Man reibt sich die Augen beim Blick auf AfD und SPD. Während die Regierungsfähigkeit der über 150 Jahre alten Traditionspartei im spätherbstlichen Nebel versinkt, klart der Himmel über der jungen AfD auf und läßt am Horizont Politikfähigkeit erkennen. Wo die glutrote SPD ihren einzigen respektablen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz durch den Mitgliederentscheid demontiert hat, da gelingt der AfD auf dem Braunschweiger Parteitag kühl der Generationswechsel vom Senior Alexander Gauland zum aufstrebenden Tino Chrupalla.
Knapp sieben Jahre nach ihrer Gründung schickt sich die Partei an, ihre Chaostage hinter sich zu lassen und erwachsen zu werden. Nicht den polarisierenden Einzelgänger Gottfried Curio haben die rund 550 Delegierten zum neuen Bundessprecher gewählt, sondern den umgänglichen Teamspieler Chrupalla. Und sogar die einst als Sonnenkönigin geschmähte Alice Weidel wird ohne Gegenkandidaten Vize-Sprecherin.
Brückenbauer Gauland ebnet den Weg
Der bodenständige Sachse wird die AfD zusammen mit dem vom Parteitag gestärkten alten und neuen ersten Bundessprecher Jörg Meuthen voraussichtlich in den Bundestagswahlkampf führen. Der Termin hängt derweil vom Bestand der Großen Koalition ab. In diesem Spitzenduo liegt eine Chance. Meuthen West, Chrupalla Ost, Meuthen Wirtschaftsprofessor, Chrupalla Malermeister, Meuthen Europaparlament, Chrupalla Bundestag. Mit einigem Geschick hatte der „Brückenbauer“ Gauland dieses Personaltableau zusammengestellt und dabei die verschiedenen Strömungen einschließlich des rechtsnationalen Flügels um Björn Höcke einbezogen.
Der letzte Gründungsvorsitzende zieht sich aus der Parteiarbeit zurück, wird als Ehrenvorsitzender die Arbeit seiner Nachfolger solidarisch begleiten. Das heißt, die AfD muß jetzt laufen lernen als „bürgerlich konservative patriotische Partei“, die sich nicht am rechtsextremen Rand orientiere, wie Meuthen es unter großem Beifall der Delegierten formulierte. Eine Vorgabe, die Chrupalla zu Beginn seiner Vorstellungsrede unerschrocken erfüllte. Nie wieder wolle er auf einem Parteitag Wolfgang Gedeon hören, der wegen antisemitischer Äußerungen in der AfD isoliert ist. Dessen gespenstischer Auftritt war von den meisten Delegierten eindeutig beantwortet worden; mit Buhrufen und dem Auszug aus dem Saal.
Der Scheinriese Höcke schrumpft
Die von AfD-Gegnern gern bemühte These, die AfD werde von Parteitag zu Parteitag rechter, stimmt nicht mehr. „Faschist“, „Nazi“ – diese Diffamierungen der etablierten Parteien werden kaum mehr verfangen. Wohl auch weil der Scheinriese Björn Höcke wie üblich für kein Vorstandsamt kandidiert hat, eine absehbare Niederlage fürchtend. Vielmehr hat er sein Tolerierungsangebot für eine CDU/FDP-Minderheitsregierung in Thüringen auf dem Parteitag erneuert und persönliche Fehler eingeräumt. Ein Schönheitsfehler freilich bleibt bei den Vorstandswahlen. Honorige Persönlichkeiten wie Georg Pazderski, Albrecht Glaser und Roland Hartwig verfehlten teilweise knapp die erforderliche Mehrheit.
Eine geeinte, geläuterte und professionalisierte AfD wird insbesondere für die CDU zur Gefahr. Ob einer geschwächten Union bald nur noch die AfD als Koalitionspartner zur Verfügung steht, wie Gauland vorhersagte, bleibt abzuwarten. Jedenfalls ist die Strategie des Adenauerhauses gescheitert, die ungeliebte Partei rechts der Mitte als extremistisch zu stigmatisieren. Man reibt sich die Augen, aber nach den Häutungen um Bernd Lucke und Frauke Petry scheint die AfD ihre Rüpelphase hinter sich zu lassen – kleinere verbale Rempeleien bleiben nicht ausgeschlossen. Der Braunschweiger Parteitag hat frische Luft in die Parteienlandschaft gebracht. Das Abendrot sinkt, das kühle Blau steigt empor.