HANNOVER. In Niedersachsen stehen derzeit mehrere Polizisten unter dem Schutz ihrer Kollegen, nachdem sie von kurdischen, libanesischen und türkischen Familienclans bedroht wurden. Das haben Recherchen des NDR ergeben. Die Polizisten waren in verschiedene Auseinandersetzungen mit mehren Großfamilien verwickelt, die in dem Bundesland leben. In dem am Montag vorgestellten Lagebericht Organisierte Kriminalität hatte das niedersächsische Innenministerium zum ersten Mal kriminellen Familienclans ein Kapitel eingeräumt.
Im sogenannten Ampelmord-Prozeß in Sarstedt mußten nach massiven Drohungen sogar Richter und Staatsanwalt des Hildesheimer Landgerichts unter Polizeischutz gestellt werden. Hintergrund ist der Mord an dem Asylbewerber Abdulkader D., der eine Beziehung zu einer verheirateten Syrerin unterhielt. Am Neujahrsmorgen 2012 wurde er von deren Ehemann und einem Komplizen an einer Kreuzung in Sarstedt durch Schüsse in den Kopf getötet.
Familienclans verbreiten „Angst und Schrecken“
Nachdem der 38 Jahre alte Täter zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde, kam es nach einem Bericht der Welt zu einem Aufstand im Gerichtssaal. Der Vorsitzende Richter hatte zu Beginn seines Plädoyers auf die Erfahrungen der Berliner Jugendrichterin Kirsten Heisig hingewiesen. „Ich habe das beim Lesen für übertrieben gehalten.“ Er habe aber feststellen müssen, daß es hier eine Großfamilie gebe, die „Angst und Schrecken“ verbreite. Noch nie habe er eine derart massive Zeugenbeeinflussung erlebt.
In einem anderen Fall attackierte ein Familienclan die Polizeidienststelle in Peine. Anlaß war eine Hausdurchsuchung bei einem Tatverdächtigen. Die Männer mußten „durch die anwesenden Polizeikräfte aus dem Gebäude gedrängt werden“, heißt es im Polizeibericht. Der Landesvorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, Ulf Küch, sprach gegenüber dem NDR von einem „Sturm auf das Kommissariat“. Einen ähnlichen Fall habe er in vierzig Dienstjahren noch nie erlebt.
Bei verschiedenen Vorfällen nannten Clanmitglieder die Privatadressen von Polizisten. „Man fragt sich natürlich: ‘Wie können die an Wohnungsadressen von Beamten kommen’?“, sagte der Lüneburger Polizeipräsident Friedrich Niehörster dem NDR. So etwas ginge nicht spurlos an den Beamten vorüber. Die Gesamtzahl der Vorfälle und wie viele Polizisten derzeit in Niedersachsen überwacht werden, geht aus dem Bericht nicht hervor. (FA)