DÜSSELDORF. Die nordrhein-westfälische Integrations-Staatsekretärin Gonca Türkeli-Dehnert (CDU) hat sich von der Erwähnung türkischer Zwangsheiraten im Philosophieunterricht distanziert. „Es geht den Kritikern darum, daß in dem Beispiel aus dem Schulbuch anhand der türkischen Kultur eine Ausnahme als Regelfall dargestellt wird. Dabei kommen Zwangsheiraten nicht nur in moslemischen, sondern auch in hinduistischen, jesidischen und christlichen Kontexten vor“, mahnte Türkeli-Dehnert am Donnerstag im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
„Das Hauptproblem ist, daß wir hier über Stigmatisierung und Stereotype sprechen, ohne sie richtig zu kontextualisieren. Wir reproduzieren Rassismus, indem wir Rassismus ansprechen. Das ist eine ganz große Herausforderung.“ Man hätte das Thema „Zwangsheirat“ auch anders angehen können.
Türkische Zwangsehen als Beispiel für Kulturrelativismus
Zuvor hatte das Siegburger Gymnasium Alleestraße durch die Verwendung eines Philosophiebuchs des Cornelsen Verlags für Empörung gesorgt. In der Unterrichtseinheit „Kulturrelativismus“ wurde dort das Beispiel einer türkischen Zwangsheirat herangezogen.
„Ein türkischer Familienvater in Deutschland verheiratet seine Tochter ohne deren Einverständnis mit dem Sohn seines verstorbenen Bruders, um diesem eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland und damit eine Existenz zu sichern. Besprich die Situation mit deinem Tischnachbarn oder deiner Tischnachbarin. Welche Konflikte seht ihr darin?“, lautete die Aufgabe.
Elternvertreter: „Vokabular von rechtsradikalen Populisten“
Vor allem die Föderation türkischer Eltern in Nordrhein-Westfalen tat sich nach Bekanntwerden des Beispiels mit Angriffen auf die Schule und den Verlag hervor. „Leider waren nicht nur wir, sondern auch viele türkischstämmige Eltern aus Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern fassungslos über eine extrem vorurteilsbehaftete und klischeehafte Aufgabenstellung“, unterstrich deren Vorsitzende Aysun Aydemir in einem offenen Brief.
„Diese Art der Unterrichtsgestaltung bedient sich des Vokabulars von rechtsradikalen Populisten und trägt dazu bei, daß sich diese Art von Klischees in den Köpfen der Schüler verfestigt, was dazu führt, daß solche Klischees mit allen türkischstämmigen Familien in Verbindung gebracht werden.“
NRW-Bildungsministerium rügt Schule und Verlag
Das nordrhein westfälische Bildungsministerium rügte die Schule daraufhin für die Verwendung des Buches. „Das Ministerium für Schule und Bildung wird das in Rede stehende Schulbuch darüber hinaus intensiv prüfen und den Verlag auffordern, das Schulbuch zu überarbeiten“, bekräftigte die Behörde.
Die Schule entschuldigte sich in der Folge für den vermeintlichen Fehler. „Das Gymnasium Siegburg Alleestraße ist seit fast 20 Jahren Mitglied von ‘Schule ohne Rassismus’, und das nehmen wir als Auftrag und Verpflichtung ernst. Wir sind eine offene, tolerante und internationale Schule. Das wird so bleiben“, beteuerte die Einrichtung.
Verlag gelobt Besserung
Zuletzt hatte auch der Cornelsen Verlag für die Aufgabe im Schulbuch um Verzeihung gebeten. „Unsere Redaktion hat die Seite heute geprüft und ist der Ansicht, daß die Darstellung unnötig zugespitzt und klischeehaft ist. Auch wenn die geschilderte Extremsituation geeignet ist, um ein Dilemma philosophisch zu diskutieren, werden wir es umgehend im Nachdruck gegen eine Neuformulierung austauschen“, versicherten die Buchmacher. Man setze sich gegen Stereotype und Vorurteile an Schulen ein.
In der Vergangenheit hat der Umgang mit Minderheiten im Bildungssystem immer wieder für Diskussionen gesorgt. Im Januar beispielsweise sorgte die geplante Schaffung einer Meldestelle für religiöses Mobbing an Berliner Schulen für Empörung. Jüngst sprach sich die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integegration, Reem Alabali-Radovan (SPD) dafür aus, mehr Lehrer mit Migrationshintergrund an Schulen einzustellen. (fw)