Lügen verbreiten sich besser in sozialen Netzwerken als Wahrheiten, sagen Forscher. Und Lügen haben kurze Beine, weiß der Volksmund. Demzufolge ist es eigentlich nicht schlimm, wenn Facebook-Nutzer in ihrer Timeline mit Falschmeldungen konfrontiert werden. Ganz anders sieht das die EU. Sie hat vor dreieinhalb Jahren eine Einheit namens „East StratCom Task Force“ eingesetzt, die jetzt wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerät, weil sie nun, kurz vor der EU-Parlamentswahl, Desinformationskampagnen aus dem Ausland aufdecken soll.
EU-Justizkommissarin Vera Jourová warnte am Montag vor Wahlmanipulationen insbesondere durch Rußland. „Wir dürfen nicht zulassen, daß auch nur in einem Mitgliedstaat die Wahlergebnisse durch Manipulation verfälscht werden. Nicht nur, aber auch, weil diese Wahlen Schicksalswahlen für Europa sind“, verkündete die Tschechin in alarmistischem Ton.
Politiker mit zweifelhaftem Demokratieverständnis
Schnell zogen Journalisten irgendwelche Experten aus dem Hut und drehten die Geschichte über die angeblich bedrohten Schicksalswahlen weiter. Durch entsprechende Falschmeldungen solle die Bevölkerung „verunsichert“ und „verängstigt“ werden, heißt es. Die Wörter „Rechtspopulisten“, „Rußland“ und „Social Bots“ fallen in dem Zusammenhang immer wieder.
Tatsächlich zeugen solche Aussagen von einem mehr als zweifelhaften Demokratieverständnis, insbesondere wenn sie von Politikern stammen. Erstens: Macht es für den Bürger einen Unterschied, ob ein paar hundert Russen im schlechtbelüfteten Zimmer einer sogenannten Trollfabrik tendenziöse Beiträge irgendwelcher Blogs teilen, oder ob abends im ARD-Fernsehen vor einem Millionenpublikum von „Ausschreitungen“ und „Hetzjagden“ in Chemnitz die Rede ist, die es aber gar nicht gab?
Zweitens: Vertrauen diese Politiker und ihnen nahestehende Fachleute mündigen Bürgern, also Wählern, so wenig, daß sie ernsthaft meinen, sie würden ihr Kreuz am 26. Mai bei einer „falschen“ Partei machen, nur weil sie etwas auf Facebook oder Twitter gelesen haben?
Wer also hat nun das Vertrauen verloren?
Wer ernsthaft glaubt, Donald Trump habe die Präsidentschaftswahl gewonnen, weil Hunderttausende oder Millionen US-Bürger nicht die richtigen Internetseiten anklickten, zweifelt am Grundpfeiler des politischen Systems der westlichen Staaten, nämlich an der Demokratie selbst. Wer sagt, die Mehrzahl der Briten hätte für den EU-Austritt gestimmt, weil die Brexiteers so schlimm gelogen haben, ignoriert die vielschichtigen Faktoren des Wahlverhaltens in modernen Demokratien.
Wer also hat nun das Vertrauen verloren: Bürger, die immer öfter einer Partei ihre Stimme geben, wenn nur das passende Angebot dabei ist, oder doch vielleicht die (etablierten) Politiker in ihre Wähler? Darüber sollten diejenigen nachdenken, die jetzt vor der Wahl am lautesten warnen – und am meisten das Ergebnis fürchten.