Der ursprüngliche Plan der deutschen Armeeführung, Moskau vor Wintereinbruch 1941 einzunehmen, war in Schnee und Eis sowie an der Gegenwehr der Sowjets gescheitert. Im darauffolgenden Kriegsjahr wollte die Rote Armee selbst in die Offensive gehen. Zugleich rechnete deren Oberkommando, die Stawka, mit einem erneuten deutschen Vorstoß auf die russische Hauptstadt.
Um dem zuvorzukommen, organisierte Marschall Semjon Konstantinowitsch Timoschenko, der Befehlshaber der russischen Südwestfront, zwei Großangriffe, die sich in einer Zangenbewegung hinter der ostukrainischen Stadt Charkow (ukrainisch Charkiw) vereinigen sollten. Sie war wegen ihrer Funktion als Rüstungsstandort strategisch wichtig. Nach Timoschenkos Plan sollten Wehrmachtseinheiten in der Stadt eingekesselt und vernichtet werden. Danach sollte die Masse der Rotarmisten weiter nach Westen auf den wichtigen Verkehrsknotenpunkt Dnipropetrowsk marschieren und dadurch die Versorgung der Heeresgruppe Süd unterbrechen.
Demgegenüber sahen die Pläne der deutschen Militärs vor, das Donezk-Becken und den Kaukasus wegen der dortigen Wirtschaftszentren anzugreifen. Ein Täuschungsmanöver sollte dem Feind den von ihm ohnehin erwarteten Angriff auf Moskau suggerieren. Der Plan ging auf und die Sowjets übersahen die deutsche Truppenkonzentration bei Charkow. Dort sammelten sich vier Armeekorps und im südlichen Frontbogen vier weitere sowie ein rumänisches.
3. Panzerdivision stabilisierte die Front
In Unkenntnis der Kräfteverhältnisse traten am 12. Mai 380.000 Rotarmisten mit Hunderten Panzern zum Angriff an. Mit ihrer schieren Menge durchbrachen sie zunächst die deutschen Linien und warfen die Verteidiger einige Kilometer zurück. Erst der Gegenstoß der 3. Panzerdivision der Wehrmacht zwang die Sowjets zum Halten.
Zu dem Zeitpunkt war die Lage bei Krasnograd bereits äußerst brenzlig. Das sowjetische 6. Kavallerie-Korps umfaßte die Stadt bereits von drei Seiten. Die in die Schlacht geworfene 305. Infanterie-Division der Wehrmacht konnte die Gefahr durch ihren Angriff in die Flanke der russischen Armeegruppe Bobkin beseitigen. Letztlich scheiterte die von Timoschenko beabsichtigte Einkesselung von drei deutschen Armeekorps.
Nach fünf Tagen war der Angriffsschwung der Russen erlahmt. So begann am 17. Mai der Gegenangriff der Armeegruppe Kleist. Die zum III. Armeekorps gehörende 14. Panzerdivision drückte am 22. Mai den westlichen sowjetischen Brückenkopf am Donez ein und halbierte ihn. Die so von ihrer eigenen Einkesselung bedrohten russischen Armeen waren von der Situation überrascht. Einen Tag später saßen sie in der Falle als Teile der 3. und 23. Panzerdivision sowie Teile der 44. Infanteriedivision und das III. Panzerkorps die Einkreisung vollendeten.
Rußland verlor 1.250 Panzer bei Charkow
Bis zum 27. Mai versuchten die Rotarmisten immer wieder vergeblich, aus dem Kessel auszubrechen. In der finalen Phase der Kämpfe fielen auch mehrere hochrangige russische Militärs. So starb General Bobkin nahe dem Dorf Krutojarka, auch Generalleutnant Kostenko ließ auf dem Schlachtfeld sein Leben. Der Befehlshaber der 6. Armee, General Gorodnjanski, wurde beim Ausbruchsversuch seiner Truppen am 27. Mai getötet. Der Kommandant der 57. Armee, General Podlas, wählte bereits zwei Tage zuvor den Selbstmord – wohl auch, um der Kriegsgefangenschaft zu entgehen. In diese gingen nach der Schlacht um Charkow rund 240.000 sowjetische Soldaten.
Insgesamt verlor Rußlands Diktator Stalin an diesem Frontabschnitt im Mai 1942 dabei 22 Schützen- und sieben Kavalleriedivisionen sowie 15 Panzerbrigaden. Nach heutiger Übersicht mußte Moskau demnach rund 1.250 Panzer als vernichtet oder vom Feind erbeutet abschreiben.
Die Planungen des Kremls erlitten damit für das Kriegsjahr einen herben Rückschlag. Denn für die eigene Sommeroffensive vorgesehenen Kräfte waren damit zerschlagen. Für das Deutsche Reich war es hingegen eine der letzten siegreichen Kesselschlachten und ermöglichte so, selbst die Initiative zu übernehmen und seine Angriffspläne umzusetzen.
Dazu gehört auch die unter dem Decknamen „Fall Blau“ laufende Offensive. Das sollte auch zu weiteren großräumigen Militäroperation in der Ukraine führen.
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Hier finden Sie die weiteren Teile der JF-Serie „Schlachtorte der Ukraine im Zweiten Weltkrieg“:
Erster Teil: Kesselschlacht bei Uman: mit den Verbündeten weiter nach Osten.
Zweiter Teil: Kampf um Kiew1941: „Stehen, halten und notfalls sterben.“
Dritter Teil: Verlustreicher Kampf um Odessa.
Vierter Teil: Charkow 1942: Stalins Generäle sterben den Soldatentod.
Fünfter Teil: Fall Blau: Die Wehrmacht verkalkuliert sich.
Sechster Teil: Über den Don bis Stalingrad.
Siebter Teil: Charkow 1943: „Das Reich“ schlägt zurück.
Achter Teil: Letzte Schlacht um Charkow: Rückzug trotz Abwehrerfolgen.
Neunter Teil: Krim 1944: Hitlers Haltebefehl kostete Zehntausenden das Leben.
Zehnter Teil: Sommeroffensive 1944 bringt Sowjets die Kontrolle über die Ukraine.