Justizminister Heiko Maas (SPD) fühlt sich herausgefordert. Er wehrt sich gegen den Vorwurf, die Regierung habe das Recht gebrochen. Gewiefter Anwalt, der er ist, dreht er den Vorwurf einfach um: nicht er, sondern die Gegenseite brächte den Rechtsstaat in Gefahr. Indem sie die Rechtmäßigkeit der Regierungspolitik in Zweifel zögen, betrieben die Kritiker, darunter einige der angesehensten Staatsrechtslehrer Deutschlands, geistige Brandstiftung.
Wie das? Dadurch, daß sie gesagt haben, was alle wissen, die es wissen wollen: daß es den grenzenlosen Staat nicht gibt. Daß jedes, ausnahmslos jedes Gebilde dieser Art auf Grenzen angewiesen ist. Daß die EU als staatenähnliche Gemeinschaft ihre Außengrenzen schützen muß.
Und daß der Grenzschutz, falls die Gemeinschaft ihn nicht leisten kann oder will, an jeden Einzelstaat zurückfällt: genau das also, was zur Zeit geschieht. Aufgeschreckt durch Angela Merkels (CDU) humanitär bemäntelten Autoritarismus, ziehen sich Polen und Dänen, Österreicher und Franzosen auf sich selbst zurück und schließen ihre Grenzen.
Nothilfe als Gebot der Stunde
Nur Deutschland nicht. Zur Begründung beruft sich Maas auf eine Ausnahmesituation, die Nothilfe zum Gebot der Stunde gemacht habe. Die Stunde währt seit letztem Herbst. Wenn täglich zehnmal so viele Einreisewillige kommen wie Ausreiseverpflichtete abgeschoben werden, kann von einem Notbehelf keine Rede mehr sein. Dann wird die Ausnahme zur Regel.
Um Staaten, die muslimische Flüchtlinge zurückweisen, anzuschwärzen, beruft sich Maas auf die Grundrechte. Die aber doch nicht demoliert, sondern bewahrt werden, wenn sich Europa einem Glauben verschließt, der Frauen als minderwertige Wesen betrachtet.
Rechte, die nicht verletzt, sondern verteidigt werden, wenn sich die Christen gegen eine Religion sperren, die den Glaubenswechsel mit dem Tode bedroht. Ansprüche, die hochgehalten und nicht mißachtet werden, wenn sich der Staat gegen eine Lehre verwahrt, die das Rechtswesen irgendwelchen Mullahs in die Hände gibt statt ausgebildeten Juristen.
Flüchtlingspolitik nach Lust und Laune
In solchen Fällen ist der Widerstand ein Zeichen dafür, daß die Grundrechte ernst genommen werden. Ernster offenbar, als Heiko Maas sie nimmt. Er hat ein anderes Verständnis vom Rechtsstaat. 43mal habe das Parlament über die Flüchtlingspolitik debattiert, beteuert Maas, und der Regierung damit ein Mandat erteilt. Als ob ein rechts- und vertragswidriges Vorgehen der Regierung dadurch geheilt werden könnte, daß der Bundestag ihr beispringt! Natürlich soll über die Flüchtlingspolitik in Berlin entschieden werden; aber doch nicht nach Lust und Laune, sondern nach Recht und Gesetz.
In einem Brief an seinen Amtsnachfolger James Madison zeigte sich Thomas Jefferson, einer der großen Präsidenten der USA, besorgt über die Tyrannei des Gesetzgebers. Und fuhr dann fort: „Die Tyrannei der Exekutive wird auch noch an die Reihe kommen, aber später.“ In Deutschland sind wir offenbar soweit.
JF 6/16