Daß Unternehmer, Milliardäre oder Finanzinvestoren Stiftungen gründen, ist schon aus steuerlichen Gründen nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ernst Abbe (Zeiss), Robert Bosch, Alfried Krupp oder Dieter Schwarz (Lidl) sind bekannte Beispiele. Dezidiert politische Ziele – etwa „Für ein starkes Europa in einer globalen Welt“, „In Vielfalt leben“ oder „Migration fair gestalten“ – verfolgt hingegen die Bertelsmann-Stiftung, die 1977 von dem Medienunternehmer Reinhard Mohn gegründet wurde. Mit einem Stiftungskapital von 619,5 Millionen Euro liegt sie global gesehen allerdings nur im unteren Mittelfeld.
Die nach der Bill & Melinda Gates Foundation zweitgrößte, aber erklärt politische Stiftungsgruppe der USA ist derzeit die Open Society Foundations (OSF) des Milliardärs George Soros, die allein in diesem Jahr fast doppelt so viel ausgibt, wie an Bertelsmann-Kapital überhaupt vorhanden ist. Und während die Bertelsmann-Stiftung zumindest offiziell betont, politisch „neutral“ zu sein, will George Soros und seine OSF genau das nicht sein: US-Präsident Donald Trump sei „Bauernfänger“, der „die Demokratie von innen heraus“ untergrabe, klagte er am Dienstag in der Tageszeitung Welt. Doch er sei „zuversichtlich, daß Trump sich als ein temporäres und hoffentlich im November zu Ende gehendes Phänomen erweisen wird“. Mehr noch, Soros ist sich sogar sicher, wenn Trump die Präsidentschaft verliere, „wird er zur Rechenschaft gezogen werden“.
Daher hat er bislang etwa 52 Millionen Dollar in den Wahlkampf der US-Demokraten investiert – 30 Millionen Dollar mehr als 2016. Verglichen mit den jeweils über eine Milliarde Dollar, mit denen Trump und sein Herausforderer Joe Biden rechnen können, ist das direkte finanzielle US-Wahlkampfengagement von Soros aber überschaubar. Und obwohl seit Jahrzehnten US-Bürger, sieht sich Soros mindestens ebenso als „Weltbürger“, und daher fließen auch von den 1,2 Milliarden Dollar, die die OSF in diesem Jahr ausgeben will, lediglich 261,1 Millionen Dollar in verschiedenste Projekte in den USA.
OSF-Aktivitäten umfassen 500 Seiten
Das meiste Geld geht aber weiterhin in andere Länder. Und das begann schon vor mehr als 40 Jahren, „als ich mehr Geld verdient hatte, als ich für mich und meine Familie brauchte, habe ich eine Stiftung gegründet, um die Werte und Prinzipien einer freien und offenen Gesellschaft zu fördern“, wie Soros auf seiner Internetseite schreibt.
Die Liste der OSF-Aktivitäten umfaßt 500 Seiten und reicht von 100 Millionen Dollar für Human Rights Watch, über einen Zuschuß von fünf Millionen Dollar für Überschwemmungsopfer in Pakistan bis zu den 50 Millionen Dollar für die Selbstversorgung afrikanischer Dörfer sowie der Unterstützung von palästinensischen „Menschenrechtsaktivisten“ im Westjordanland. Selbst die Wikimedia Foundation oder das „Recherchebüro Correctiv“ werden von Soros-Stiftungen mitfinanziert. Größtes Einzelprojekt in Europa ist die 1991 formal in New York gegründete Central European University (CEU), die zunächst neue Führungskräfte ausbilden und „demokratische Übergänge in der Region einzuleiten“ wollte.
Anfangs fanden die meisten Lehrveranstaltungen in Prag statt, doch wegen Konflikten zwischen dem linksliberalem Soros und dem nationalliberalem tschechischen Premier Václav Klaus zog die CEU 1996 komplett nach Budapest um. 20 Jahre später war dann auch das Tischtuch zwischen Soros und dem einst von ihm geförderten Studenten und inzwischen zum ungarischen Premier aufgestiegenen Victor Orbán zerschnitten: 2018 wurde die Übersiedlung nach Wien angekündigt, die 2022 abgeschlossen sein soll.
Soros „zerstört Israel von innen“
Auch in Israel ist Soros seit Jahren engagiert, wo er linksliberale Israelis und Palästinenser unterstützt. Sehr zum Mißfallen der rechten Regierung, was Jair Netanjahu, der nicht in Regierungsverantwortung stehende Sohn des Ministerpräsidenten, bei einem Budapest-Besuch ganz undiplomatisch auf den Punkt brachte: Soros „zerstört Israel von innen“, seine Organisationen „arbeiten Tag und Nacht mit einem unbegrenzten Budget, um das Land seiner jüdischen Identität zu berauben“. Doch ein echter „Linker“ ist Soros keinesfalls, denn die erste Wette, die der spätere Finanzspekulant Soros in seinem Leben eingeht, ist eine gegen den Kommunismus als angebliche Zukunftsvision für die Menschheit.
Der Grund dafür sind Erlebnisse, die sich Soros eingebrannt haben, als er als Jugendlicher zwischen 1944 und 1947 den menschenverachtenden Vernichtungswillen gleich zweier totalitärer Systeme zu spüren bekam. Daß er den nationalsozialistischen Judenmördern und den stalinistischen Menschenverächtern letztlich entkommt, verdankt er vor allem der Umsicht seines Vaters. Dieser, ein Budapester Anwalt und Esperanto-Schriftsteller, hat bereits 1936 seinen deutsch-jüdischen Familiennamen von Theodor Schwartz in Tivadar Soros magyarisiert. Als im März 1944 Wehrmacht und SS die Hauptstadt des verbündeten Ungarns besetzen und von ungarischen Antisemiten unterstützte Sonderkommandos die Deportation der jüdischen Bevölkerung in die Vernichtungslager organisieren, versorgt Tivadar Soros seine Familie und einige andere Juden mit falschen Papieren.
