freikaufen und sich der Ärger des Sonnenkönigs erst recht über die Habsburger ergießen. Am besten war es, erst dann als lachender Dritter einzugreifen, wenn sich der Krieg festgefressen hatte.
Man dürfte die Holländer in Wien überschätzt haben. Schließlich hatten die Habsburger die Pfeffersäcke in achtzig Jahren nicht kleingekriegt. Die selbstbewußte Krämerrepublik, so formulierte es ein Wiener Minister, sei ein notwendiges Übel. Als ein Diplomat warnte, wenn Holland über den Haufen geworfen werde, wären auch die Habsburger erledigt, antwortete ihm der kaiserliche Hofkanzler: Diese Republik könne nicht ruiniert werden, darauf könne man sich verlassen.
Vorteilhafter Frieden für Frankreich möglich
Dieser Zweckoptimismus erwies sich als Fehlkalkulation. Ludwigs Trumpfkarte war die Logistik: Entlang von Rhein und Maas waren genügend Magazine vorbereitet worden; der Vorstoß wurde zum Blitzkrieg; dazu kam Niedrigwasser, das Flußüberquerungen erleichterte. Den ersten Schuß hatten die Engländer im Kanal abgefeuert, im Mai rückte Ludwig XIV. in das Gebiet von Lüttich ein (das dem Erzbischof von Köln gehörte). Am 12. Juni gingen die Franzosen über den Rhein.
Vier von sieben niederländischen Provinzen fielen gleich im ersten Anlauf in die Hände der Franzosen. Die Holländer mußten die Deiche durchstechen und ihre Provinz in eine künstliche Insel verwandeln. Wilhelm von Oranien übernahm die Macht. Admiral De Ruyter avancierte endgültig zum Nationalhelden, als er den vereinigten englisch-französischen Flotten Paroli bot. Dennoch: Ein Jahr lang hätte Ludwig einen recht vorteilhaften Frieden haben können. War es Hybris, daß er die günstige Gelegenheit nicht beim Schopf ergriff?
Der Kaiser befand sich – sit venia verbo – in einer Situation wie Stalin 1940. So schön hatte man es arrangiert, daß beide anderen Großmächte aufeinander losgingen – und dann schien einer von ihnen nahezu mühelos zu gewinnen. Die Habsburger gerieten in Zugzwang. Wenn man einen Sonderfrieden verhindern wollte, dann mußte man jetzt eingreifen. Die Spanier versprachen Subsidiengelder (die sie eigentlich schon gar nicht mehr hatten). Leopold I. raffte sich endlich zu einer Entscheidung auf. Im Sommer 1673 wollte Ludwig XIV. schon Entwarnung geben, als die kaiserliche Armee endlich doch in Aktion trat. Damit ging nicht bloß der holländische Krieg in seine zweite Runde. Was 1672/73 begann, war ein neuer Hegemonialkrieg, ein Krieg um die vielbeschworene „Libertät“ Europas gegen die Universalmonarchie des Sonnenkönigs – ein Vierzigjähriger Krieg, nur von kurzen Pausen unterbrochen, der erst 1712/13 zu Ende ging.
JF 24/22