Einfach Glück ist es wiederum, daß der 14jährige György Soros, der in jenen mörderischen Monaten den Rumänen Sandor Kiss mimt, nicht eines der vielen zivilen Opfer im zähen Häuserkampf wird, den sich deutsche und ungarische Truppen bei der Verteidigung Budapests mit den Sowjets liefern, und der in die Geschichte als das „Stalingrad der Waffen-SS“ eingeht. Nach der Kapitulation der Deutschen und der Flucht der ungarischen Regierung, errichten die Sowjets im besiegten Ungarn eine kommunistische Diktatur, aber erst einmal wird aus Sandor Kiss wieder György Soros. Dieser verläßt 1947 seine Heimat und wandert über die Schweiz nach Großbritannien aus, wo er in London die School of Economics absolviert und begeistert Texte von Karl Popper und Friedrich August von Hayek liest. Soros will Philosoph werden, aber sein Vater setzt durch, daß er einen Job bei der von zwei Ungarn geführten Handelsbank Singer & Friedlander in London annimmt.
Selbst in der Ukraine dreht sich die Stimmung
In den USA zählt Soros später lange Jahre zu den 20 bestbezahltesten Hedgefonds-Managern. Er verdient Milliarden für sich und seine Anleger – aber sein Leitbild bleibt jenseits der finanziellen Welt Poppers „Konzept der offenen Gesellschaft“. Gleichzeitig entwickelt Soros seine „Theorie der Reflexivität“, in der er die Entstehung einer Diskrepanz zwischen wahrgenommener und tatsächlicher Realität beschreibt. Ab den späten 70er Jahren beginnt Soros all jene finanziell zu unterstützen, die für Bürgerrechte kämpfen: schwarze Studenten in Südafrika genauso wie die tschechoslowakische Initiative Charta 77, die polnische Gewerkschaftsbewegung Solidarność oder den sowjetischen Dissidenten und Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow.
Als der Realsozialismus in Europa zusammenbricht und es den Anschein hat, als würden sich „offene Gesellschaften“ in seinem Sinne durchsetzen, ist Soros stolz, „aktiv an der Revolution beteiligt“ gewesen zu sein, „die das Sowjetsystem hinwegfegte“. Doch trotz der OSF-Milliarden und Zuwendungen aus seinem Privatvermögen sind seine politischen Erfolge zumindest in Mittel- und Osteuropa eher bescheiden, obwohl er seinen Visionen mit „Idealismus, Pragmatismus und einer Portion Rücksichtslosigkeit“ verfolgt, wie die Neue Zürcher Zeitung schrieb. Wenn Soros vorschlägt, die EU solle jährlich zusätzlich eine Million Flüchtlinge aufnehmen, so stößt das in Berlin eher auf politisch-medialen Beifall, in Rom auf Kopfschütteln und in Ungarn oder Polen auf haßerfüllte Ablehnung.
Selbst in der Ukraine, wo Soros seit 1990 zig Millionen in die Stiftung „Widrodschennja“ (Wiedergeburt) investiert hat, und viele Politiker in den Genuß von OSF-Programmen kamen, wo er die „Euromaidan“-Revolution mit gefördert hat, dreht sich die Stimmung: Nicht nur moskautreue, auch den US-Republikanern nahestehende Politiker attackieren inzwischen ihre Gegner als „Sorosjata“, als Soros-Zöglinge. Auch keine Verschwörungstheorie ist, daß Soros mehr als 27 Millionen Dollar in Kampagnen gesteckt hat, um 2004 eine weitere Amtszeit von George W. Bush als US-Präsident zu verhindern, weil dessen Politik „eine Gefahr für Amerika und die Welt“ darstellt habe – doch der schon im Jahr 2000 unterschätzte Bush siegte klar. Und heute sind sich beide einstigen Gegner einig, daß Trump auf keinen Fall wiedergewählt werden dürfe.
Lob für Kanzlerin Merkel
Auch die von ihm unterstützte „Black Lives Matter“-Bewegung und der Kampf gegen angebliche Diskriminierungen scheint sich zu verselbständigen: Die Denkmalstürmerei hält Soros zwar nur für „eine vorübergehende Erscheinung“, aber „die politische Korrektheit an den Universitäten ist maßlos überzogen. Als Verfechter einer offenen Gesellschaft halte ich Political Correctness für politisch inkorrekt. Wir sollten nie vergessen, daß eine Meinungsvielfalt für offene Gesellschaften unerläßlich ist“, entgegnet Soros im Welt-Interview.
Zwei Politiker, die nie von seinen OSF-Stipendien profitiert haben, machen Soros dagegen wahre Freude: Die Bundesregierung unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat während der Corona-Pandemie die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse kassiert und verteilt noch nicht erwirtschaftetes Geld freimütig – das dürfte für Soros eines der größten Geschenke zu seinem heutigen 90. Geburtstag sein. Schließlich ist der Erz-Kapitalist einer der größten Kritiker der strengen deutschen Haushaltsdisziplin. Es sei für den Euro-Raum gefährlich, wenn sich Deutschland mit seiner „falschen Doktrin der makroökonomischen Stabilität, die nur die Gefahr einer Inflation erkennt und die Möglichkeit einer Deflation ignoriert“, durchsetze.